Falsche Bilder:Fatale Verwechslung

The defendant's lawyer Wolf Molkentin speaks to a man next to the empty seat of the accused 96-year-old former secretary to the SS commander of the Stutthof concentration, in Itzehoe

Der Sitz der angeklagten Irmgard F. blieb beim Prozessauftakt am Landgericht Itzehoe leer. Einige Medien verbreiteten nun falsche Bilder der früheren KZ-Sekretärin.

(Foto: Markus Schreiber/Pool/Reuters)

Für Mediengeschichten über die frühere KZ-Sekretärin Irmgard F. kursieren Fotos, die nicht die Angeklagte zeigen - sondern Holocaust-Überlebende.

Von Aurelie von Blazekovic und Clara Meyer

Es ist vermutlich eine der letzten Gelegenheiten, eine Verantwortliche für NS-Verbrechen vor Gericht zu bekommen. Irmgard F., die 96-jährige Angeklagte am Landgericht Itzehoe, war Sekretärin im Konzentrationslager Stutthof bei Danzig, wo 65 000 Menschen starben. Von 1943 bis 1945 war sie Schreibkraft des Lagerkommandanten Paul Werner Hoppe.

So viele Journalistinnen und Journalisten meldeten sich für den Prozessauftakt am vergangenen Donnerstag an, dass er in einen improvisierten Saal im Itzehoer Industriegebiet verlegt werden musste. Doch die Angeklagte, Irmgard F., erschien nicht, sie war flüchtig. Es gab also keine Bilder der Frau, die wegen Beihilfe zum Mord in mehr als 11 000 Fällen angeklagt ist.

Medien auf der ganzen Welt berichten dennoch über den nun auf Mitte Oktober vertagten Prozess gegen die KZ-Sekretärin, gegen die "Nazi-Oma im Knast", wie es bei dem Fernsehsender Welt dann hieß, weil Irmgard F. später am Donnerstag noch gefasst wurde und in Untersuchungshaft kam. In dem Video von Welt (früher N24), das der Sender mittlerweile gelöscht hat, wurden vermeintlich aktuelle Bilder von Irmgard F. gezeigt. Der folgenschwere Fehler: Das unkenntlich gemachte Foto zeigte nicht die Angeklagte, sondern die Holocaust-Überlebende Anita Lasker-Wallfisch.

"Bei der Foto-Recherche ist uns leider ein schwerwiegender Fehler unterlaufen," teilte Kristina Faßler, Sprecherin von Welt am Dienstag mit. "Das bedauern wir zutiefst. Hierfür bitten wir Anita Lasker-Wallfisch auch auf diesem Wege aufrichtig und von Herzen um Entschuldigung. Selbstverständlich haben wir das Video überall gelöscht."

Auf die Nachfrage der SZ, wie es zu dieser Verwechslung kommen konnte, antwortete Faßler, dass bei der Bildersuche "nicht genau geschaut wurde" und man sich darüber sehr ärgere. Bei Anita Lasker-Wallfisch werde man sich in schriftlicher Form entschuldigen.

Aufgefallen war der Fehler dem NDR-Journalisten und Rechtsextremismus-Experten Julian Feldmann. Nicht nur der Sender Welt, bemerkte dieser auf Twitter, sondern auch mehrere englischsprachige Onlinemedien verbreiteten falsche und nicht unkenntlich gemachte Bilder der angeklagten Irmgard F. Neben dem Foto von Anita Lasker-Wallfisch, 97, eine Cellistin und bekannte Überlebende des Mädchenorchesters im KZ Auschwitz, wurde auch eines, das in Wirklichkeit Judit Sperling zeigt, falsch verbreitet. Judit Sperling, 99, ist Nebenklägerin im Prozess gegen Irmgard F. Sie wurde 1944 gemeinsam mit ihrer Mutter ins KZ Stutthof deportiert, ihr Ehemann und ihre 13-jährige Cousine wurden umgebracht.

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