Rot-gelbe Vorsondierung:Die FDP auf dem Weg zurück in die Zukunft

Helmut Schmidt (SPD) und Hans-Dietrich Genscher (FDP) 1982 im Kabinett

Andere Zeiten: Außenminister Hans-Dietrich Genscher (FDP, li.) und Bundeskanzler Helmut Schmidt (SPD) am 2. September 1982 im Kabinett.

(Foto: imago)

39 Jahre nach dem historischen Bruch zwischen SPD und FDP sitzen beide Parteien wieder an einem Tisch. Die Liberalen hatten auf Jamaika gesetzt, doch jetzt knüpfen sie vorsichtig an sozial-liberale Traditionen an.

Von Daniel Brössler, Berlin

1980 war das Jahr, in dem die DDR den Zwangsumtausch für Besucher aus der Bundesrepublik auf 25 Mark erhöhte, Atomkraftgegner die Freie Republik Wendland ausriefen- und SPD und FDP miteinander das bislang letzte Mal über die Bildung einer Bundesregierung sprachen. Damals mit Erfolg.

So betrachtet war es am Sonntagnachmittag für die Vorsitzenden von SPD und FDP ein durchaus historischer Weg, der sie in der Berliner Invalidenstraße an einen Tisch führte. Mit ihren kleinen Unterhändler-Teams saßen Olaf Scholz und Christian Lindner sich im "Helix Hub" gegenüber, wo normalerweise an medizinischen Innovationen gearbeitet wird, laut Eigenwerbung mit "Enthusiasmus und Pioniergeist".

Eine politische Innovation wäre die erste Ampelkoalition aus SPD, Grünen und FDP auf Bundesebene. FDP und Grüne haben miteinander gesprochen und redeten am Sonntag getrennt mit der SPD über die Ampel, danach mit der Union auch über Jamaika. Erst nach dem Ende dieses politischen Speeddatings fällt in den nächsten Tagen die Entscheidung über echte Sondierungen im Dreierformat - aufgrund der Zerfallsprozesse in der Union voraussichtlich über eine Ampel. Grüne und Liberale wird das zu einem Spagat zwingen. Den historisch gesehen gravierendsten Bruch aber haben SPD und FDP zu überwinden - 39 Jahre nach dem Ende der sozial-liberalen Koalition.

Erinnerungen an den "Parteitag der Tränen"

Die SPD beförderte der damalige Koalitionsbruch in lange Jahre der Opposition, mindestens so nachhaltig prägend aber war er für die FDP. Auf einem "Parteitag der Tränen" in West-Berlin nahm die Partei 1982 Abschied von ihrer sozialliberalen Orientierung der Siebzigerjahre. Prominente Liberale wie Günter Verheugen und Ingrid Matthäus-Maier wechselten zur SPD. Der einstige Innenminister Gerhart Baum blieb in der Partei, litt aber zunehmend an ihr. Auch das Wahlprogramm, mit dem die FDP im Sommer in den Wahlkampf zog, beurteilte Baum kritisch. Die FDP habe "für die Schattenseiten des Marktes, für die Verlierer keinen Blick", kritisierte er. Eine sozialliberale Strömung gebe es in der Partei gar nicht mehr.

Allerdings gibt es in der Partei durchaus Köpfe, die an diese Tradition vorsichtig anknüpfen - auch wenn sie sich meist ausdrücklich nicht als Sozialliberale bezeichnen. Es gebe ein "progressives Element, den Glauben an eine bessere Zukunft", der Sozialdemokraten und Liberale politisch verbinde, hatte der FDP-Bundestagsabgeordnete Johannes Vogel Ende 2019 in einem Aufsatz geschrieben. Mittlerweile ist Vogel einer von Lindners Stellvertretern an der Parteispitze und als solcher mit dabei bei der Vorsondierung im "Helix Hub". Historisch gesehen ein Sozialliberaler ist der Vizevorsitzende Wolfgang Kubicki, der 1971 nach eigenem Bekunden wegen der Ostpolitik in die FDP eingetreten ist und beim "Parteitag der Tränen" 1982 geweint hat.

Kubicki sieht sich selbst zwar vor allem als Wegbereiter einer Jamaika-Koalition, die er mit dem Grünen Robert Habeck in Schleswig-Holstein schon einmal konstruiert hat. Etwas schneller als andere in der FDP vollzog er aber einen Schwenk aufgrund der chaotischen Zustände in der Union. "Sie zerbröselt von Stunde zu Stunde", beklagte er sich am Donnerstag bei RTL. Diese Einschätzung hat sich mittlerweile bei den Liberalen durchgesetzt. "CDU und CSU müssen klären, ob sie wirklich eine Regierung führen wollen", forderte Parteichef Lindner in der Bild am Sonntag.

In die eigene Partei hinein war eine andere Äußerung noch wichtiger: "Jede Koalition ist ein Geben und Nehmen. Entscheidend ist nicht die Einzelfrage, sondern die Regierungspolitik insgesamt", sagte Lindner. Mit der FDP werde "unser Land nicht nach links driften, sondern nach vorne gehen". Die Mitte könne "auf die FDP vertrauen". Das klingt fast schon nach einem Werben für eine Ampel, in der sich die FDP als Garant einer moderaten Politik zu positionieren gedenkt.

"Alle Zeichen auf Ampel"

Vorbereitet waren auf diese Entwicklung allerdings weder die FDP noch Christian Lindner. Nach dem Jamaika-Aus war in der gemeinsamen Opposition eher am Verhältnis zu den Grünen gearbeitet worden. Zwar hatte Generalsekretär Volker Wissing, ein Mitarchitekt der Ampelkoalition in Rheinland-Pfalz, vergangenes Jahr sein Amt mit dem Hinweis angetreten, er habe "positive Erfahrungen mit ungewöhnlichen Regierungskonstellationen". Lindner sorgte danach aber dafür, dass die Fantasie nicht überhandnahm. Sein klares Ziel war Jamaika.

Das blieb im Wahlkampf auch dann noch so, als SPD-Kanzlerkandidat Scholz begann, eindeutige Avancen zu machen, und die "Nebenrolle" beklagte, die Union und Grüne der FDP bei den Jamaika-Verhandlungen 2017 zugedacht hätten. Lindners Linie im Wahlkampf blieb, Scholz als das seriöse Gesicht einer in Wahrheit von den Parteilinken Kevin Kühnert und Saskia Esken dominierten SPD hinzustellen. Sein Verhältnis zu Scholz selbst gilt allerdings als ordentlich.

"Klar ist, dass es Klippen gibt, aber klar ist auch, dass wir entschlossen sind, eine Reformregierung zu bilden, die unser Land nach vorne bringt", verkündet Generalsekretär Wissing nach gut zwei Stunden im "Helix Hub" etwas wolkig. Offen lässt er die Frage, mit wem. "Ich darf sagen, es waren konstruktive Gespräche, sehr stark in der Sache orientiert", versichert sein SPD-Kollege Lars Klingbeil. Nach 39 Jahren ist das schon mal was.

Der Sozialliberale Baum ist jedenfalls guter Dinge. "Alle Zeichen stehen auf Ampel", sagt er am Sonntag bei einem Telefonat. Auch für Lindner findet Baum neuerdings lobende Worte. "Ihre Strategie", habe er ihm kürzlich persönlich gesagt, "war richtig."

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