Motorsport:Jagd auf Mr. X

Assen: DTM TT Circuit Assen 2021, (Photo by Hoch Zwei) 11 Marco Wittmann (D), BMW M6 GT3, Walkenhorst Motorsport *** Ass

"Da ist etwas schief gelaufen": Marco Wittmann in seinem BMW M6.

(Foto: HOCH ZWEI / Gruppe C Photography/Imago)

Der zweimalige DTM-Champion Marco Wittmann sieht sich vor den finalen Rennen am Norisring von einer Software um die Titelchancen gebracht.

Von Thomas Gröbner, München/Nürnberg

Es sind seltene und gefährliche Momente im Rennsport, in denen Simulation und Realität auseinanderdriften, das weiß Marco Wittmann nun. Seine Titelambitionen in der Rennsportserie DTM wurden in Hockenheim von einem virtuellen Fahrer über den Haufen gefahren. Einem Mann ohne besondere Talente oder Eigenschaften, nennen wir ihn Mister X.

Unermüdlich dreht dieser Mister X in einer Software seine Runden; ohne Verbremser, ohne müde zu werden. Gefüttert mit den Daten von Tausenden Runden errechnet die DTM so, wie schnell die Autos über den Kurs donnern werden. Unverzichtbar ist das für den Wettbewerb, denn auf der Grundlage dieser simulierten Fahrten wird die "Balance of Power" ausgerichtet. Ein paar Kilo werden dann in die schnellsten Autos gepackt oder der Ladedruck wird verringert. Alles für das Versprechen: Auf dem Asphalt seid ihr alle gleich. Doch zuletzt stimmte irgendetwas nicht mit Mister X, "da ist etwas schief gelaufen", glaubt Wittmann.

Die Balance of Power schien am vergangenen Wochenende aus dem Gleichgewicht, sie kippte. Auf der Strecke konnten die BMW-Fahrer nicht mit Mister X mithalten, so wie die Simulation es errechnet hatte. Im Training war der Titelkandidat plötzlich Letzter, im Qualifying lag Wittmann am Samstag 1,225 Sekunden zurück, eine kleine Ewigkeit.

Dabei hatten sie alles versucht bei Wittmanns Rennstall Walkenhorst Motorsport, sie klapperten das Fahrerlager ab, lagen dem Rechteinhaber Internationale Tourenwagen Rennen (ITR) in den Ohren, um doch noch auf die Strecke gehen zu dürfen und die Diskrepanz zu belegen. Doch die Konkurrenz blieb hart und lehnte ab. Gram ist ihnen Wittmann nicht, "ich hätte das auch nicht gemacht". Wenn es so eng zugeht, will man seinen härtesten Gegnern keine Zugeständnisse machen. Und so zuckelten die BMW-Fahrer unverändert auch am zweiten Renntag hinterher. Nach 44 Punkten in Assen blieb Wittmann in Hockenheim ohne Zähler, seine Gegner fuhren ihm davon, die Titelchance war dahin.

Der Fürther Wittmann, DTM-Champion der Jahre 2014 und 2016, hat nun nur noch theoretische Chancen auf den Titel auf seiner Heimstrecke. Am Telefon sagt der 31-Jährige: "Mir geht es darum, das Wochenende zu gewinnen." Pause. "Äh, zu genießen." Es scheint ihm nicht leicht zu fallen, sich aus dem Vierkampf an der Spitze zu verabschieden, den er so verinnerlicht hat.

Auf kaum einem anderen Kurs geht es so chaotisch zu wie in "Fränkisch-Monaco"

Auf höchstens noch zwei Prozent beziffert er seine Chancen auf den Titel. Denn dazu müsste das Spitzentrio ausfallen: Der Neuseeländer Liam Lawson (206 Punkte), der Südafrikaner Kelvin van der Linde (192) und der Unterfranke Maximilian Götz (180) sind enteilt. Und Wittmann, der 165 Punkte für sich notiert, müsste gleichzeitig beide Rennen gewinnen. Hoffnung macht er sich da keine mehr: "Das ist alles weit hergeholt."

Andererseits: Auf kaum einer Strecke geht es so chaotisch zu wie am Norisring, oder "Fränkisch-Monaco", wie die Motorsportfans den kleinen Stadtkurs nennen. Wie im Fürstentum schnüren Leitplanken die enge Strecke ein, die vier Kurven verzeihen keine Fehler, "ein Kuss an der Wand kann das Aus bedeuten", sagt Wittmann. Fehlen eigentlich nur die Casinos, der Yachthafen und die Millionäre, aber am Wochenende werden ja eher "Drei im Weggla" gereicht als Kaviar, und auf der Steintribüne sitzen Motorsportfreunde statt Monarchen.

Es grenzt an ein kleines Wunder, dass die DTM überhaupt wieder vorfährt in Nürnberg. "Vor einem Jahr hatte ich gedacht, die Serie ist tot", nicht einmal Wittmann hatte an eine Wiederauferstehung des angeschlagenen Formats geglaubt. Doch der ehemalige Formel-1-Profi Gerhard Berger schaffte es, der dahinsiechenden Serie mit den drei Buchstaben erneut Leben einzuhauchen. Nach der Class-one-Ära, in der die Rennwagen nach einem gemeinsamen Reglement gebaut wurden, setzt die DTM nun auf die breite Plattform der GT3-Rennwagen, das konnte den Hersteller-Exodus stoppen. Mercedes, Audi, Ferrari, BMW und Lamborghini sind dabei, bis auf letztere konnten alle Siege einfahren.

An diesem Wochenende soll auch BMW wieder mithalten können. Der ITR-Technikchef Michael Resl bestätigte gegenüber Motorsport Total inzwischen Wittmanns Vermutung, dass die Simulation in wichtigen Parametern Abweichungen aufwies. Die Balance of Power wird für den Norisring noch einmal zugunsten der BMW-Rennboliden angepasst werden - mehr Ladedruck also für den M6. "Wir gehen davon aus, dass der BMW hier wieder voll konkurrenzfähig sein wird," glaubt Resl. Diesmal sollte Mister X also wieder zu schlagen sein.

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