München:Der Kohleausstieg - ein Spiel mit vielen verdeckten Karten

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Das Heizkraftwerk München Nord. (Foto: Robert Haas)

Plötzlich ist es doch möglich, das Heizkraftwerk Nord mit Gas statt Steinkohle zu betreiben. Es setzt sich der Eindruck fest, dass die Bürger verschaukelt werden.

Kommentar von Heiner Effern

Den Ausstieg aus der Kohle wollen die Münchner, das haben sie im Bürgerentscheid aus dem Jahr 2017 belegt. Aber was seither an Konzepten, Plänen, Beteuerungen, Gutachten und scheinbar unverrückbaren Fakten gekommen und gegangen ist, das versteht kein Mensch mehr. Und das schafft enormen Frust, weil sich irgendwann der Eindruck festsetzt, dass die ausstiegswilligen Bürger hier - mit Absicht oder nicht - kräftig verschaukelt werden. Oder dass zumindest mit sehr vielen verdeckten Karten gespielt wird.

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Möglich macht solche Verwirrspiele sicher auch eine komplexe Gemengelage, von erodierenden oder Asche spuckenden Kesseln bis zu strikten Vorgaben der Bundesnetzagentur, die den Steinkohleofen als systemrelevant für die Stromversorgung einstuft. Aber der aufmerksame Münchner, der noch scheinbar unverbrüchliche Aussagen der Stadtwerke im Kopf hat, dürfte sich nach der neuesten Wende die Augen reiben: Im Jahr 2019 hatten die SWM aus technischen Gründen ausgeschlossen, dass man den Block mit erträglichem Aufwand auch mit Gas statt Steinkohle betreiben könne - und jetzt soll der Umstieg plötzlich bereits zur Heizperiode 2022/23 möglich sein. Und mancher fragt sich, ob die so entscheidende Gasanbindung vom Himmel gefallen ist oder nicht doch auch vor zwei Jahren schon vorhersehbar gewesen wäre.

Die Stadtwerke und die Koalition sollten nun dringend vermeiden, dass die vermeintlich neue Lösung sich schnell wieder in Rauch auflöst. Normalerweise stellt man als Stadtregierung so einen wichtigen Prüfauftrag nur öffentlich, wenn man vorher hinter den Kulissen die Zusage hat, dass das auch klappen wird. Bleibt zu hoffen, dass es so kommt. Sollte der Umstieg auf Gas gelingen, hätte Grün-Rot den Auftrag des Bürgerentscheids noch fast pünktlich erfüllt. Das könnte sich die Koalition ans Revers heften. Die Stadtwerke könnten zudem ein Kapitel beenden, bei dem sie über Jahre keine gute Figur machten. Sollte der Steinkohleblock jedoch bleiben und aus technischen Gründen sogar mit voller Last gefahren werden, dann wäre die viel propagierte ökologische Wende der Koalition deutlich beschädigt. Und das Vertrauen in den Versorger Stadtwerke auch.

© SZ vom 06.10.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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