Österreich-Kolumne:Wechselseitige Begünstigung

Regierungskrise nach Hausdurchsuchung im ÖVP-Hauptsitz

Ein spezielles Verhältnis: Kanzler Sebastian Kurz und die Medien.

(Foto: Herbert Neubauer/dpa)

Unsere Autorin hat das Spiel um Geben und Nehmen zwischen Medien und Politik in Österreich selbst erlebt - als Chefredakteurin. Wieso die nun bekannt gewordenen Vorgänge rund um Kanzler Sebastian Kurz eine neue Qualität haben.

Von Alexandra Föderl-Schmid

Der Minister und sein Kabinettschef, beide Sozialdemokraten, hielten sich bei unserer ersten Begegnung nicht mit Floskeln oder einer Begrüßung auf, sondern kamen gleich zur Sache: Was die Redakteurin schreibe, sei immer so negativ, sie müsse weg. Zum Beweis schoben sie ausgedruckte Berichte und vor allem Kommentare über den Tisch, in denen Adjektive mit gelbem Leuchtstift angestrichen waren. Und dann der Nachsatz: Schließlich inseriere man so viel in dieser Zeitung. Inserate, das ist das österreichische Wort für Anzeigen, das sich praktischerweise auch in eine Verbform verwandeln lässt.

Es sollten noch mehrere Begegnungen dieser Art in meinen zehn Jahren als Chefredakteurin der Tageszeitung Der Standard in Wien folgen. Dass Politiker versuchen, sich mittels Anzeigen positive Berichterstattung zu erkaufen oder negative zu verhindern, ist nicht neu. Aber die den Hausdurchsuchungen im Kanzleramt und in der ÖVP-Parteizentrale zugrunde liegenden Chats offenbaren, dass sogar die Umfragen manipuliert worden sein sollen. Und das Finanzministerium soll die Rechnungen für die PR-Offensive des damaligen Außenministers Sebastian Kurz gezahlt haben, der es erst an die Spitze seiner Partei und schließlich ins Kanzleramt schaffte.

Erst die Korruptionsstaatsanwälte hatten die Möglichkeit, alles aufzudecken

All das, was diese Woche publik wurde, ist in Grundzügen im 2019 erschienenen Buch von Reinhold Mitterlehner mit dem Titel "Haltung" (Ecowin) zu lesen. Im Kapitel, das mit "Machtübernahme" überschrieben ist, schreibt der 2017 von Kurz als ÖVP-Chef verdrängte Mitterlehner, "dass Kurz und seine Vertrauten sich bereits seit mehr als einem Jahr minutiös auf die Übernahme des Parteivorsitzes und der Partei vorbereitet hatten (inklusive Umfragen, Werbekonzepten, Strategiepapieren und Fundraising für einen allfälligen Nationalratswahlkampf)".

Journalisten haben sich seither bemüht, die Hintergründe zu recherchieren. Aber erst die Korruptionsstaatsanwaltschaft hatte durch den Zugang zu den Chatprotokollen des Kurz-Vertrauten Thomas Schmid die Möglichkeit, all das aufzudecken. Das hat eine neue Qualität und liegt jenseits des üblichen Systems von Geben und Nehmen, der wechselseitigen Begünstigung.

Solche Vorgänge haben dazu geführt, dass in diesem Land, in dem in Politik und Medien jeder jeden kennt, das Wort Inseratenkorruption erfunden worden ist. Denn es geht um Millionen: Neun Millionen Euro machte im Vorjahr die offizielle Presseförderung aus, die nach festgelegten Kriterien zur Unterstützung des Vertriebs oder der Beschäftigung von Auslandskorrespondenten vergeben wird. Die Summe, die staatliche Stellen - von Ministerien bis zu staatsnahen Firmen und Organisationen - nach eigenem Gutdünken ausgeben, ist jedoch weitaus höher: rund 200 Millionen Euro pro Jahr. Die aktuelle Regierung aus ÖVP und Grünen hat im Vorjahr 47,5 Millionen Euro ausgegeben, so viel wie noch keine vor ihr. All das sind Gelder, für die die Steuerzahler aufkommen.

Mehr als die Hälfte der Ausgaben für Inserate landen laut einer Studie des Medienhauses Wien bei den drei Boulevardmedien Österreich, Kronen Zeitung und Heute. Dort sind die Eigentümer gleichzeitig Chefredakteure bzw. Geschäftsführer. Auch bei anderen Verlagen, die Qualitätsmedien herausgeben, sind Chefredakteure gleichzeitig Geschäftsführer, Eigentümer oder Herausgeber. Das mag ein Grund dafür sein, dass man es mit der Trennung von Anzeigen und Berichterstattung nicht immer so genau nimmt.

Viele beugen sich dem Druck - es gibt aber auch Ausnahmen

Es mutet aus der Ferne etwas seltsam an, wenn der Verein der österreichischen Chefredakteure kritisiert, dass durch die aktuell via Staatsanwaltschaft kolportierten Vorgänge Werbung in Medien unter Generalverdacht gerate und desavouiert werde.

Es braucht aber immer zwei, damit ein solches System funktioniert: Politiker, die versuchen, sich mittels Anzeigen positive Berichterstattung zu kaufen, und Medien, die dies ermöglichen. Oder noch schlimmer: die mit negativer Berichterstattung drohen, sollte man nicht Anzeigen buchen.

Viele beklagen sich über diese Praxis, aber beugen sich dann doch dem Druck - mit wenigen Ausnahmen. Als die damalige Außenministerin Karin Kneissl (FPÖ) nach ihrem Amtsantritt 2017 die Inserate an Österreich reduzierte, wurde sie von Wolfgang Fellner in seiner Kolumne als "schräg, wirr, teilweise ahnungslos" beschrieben. Sie fühlte sich an an "Mafia-Methoden wie im Chicago der 1930er-Jahre" erinnerte, sagte sie nach ihrem Ausstieg aus der Politik der Rechercheplattform Dossier.

Vor allem die Boulevardmedien in Österreich sind mächtig, sie können Karrieren befördern oder vernichten. Das weiß die Weltöffentlichkeit spätestens seit dem Ibiza-Video, in dem sich Heinz-Christian Strache ausmalte, was man alles erreichen könnte, wenn nur die Kronen Zeitung die FPÖ pushen würde, und dann würde man zack, zack, zack die falschen Leute abservieren und die richtigen hereinholen.

Die am Anfang beschriebene Redakteurin, die angeblich so viele negative Adjektive benutzt, schreibt übrigens noch immer bei derselben Zeitung über dieselben Themen, der Politiker und sein Kabinettschef sind längst zurückgetreten - aber nicht wegen einer Inseratenaffäre.

Diese Kolumne erscheint am 8. Oktober 2021 auch im Österreich-Newsletter, der die Berichterstattung zu Österreich in der Süddeutschen Zeitung bündelt. Hier gleich kostenlos anmelden.

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