Theater:Hart, aber herzzerreißend

Like lovers do

Sie bilden in „Like Lovers Do“ einen kollektiven Körper: Gro Swantje Kohlhof, Mehmet Sözer, Edith Saldanha (oben von links) und Jelena Kuljić, Bekim Latifi (unten von links).

(Foto: Leonard Mandl)

Die Kammerspiele bringen zwei Uraufführungen heraus: In "Like Lovers Do" wird die Geschichte der Medusa zum Ausgangspunkt. In "Heart Chamber Fragments" bilden Recherchen zu Herztransplantationen die Grundlage.

Von Yvonne Poppek

Für die Inszenierung von Sivan Ben Yishais "Like Lovers Do (Memoiren der Medusa)" an den Münchner Kammerspielen gibt es eine Triggerwarnung: "Der Text enthält viele Schilderungen von sexualisierten Gewalthandlungen, die belastend und re-traumatisierend wirken können." Diese Warnung nehmen sie am Theater ernst, sagt Regisseurin Pinar Karabulut. Wer einen Blick auf den Text wirft, kann sofort nachvollziehen, warum: Die Autorin formuliert hart und radikal, brutale Inhalte - Vergewaltigung, Pädophilie, Erniedrigung - sind fester Bestandteil, sie werden nicht mit spitzen Fingern angefasst, sie kommen schonungslos zur Sprache. Die Uraufführung am Samstag, 9. Oktober, fällt also in keinem Fall in die Kategorie Unterhaltungstheater, sie hat einen klaren politischen Anspruch.

Und dieser kreist um das Thema, das schon im Titel auftaucht und quasi das Grundrauschen des Abends bildet: die Geschichte der Medusa. Oder genauer: Die Geschichte einer Frau, die vergewaltigt, missbraucht und erniedrigt wird und der im Nachhinein dafür die Schuld zugeschrieben, die dafür bestraft wird. Das habe es vor 3000 Jahren gegeben, das gebe es heute auch noch, sagt Karabulut. "Es gibt keine Verbesserung", sagt sie. Problematisch sei, dass niemand hinsehe. Erst in jüngster Zeit habe hier eine Veränderung eingesetzt. Karabulut geht es allerdings nicht darum, diesen Zustand zu konstatieren. "In meinem Feminismus geht es mir um Empowerment", sagt sie. Aus dem Abend solle man gestärkt herausgehen.

Den Text "Like Lovers Do" hat die Regisseurin dafür auf drei Schauspielerinnen und zwei Schauspieler verteilt, sie strukturiert so den Ursprungstext, eine assoziativ aufgebaute Textfläche. Klare Figuren gibt es auf der Bühne aber auch bei Karabulut nicht, "alle Figuren sind fluid", sie sind als ein "kollektiver Körper" zu begreifen. Wo Sivan Ben Yishai radikal und hart vorgehe, da funktioniere sie indes über die "Liebe". Zwei gegensätzliche Herangehensweisen an das Thema treffen nun also auf der Bühne aufeinander.

Karabulut rückt in ihren Inszenierungen gerne Frauen in den Fokus. Das war zuletzt in München an den Kammerspielen zu sehen im "Der Sprung vom Elfenbeinturm", ein Abend mit Texten von Gisela Elsner, der im Juni Premiere feierte. Wer diese Inszenierung noch vor Augen hat, weiß, dass Karabulut mit bunten, ja schrillen und überzeichnenden Mitteln arbeitet. Auch einen gelungenen, absolut schlüssigen Exkurs ins Filmische unternahm sie im "Elfenbeinturm", eine Überraschung nach der langen Lockdownphase ohne Live-Theater. Ein unbeirrter, kräftiger Zugriff auf "Like Lovers Do" ist von Karabulut also zu erwarten.

Noch bevor dieses Stück im Schauspielhaus gezeigt wird, bringen die Kammerspiele in der Therese-Giehse-Halle eine weitere Uraufführung heraus: Am Donnerstag, 7. Oktober, ist dort "Heart Chamber Fragments" zu sehen, eine Stückentwicklung des Theaterkollektivs "Paper Tiger Theater Studio" aus Beijing und Ensemblemitgliedern der Kammerspiele. Recherchen zu Herztransplantationen und Xenotransplantationen sowie Franz Kafkas "Der Bau", Jean-Luc Nancys "Der Eindringling" und Tao Yuanmings "Der Pfirsichblütenquell" bilden die Grundlage für den Abend, der danach fragt: "Wie kann eine schützende Behausung zu einem fesselnden Gefängnis werden? Was bedeutet es, ein neues Herz zu erhalten?"

Heart Chamber Fragments, Uraufführung, Donnerstag, 7. Oktober, 20 Uhr, Therese-Giehse-Halle, Falckenbergstraße 1; Like Lovers Do (Memoiren der Medusa), Uraufführung, Samstag, 9. Oktober, 19.30 Uhr, Schauspielhaus, Maximilianstraße 26-28, Telefon 23396600, muenchner-kammerspiele.de

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