Boxen:Der Angekommene

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Auf einen Schlag: Mit seinem WM-Erfolg vor einem Jahr gegen Dominic Bösel (rechts) hat sich für den Boxer Robin Krasniqi fast alles verändert. (Foto: Martin Rose/Getty Images)

Knapp ein Jahr nach seinem dramatischen WM-Sieg im Halbschwergewicht will Robin Krasniqi seinen Titel am Samstagabend verteidigen. Damals wie heute steht ihm Dominic Bösel gegenüber - die Ausgangssituation ist jedoch eine völlig andere.

Von David Hopper

Immer und immer wieder hat Robin Krasniqi sich das Video in den vergangenen Monaten angeguckt. Es ist der 10. Oktober 2020, in der Magdeburger Getec-Arena läuft gerade die dritte Runde, als er zu einer Rechten ausholt. Krasniqi trifft Dominic Bösel, zu dem Zeitpunkt Weltmeister der IBO und WBA-Interimsweltmeister, spektakulär am Kopf. Bösel sackt zu Boden und steht nicht wieder auf. Krasniqi ist Weltmeister. Er, der nur als Ersatzgegner eingekauft wurde, weil der eigentliche Kontrahent Zac Dunn Corona-bedingt nicht aus Australien herauskam. Er, der Bösel als krasser Außenseiter doch eigentlich nur Paroli bieten sollte - und ihn dann besiegt. Und das vor 2,5 Millionen Fernsehzuschauern in der ARD, die das erste Mal seit langem wieder einen Boxkampf überträgt. Was für eine Geschichte. Ein Boxwunder, finden einige.

Wenige Tage vor der Revanche, bei der Krasniqi seinen Titel zum ersten Mal verteidigen will, isst er in einem Hotel in Magdeburg zu Mittag. Am Telefon wirkt er entspannt. Krasniqi ist höflich und sehr zuvorkommend. Er redet mit sanfter Stimme. Das Fleisch kommt erst eine halbe Stunde später? Kein Problem. Er gilt als Vorzeigeprofi, als Vorbild. Von Skandalen oder Eskapaden hört man nie etwas.

Nach seinem Sieg gegen Bösel wurde seine ungewöhnliche Lebensgeschichte rauf und runter erzählt, oft auf dramatische Art und Weise. Krasniqi wird in den Wirren des Kosovo-Krieges groß. Um zu überleben, flüchtet er mit seiner Mutter und seiner Schwester zwischenzeitlich in den Wald. Mit 17 kommt er nach München, wohin sein Vater als politisch Verfolgter geflohen war und einen Obst- und Gemüsehandel betreibt. Robin Krasniqi kann kein Deutsch, die Anfangszeit ist hart.

"Diese WM hat alle Wunden, die ich in den Jahren davor erlitten habe, geheilt", sagt Krasniqi

Seit seinem WM-Triumph hat sich aber nicht nur die persönliche, sondern auch die sportliche Wahrnehmung verändert. "Da ist mehr Respekt", erzählt Krasniqi. "Es wird nicht mehr so viel geredet." Und er hat Recht. Nachdem er den WM-Titel 2013 und 2015 verpasst hatte, war er für viele abgeschrieben. Nach den schmerzhaften Niederlagen gegen Nathan Cleverly und Jürgen Brähmer traute man ihm den großen Wurf einfach nicht mehr zu. Dass er eine dritte Chance auf die Weltmeisterschaft bekommen würde, schien unwahrscheinlich. Dass er sie nutzen würde, umso mehr. Dass er es letztendlich doch geschafft hat, ist für Krasniqi eine unheimliche Befriedigung. Man merkt sie ihm an. "Es ist toll, jeden Tag als Weltmeister wach zu werden", erzählt er. "Diese WM hat alle Wunden, die ich in den Jahren davor erlitten habe, geheilt."

Mit seinem neuen und alten Kontrahenten Dominic Bösel verbindet ihn eine gemeinsame Vergangenheit. Nachdem Krasniqi seine Karriere in der Münchner Boxfabrik angefangen hatte, wechselte er zur SES-Promotion nach Magdeburg. Als Stallgefährten waren Bösel und Krasniqi dort sechs Jahre lang Trainingspartner. Sportlich kennen sie sich gut. Ob sie daher auch eine Freundschaft verbindet? Krasniqi überlegt kurz. "Wir sind Profis", sagt er schließlich. "Wir waren nie die besten Freunde, aber wir haben uns immer respektiert." Dass Bösel nach seiner Niederlage im letzten Jahr am Samstagabend extrem unter Druck steht, sieht Krasniqi daher pragmatisch. Boxer hätten immer Druck, das sei normal.

Er selbst konnte sich auf den Kampf lange und intensiv vorbereiten. Er erzählt von einem Trainingslager im Bayerischen Wald, von seiner Arbeit mit einem Kraft- und Konditionsexperten und von seinen Einheiten mit Trainer Magomed Schaburow. Krasniqi gilt als Trainingsperfektionist, jeder Tag ist für ihn entscheidend. "Ich lege jedes Mal zu, ich will jedes Mal besser sein als bei der letzten Vorbereitung", erklärt er.

Anspannung? Klar, die sei immer da. In Magdeburg werden schließlich mehrere Tausend Zuschauer erwartet, die ARD überträgt wieder live. 2020 war seine Anspannung aber höher, das gibt Krasniqi zu. Die Ausgangssituation ist diesmal eben eine andere. Krasser Außenseiter ist niemand, viele erwarten einen ausgeglichenen Kampf.

Längst hat der Boxer sich neben seiner sportlichen Karriere außerdem andere Standbeine aufgebaut. Krasniqi lebt seit drei Jahren im kleinen Gersthofen. Im nahegelegenen Augsburg betreibt er ein erfolgreiches Box-Gym und einen Eisladen. Parallel ist er ins Immobiliengeschäft eingestiegen. Mittlerweile ist er 34, er boxt seit 16 Jahren professionell. Die nächsten zwei, drei Jahre wolle er aber auf jeden Fall noch weitermachen - unabhängig davon, wie der Kampf ausgeht. Am Samstag will er es wieder allen beweisen. Der entscheidende Unterschied zum vergangenen Jahr: Er muss es nicht mehr.

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