Literaturnobelpreis 2021:Das sind die Favoritinnen und Favoriten für den Literaturnobelpreis

Alte Bekannte, ewige Kandidaten und vier Frauen: Wer gewinnt den Literaturnobelpreis in diesem Jahr? Die Top Ten der Wettanbieter.

Rang 10: Jon Fosse

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(Foto: Imago Stock&People)

Geboren 1959 in Haugesund, Norwegen Der Autor von Romanen wie "Rot, schwarz" (über die Wirren eines Halbwüchsigen) oder "Melancholie" (über den Maler Lars Hertervig, einen entfernten Verwandten Fosses) hat seine größten Erfolge mit Bühnenstücken gefeiert. Die Handlungen kreisen dabei immer wieder um Sprachlosigkeit, Einsamkeit, Traurigkeit und Scheitern. Das Stück "Traum im Herbst" etwa wurde von der SZ als "Todesmeditation so wahr und fragwürdig wie jede Existenzphilosophie" beschrieben. In "Die Nacht singt ihre Lieder" weiß ein junges Paar sich nichts mehr zu sagen, das Stück "Der Name" hat ein ähnliches Thema. Fosse, der seine Stücke nicht autobiografisch verstanden wissen will, wurde bereits als Beckett des 21. Jahrhunderts gefeiert. In der FAZ hieß es allerdings auch schon einmal: "Fosse ist langweilig, dieser Kulturkaiser ist nackt".

Rang 9: Péter Nádas

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(Foto: dpa)

Geboren 1942 in Budapest, Ungarn Péter Nádas wuchs in der ungarischen Hauptstadt auf, seine erste Erinnerung daran ist ein Bombenangriff, er erlebte den Aufbau des sozialistischen Staates und den Aufstand 1956. In den 1960er Jahren studierte er Chemie und schrieb und fotografierte für die Presse. Sein erster Band mit Erzählungen erschien 1967. Von 1969 an wurde Nádas aus der literarischen Öffentlichkeit ausgeschlossen. Sein Romandebüt "Ende eines Familienromans" fiel bis 1977 jahrelang der Zensur zum Opfer - Nádas galt dem System als unerwünscht. Der Autor reagierte auf seine Weise. Seit vielen Jahren lebt er mit seiner Frau im winzigen Dorf Gombosszeg, mehrere Stunden von Budapest entfernt, abgeschieden zunächst vom Regime, inzwischen aber auch von der Intellektuellenszene der Metropole. Die Besucher und Kameras, die er in den vergangenen Jahren in dieses Refugium gelassen hat, haben den Eindruck fast unwirklicher Ruhe und Strenge beschrieben, die das Entstehen seiner Monumentalwerke "Buch der Erinnerung" (1986) und "Parallelgeschichten" (2005) wohl erst ermöglicht haben. An den "Parallelgeschichten" - einer hochkompliziert verschachtelten Reise durch die Orte und Momente zweier Familiengeschichten - arbeitete der Autor 18 Jahre lang. Während dieser Zeit blieb einmal sein Herz minutenlang stehen - diese Erfahrung und wie sie ihn verändert hat, beschreibt Nádas in seinem Buch "Der eigene Tod". 2012 erschienen schließlich die 1728-seitigen "Parallelgeschichten" in deutscher Übersetzung. Sie gelten den einen als unlesbar und werden von anderen als krönender Abschluss der Romantradition des 20. Jahrhunderts gepriesen.

Rang 8: Maryse Condé

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(Foto: AFP)

Geboren 1937 in Pointe-à-Pitre, Guadeloupe Die Erforschung der eigenen Wurzeln ist das literarische Hauptmotiv der 84-jährigen Schriftstellerin Maryse Condé, der Grande Dame der karibischen Dekolonialisierungsliteratur. Behütet aufgewachsen auf Guadeloupe, ging die damals 16-Jährige 1953 zum Studium der Vergleichenden Literaturwissenschaften nach Paris und wurde dort zum ersten Mal in ihrem Leben mit Rassismus konfrontiert. Später verbrachte die Autorin zehn Jahre in Westafrika - auf der Suche nach ihren Vorfahren und in ständiger Konfrontation mit dem (Post-)Kolonialismus. Ihr zweibändiges Familien-Epos "Segu. Mauern aus Lehm" (1988) machte sie in den Achtzigerjahren international bekannt. In ihrer Familienbiografie "Victoire" (2018) erzählt sie vom Leben ihrer Großmutter und den ethnischen Konflikten auf Guadeloupe, die bis heute andauern. Neben Romanen schrieb Condé Theaterstücke und Kinderbücher, arbeitete als Korrespondentin für die BBC und als Literaturdozentin an der Columbia University New York und an der Sorbonne in Paris. Nur ein kleiner Teil ihres Werks ist bisher auf Deutsch übersetzt, zuletzt die biografischen Werke "Das ungeschminkte Leben" und "Mein Lachen und Weinen". Condé wurde 2018 der Alternative Literaturnobelpreis verliehen - von einer Initative, die sich nach den Missbrauchsskandalen der Schwedischen Akademie gegründet hatte.

