Covid-19 in Südamerika:Feierlaune angesichts sinkender Infektionen

Ein Mädchen in Concon, Chile, erhält eine Dosis Sinovac.

Ein Mädchen in Concon, Chile, erhält eine Dosis Sinovac.

(Foto: Rodrigo Garrido/Reuters)

Noch vor einigen Monaten war Südamerika ein einziger großer Corona-Hotspot. Nun aber gehen überall die Infektionszahlen zurück und die Menschen fragen sich schon: War es das nun mit der Pandemie?

Von Christoph Gurk, Buenos Aires

Mitte dieser Woche saß der Gouverneur der Provinz Buenos Aires höchst zufrieden in einer Großraumdiskothek. Axel Kicillof war zwar nicht zum Tanzen gekommen, und auf dem Tisch vor ihm stand auch kein Drink, sondern nur eine Flasche Wasser und ein Becher bitterer Mate-Tee. In Feierlaune war der Politiker dennoch: Von 1. Oktober an, verkündete er, würden die Diskotheken in seiner Provinz wieder öffnen. "Das ist ein lange ersehnter Moment", sagte Kiciloff. Zwar gelten Beschränkungen bei den Besucherzahlen, und feiern dürfen auch nur voll geimpfte Partygänger. Dennoch ist all dies wahrscheinlich mehr, als die meisten Menschen in Argentinien noch vor ein paar Monaten zu träumen wagten.

Zu Beginn des Jahres wurde das südamerikanische Land von einer Covid-19-Welle überrollt, die mehr einem Tsunami glich. Bei einer Bevölkerungszahl, die gerade einmal etwas mehr als halb so groß ist wie die von Deutschland, gab es teilweise mehr als 40 000 Neuinfektionen pro Tag und weit mehr als 600 Todesfälle.

Krankenhäuser waren überfüllt, im Mai musste das Land zurück in den strikten Lockdown, nichts ging mehr, neun Tage lang. Tatsächlich sank die Infektionskurve daraufhin. Allerdings, und das ist das Erstaunliche, stieg sie seitdem auch nicht wieder an.

Trotz der Delta-Variante, die längst auch in Argentinien auftritt, ist die Lage im Land heute so gut wie lange nicht mehr. Viele Bezirke registrieren seit Tagen keine Todesfälle durch Covid-19. Und nicht nur Discos öffnen wieder, sondern auch Fußballstadien, Einkaufszentren, Kinos und Theater. Sogar der Mundschutz muss in Argentinien im Freien seit diesem Freitag nicht mehr getragen werden.

Die Impfkampagnen laufen auf Hochtouren

Ähnliche Erfolge melden auch andere Länder der Region: Vor ein paar Monaten noch registrierte Südamerika fast die Hälfte der täglichen Covid-19-Toten, nirgendwo starben im Schnitt mehr Menschen an dem Erreger als hier. Nun aber leeren sich die Stationen in den Krankenhäusern. Von Feuerland bis hoch in die Karibik ein ähnliches Bild: Überall sinken die Infektionskurven, Geschäfte ziehen die Rollläden wieder hoch, Schulen öffnen ihre Pforten. Die Normalität kehrt zurück, und dazu zieht auch noch der Frühling ein auf der Südhalbkugel. Die Temperaturen steigen und die Stimmung auch.

Viele wagen nun eine Frage zu stellen, die lange undenkbar gewesen wäre: War es das nun mit der Pandemie? Tatsächlich gibt es mehrere Faktoren, die wohl dazu beitragen, dass das Virus sich nicht mehr so schnell verbreiten kann in Südamerika. Zum einen sind da die Impfungen: Viele Länder in der Region hatten zwar große Probleme, genug Dosen für ihre Bevölkerung zu bekommen. Nun gibt es sie zwar noch nicht im Überfluss, immerhin aber meist in genügender Zahl. Die Immunisierungskampagnen laufen jetzt auf Hochtouren.

Impfskepsis, wie man sie aus Deutschland oder den USA kennt, ist dabei in Südamerika eher die Ausnahme. In der jüngeren Vergangenheit gab es Epidemien, angefangen beim Gelbfieber bis hin zu Zika, man weiß, welches Leid Seuchen auslösen können, und vertraut grundsätzlich dem öffentlichen Gesundheitswesen.

Chile und Uruguay haben heute schon drei Viertel ihrer Bevölkerung komplett geimpft, Argentinien und Ecuador immerhin schon die Hälfte und in Brasilien ist in einigen Städten der Großteil der erwachsenen Bewohner vollständig immunisiert, in Rio de Janeiro und São Paulo sogar sagenhafte 99 Prozent.

Zu der hohen Impfbereitschaft kommt ein weiterer, wenn auch traurigerer Vorteil für Südamerika: natürliche Immunität. Allein in Brasilien hat sich seit Beginn der Pandemie rein rechnerisch jeder Zehnte mit dem Erreger infiziert. Das allerdings sind nur die offiziellen Zahlen: Getestet wurde viel zu wenig. In Argentinien kam teilweise sogar jeder zweite Abstrich positiv zurück. Die Zahl der Infektionen dürfte in Wahrheit bis zu viermal so hoch sein, schätzen Experten, 20 Millionen Menschen wären das im Falle von Argentinien. Und das wiederum entspräche fast der Hälfte der Bevölkerung des Landes.

Zusammen mit den erfolgreichen Impfkampagnen scheint die hohe Zahl der bereits einmal infizierten Menschen dazu geführt zu haben, dass sich die Delta-Variante bisher nicht flächendeckend ausbreiten konnte. Die große Frage ist nun, ob dies so bleiben wird.

Viele Länder Südamerikas hatten sich seit Beginn der Pandemie abgeschottet, es gab strikte Lockdowns, Grenzen waren für Monate geschlossen. Nun öffnet sich die Region langsam wieder, Plakate werben für Urlaubsreisen und dann ist da eben auch noch die Rückkehr des Nachtlebens. Die Lust zu feiern ist jedenfalls groß, besser jetzt als später, man weiß ja nie, ob nicht eine nächste Welle kommt.

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