Ringen:Silber zwischen gestern und morgen

Ringen - WM in Oslo

Kontrolle über die Gegnerin: Nina Hemmer (rechts) bei ihrem WM-Kampf gegen Andreea Beatrice Ana aus Rumänien.

(Foto: Kadir Caliskan/dpa)

Wie viele Olympiasportler stehen auch die Ringer vor ungewissen Zeiten. Die Top-Athleten sind zurückgetreten, die junge Generation muss sich plötzlich beweisen. Da kommt Nina Hemmers Silber bei der WM in Oslo gerade recht.

Von Volker Kreisl, Oslo/München

Es wirkte wie ein Absturz. Nina Hemmer, so schien es, hatte gerade erst die große runde Ringermatte betreten, da war der Kampf auch schon wieder vorbei. Denn sie war auf eine Art Taifun getroffen, eine Gewalt, der sie nahezu nichts entgegenzusetzen hatte, und wenn ja, dann verpufften ihre Versuche schnell. Es war das Finale der Weltmeisterschaft in Oslo, aber es war ein ungleicher Kampf. Ihre Gegnerin hieß Tsukumi Sakurai, und sie reihte Griff an Griff, sammelte in Windeseile ihre Punkte ein, als ginge es darum, noch den letzten Flieger nach Hause zu erwischen. Sie gewann dann vorzeitig - 10:0 nach Punkten, erbeutet in zwei Minuten und acht Sekunden.

"Ich bin auf Augenhöhe mit den anderen gewesen, das macht mir Mut", sagte die Japanerin danach. Umgekehrt kann so eine Vorstellung auch die Moral der Unterlegenen für längere Zeit brechen, aber davon war Nina Hemmer aus Dormagen-Ückerath weit entfernt. Finalniederlagen sind immer schmerzlich, doch Hemmer hat die Enttäuschung dann schnell überwunden. Sie hatte Silber gewonnen, es war ihre erste WM-Medaille, und die nächsthöhere Karrierestufe, wie sie erklärte. "Ich wollte dieses Finale unbedingt erreichen", sagte sie dem Sport-Informationsdienst. Sie hatte einen Plan und diesen umgesetzt.

Wie ein Olympia-Abspann - diese WM kommt acht Wochen nach den Spielen zu früh

Und weil all die Trainer, Betreuer und Chefs des Deutschen Ringer-Bunds bei der Siegerehrung doch glücklich wirkten, hatte Hemmer einen weiteren Grund, sich zu freuen. Ihr Silber war der bislang beste Beleg dafür, dass der trainingsintensive, uralte olympische Sport nicht weiter in die Nische gedrängt wird. Diese Ringer-WM in Norwegen ist ja für alle Nationalverbände ein Markierungspunkt zwischen gestern und morgen.

Sonst sind in diesem Sport Weltmeisterschaften eher im Spätherbst angesetzt, diesmal wirkt das Ringer-Top-Ereignis wie ein verspäteter Olympia-Abspann. Weil die Spiele gerade mal acht Wochen her sind, und man einen Neuaufbau der Form nach der Olympia-Erholung im Eilverfahren hätte durchziehen müssen, verzichteten zahlreiche Top-Ringer auf Oslo - wenn sie nicht eh schon ihre Karriere beendet hatten. Frank Stäbler, der mehrmalige Griechisch-Römisch-Weltmeister und nun Olympiadritte, und auch Freistilringerin Aline Rotter-Focken, Olympiasiegerin in Tokio, haben den Karriere-Gipfel Anfang August dazu genutzt, im idealen Moment aufzuhören.

Die Frage stellt sich nun, ob die nächste Generation irgendwann Ähnliches zuwege bringt. Die ersten Erfolge dieser WM müsse man wegen des etwas niedrigeren allgemeinen Niveaus auch relativ sehen, sagt Jannis Zamanduridis, Sportdirektor beim DRB. Dennoch wurde bei Halbzeit deutlich, dass eine längere Schwächephase wohl nicht droht. Nicht nur Hemmer hat eine Medaillengeschichte geliefert, sondern auch der Freistilkollege Horst Lehr, 21 Jahre alt und offenbar ein großes Talent. Zuletzt nämlich war sein hartnäckiger Gegner das Pfeiffersche Drüsenfieber, weshalb ihm Trainingsroutine fehlte. Dennoch gewann er nun Bronze, die erste Freistil-WM-Medaille der deutschen Männer seit 22 Jahren.

Zweimal hatte sie sich wieder befreit - dann war ihr die Medaille sicher

Das schafft Erleichterung. Nach Stäbler und Rotter-Focken "kommen also noch einige nach", stellte DRB-Präsident Manfred Werner fest. Dennoch, andere wie der Bronze-Gewinner von Rio 2016, Denis Kudla, oder der Schwergewichtler Eduard Popp müssten idealerweise noch bis Olympia 2024 ihr Niveau halten, solange die neue Generation noch keine Wettkampfhärte entwickelt hat. Stets droht ja die Gefahr, dass Trainingsstrukturen gestrichen werden, was bei der umkämpften Verteilung der Fördermittel durchaus passieren kann.

Die Freistil-Medaillen von Lehr und Hemmer (es folgen noch die Griechisch-Römisch-Kämpfe) sind also viel wert - fürs große Ganze und für die Sportler selbst. Nina Hemmer hatte zwar im großen Finale einen Rückschlag kassiert, eine Abreibung, in welche Ringer dann geraten, wenn sie unter steigendem Druck immer wieder dieselben Fehler begehen. Aber mit etwas Abstand bleibt ihr ja der Blick auf den Tag davor, den Weg in dieses Finale.

Den ersten Kampf gegen die US-Amerikanerin Jenna Rose hatte sie 14:4 vorzeitig gewonnen. Im zweiten wurde es knapp, Hemmer war eigentlich schon draußen, hatte aber beim Kampfgericht erfolgreich interveniert, ihr letzter Griff wurde doch noch gewertet. Und im entscheidenden letzten Ringkampf um den Finaleinzug lag sie erst quälend lang auf dem Rücken, wehrte sich gegen eine Schulter-Niederlage, befreite sich, fiel danach wieder nach Punkten zurück und holte am Ende doch alles auf. Damit hat sie durchaus allen ihre Hartnäckigkeit bewiesen, dem Verband, den Fördermittelverteilern - und sich selbst.

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