Rang 7: Lyudmila Ulitskaya

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(Foto: AFP)

Geboren 1943 in Dawlekanowo, Russland Ljudmila Ulitzkaja gelingt es, die großen historischen Wendepunkte in der jüngeren Geschichte Russlands anhand sehr persönlicher Schicksale zu erzählen. Themen wie den stalinistischen Terror, die Dissidentenbewegung in der Sowjetunion und den Untergang letzterer verpackt Ulitzkaja in komplexe, aber dennoch leicht zu lesende Alltagsbeobachtungen und Lebensläufe. Ulitzkaja arbeitete zunächst als Genetikerin, bis sie 1969 wegen illegaler Verbreitung von verbotener Literatur entlassen wurde. 1992 erschien in einer Moskauer Literaturzeitschrift ihre Novelle "Sonetschka", die schon kurz darauf weltweit verlegt wurde. Heute gilt Ulitzkaja mit Romanen wie "Das grüne Zelt", "Daniel Stein" oder ihrer autobiografisch angehauchten Textsammlung "Die Kehrseite des Himmels" - zuletzt erschien von ihr "Eine Seuche in der Stadt" - als eine der einflussreichsten Schriftstellerinnen Russlands - und zugleich als scharfe Kritikerin der russischen Politik: "Ich schäme mich für mein ungebildetes und aggressives Parlament, für meine aggressive und inkompetente Regierung, für die Staatsmänner an der Spitze, Möchtegern-Supermänner und Anhänger von Gewalt und Arglist, ich schäme mich für uns alle, für unser Volk, das seine moralische Orientierung verloren hat", schrieb sie 2014.

Rang 6: Jamaica Kincaid

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(Foto: imago images/TT)

Geboren 1949 in Saint John's, Antigua und Barbuda Auch Jamaica Kincaid steht jedes Jahr ganz vorne auf der Liste der Literatur-Nobelpreiskandidatinnen. Mit 16 Jahren kam sie aus Antigua als Haushaltshilfe in die USA und wurde mit 25 im New Yorker durch ihre ersten Erzählungen über Nacht berühmt. Ihren Geburtsnamen Elaine Cynthia Potter Richardson ließ sie 1973 ändern, da ihre Familie ihre Schriftstellerei missbilligte. Erste schriftstellerische Arbeiten von Jamaica Kincaid waren Artikel für das Ingenue Magazine. Sie veröffentlichte ihre Erfahrungen über das Erchwachsenwerden im Ausland in ihren Romanen Annie John und Lucy. 1992 wurde sie in die Anthologie Daughters of Africa aufgenommen. Heute ist sie Professorin für Literatur am Claremont McKenna College und unterrichtet zudem noch afrikanische und afro-amerikanische Studien sowie englische und amerikanische Sprache an der Harvard University. Außerdem ist Jamaica Kincaid begeisterte Botanikerin und Gärtnerin. Sie hat in Vermont einen Garten angelegt, worüber sie ein Buch veröffentlicht hat, und sie hat ihre Erfahrungen einer botanischen Trekkingtour in den Nordosten Nepals im Jahr 2002 beschrieben.

Rang 5: Anne Carson

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(Foto: AP)

Geboren 1950 in Toronto, Kanada Auch Anne Carson steht nicht zum ersten Mal auf der Favoritenliste für den Literaturnobelpreis. Carsons berufliche Beschäftigung - sie ist studierte Altphilologin und unterrichtet klassische griechische und römische Literatur - schlägt auch in ihren Büchern durch: In ihrem Versroman "Rot" überträgt sie die Geschichte von Geryon und Herakles in die heutige Zeit. Die Parallelität von Antike und Gegenwart durchzieht ihr umfangreiches Werk, ihr Stil changiert zwischen Prosa und Lyrik. Carson mag hierzulande wie ein Geheimtipp wirken, gehört in ihrer Heimat aber längst zu den bedeutendsten Dichterinnen der Gegenwart.

Rang 4: Margaret Atwood

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(Foto: imago/ZUMA Press)

Geboren 1939 in Ottawa, Kanada Margaret Atwood ist die erfolgreichste Autorin Kanadas. In ihren Büchern, die in mehr als 30 Sprachen erschienen sind, verarbeitet sie gesellschaftspolitische Themen in Form von Science-Fiction-Erzählungen - und arbeitet sich so etwa an der gesellschaftlichen Stellung der Frau oder Umweltthemen ab. Ihr dystopischer Roman "Der Report der Magd" ("The Handmaid's Tale") aus dem Jahr 1985 tauchte nach der Wahl Donald Trumps zum US-Präsidenten wieder auf den internationalen Bestsellerlisten auf und wurde daraufhin erfolgreich als Serie mit Starbesetzung verfilmt. Kurz gesagt: "The Handmaid's Tale" wurde Kult. Nach 34 Jahren erschien 2019 die Fortsetzung "Die Zeuginnen", die die Geschichte um das frauenfeindliche Regime zu Ende erzählt. Mit "Die Zeuginnen" steht Atwood auf der Shortlist für den diesjährigen Booker-Preis. 2017 wurde ihr der Friedenspreis des deutschen Buchhandels verliehen.

Rang 3: Haruki Murakami

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(Foto: AFP)

Geboren 1949 in Kyōto, Japan Auch Haruki Murakami gehört zu den Langzeitkandidaten der Wettlisten zum Literaturnobelpreis. Sein Stil - oft surreal mit märchenhaften Elementen und zugleich vielen Bezügen zur internationalen Popkultur, besonders der Musik - hat weltweit Fans gefunden. Der Japaner, der zwischenzeitlich als Gastprofessor an US-Universitäten tätig war, hat sich außerdem mit prägenden zeitgeschichtlichen Momenten auseinandergesetzt. Etwa in dem Band "Untergrundkrieg", der Interviews mit Überlebenden und Opferangehörigen des Giftgasanschlags auf die Tokioter U-Bahn im Jahr 1995 enthält. Im sich verschärfenden Konflikt zwischen China und Japan publizierte Murakami 2013 einen Appell in der japanischen Presse: Nationalismus sei "wie billiger Alkohol", er mache "betrunken und hysterisch" - man müsse vorsichtig sein mit Politikern und Polemikern, die "diesen billigen Alkohol einschenken und Randale schüren". Zuletzt erschien 2021 Murakamis Erzählband "Erste Person Singular".

Rang 2: Ngugi Wa Thiong'o

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(Foto: Alejandro Garcia/imago)

Geboren 1938 in Kamĩrĩthũ, Kenia Ewiger Favorit: Der Kenianer, der immer wieder als Anwärter auf den Literaturnobelpreis gehandelt wird, lebt und arbeitet im Spannungsfeld zwischen Englisch (dem Vermächtnis der einstigen britischen Kolonialherren) und Kikuyu - der Sprache von etwa acht Millionen Menschen, der größten ethnischen Gruppe Kenias. Bis heute ist Ngũgĩ wa Thiong'o, 83, tief geprägt vom Kampf um die Entkolonialisierung seiner Heimat in den 1950er und 60er Jahren, in den auch seine Familie verwickelt war. Weshalb er in den 1970ern beschloss, nicht mehr auf Englisch zu schreiben, denn: "Sprache war das Mittel der geistigen Unterjochung." Diese radikale Entscheidung und das Stück "Ich werde dich heiraten, wann ich will" (1977) brachten den Autor in Konflikt mit der damaligen Kenyatta-Regierung und zeitweilig ins Gefängnis. Der Literaturwissenschaftler ging ins Exil und unterrichtete unter anderem in Yale, New York und Kalifornien. Seine Bücher, "Decolonizing the Mind", das autobiografische "Träume in Zeiten des Krieges - eine Kindheit" oder der 1000-Seiten-Roman "Herr der Krähen" über einen größenwahnsinnigen fiktiven Despoten kreisen um Vergangenheit und Gegenwart Afrikas.

Rang 1: Annie Ernaux

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(Foto: Christoph Hardt/Future Image/imago images)

Geboren 1940 in Lillebonne, Frankreich Annie Ernaux wurde in Frankreich schon für ihre ersten Bücher gefeiert. Für "Der Platz" erhielt sie 1984 den renommierten Prix Renaudot. In Deutschland wurde man erst 2017 auf sie aufmerksam, als "Die Jahre" ins Deutsche übersetzt worden war. Darin brachte sie ihre außergewöhnliche Schreib­methode zur Vollkommenheit: Annie Ernaux erzählt autobiografisch, aber alles Persönliche ist zugleich ­his­torisch, exemplarisch, soziologisch. Sie wird deshalb mit Proust verglichen, und die auch in Deutschland ziemlich bekannten Autoren Édouard Louis und Didier Eribon bezeichnen sie als ihre Meisterin. In letzter Zeit erschienen mehrere Ernaux-­Bücher nacheinander in deutscher Übersetzung, zunächst "Erinnerung eines Mädchens" von 2016, dann "Der Platz" über den Tod des Vaters, 2019 "Eine Frau" über den Tod der Mutter, beide in den Achtzigerjahren geschrieben. Und zuletzt 2020 "Die Scham" über das beharrliche Gefühl der eigenen Unwürdigkeit.

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