Südkorea:Die Gewinnerin ist tot

Byun Hui-su

Byun Hee-soo am 22. Januar 2020 während einer Pressekonferenz. Im März 2021 wurde sie tot in ihrer Wohnung gefunden.

(Foto: Ahn Young-joon/AP)

Byun Hee-soo war die erste Transgender-Soldatin der südkoreanischen Armee - und wurde wegen ihrer Geschlechtsanpassung entlassen. Jetzt gab es ein wegweisendes Gerichtsurteil zu dem Fall. Für die Soldatin kam es zu spät.

Von Thomas Hahn, Tokio

Es ist schwierig, von einem Happy End zu reden im Prozess der Soldatin Byun Hee-soo, die zu Lebzeiten darum kämpfte, auch nach ihrer geschlechtsanpassenden Operation in Südkoreas Armee bleiben zu dürfen. Denn die Gewinnerin ist tot. Dennoch ist das Urteil des Landgerichts in Daejeon vom vergangenen Donnerstag ein Fortschritt im Kampf gegen die Diskriminierung von Transgender-Menschen im Tigerstaat.

Es besagt, dass die Entlassung Byun Hee-soos im Januar 2020 nicht rechtens war. Die Armee hätte sie als Frau und nicht als verstümmelten Mann behandeln müssen. Ihre Anhänger freuen sich. Am Freitag erklärte das Verteidigungsministerium in Seoul, es werde eine Studie veranlassen zu der Frage, ob und wie die Regeln für Transgender-Menschen im Militärdienst zu ändern seien. Das verspätete Urteil könnte ein Wendepunkt werden - den Südkorea aus Sicht von Menschenrechtlern allerdings auch nötig hat.

Südkorea besticht dieser Tage wieder mit seiner kreativen Kraft. Die Netflix-Serie "Squid Game" von Regisseur Hwang Dong-hyuk ist ein Welterfolg. Die bildmächtige Mischung aus Gewalt, Spannung, Kapitalismuskritik und Korea-Bezügen lässt kaum jemanden kalt. Wieder mal zeigt sich, dass das kleine reiche Halbinselland auf manchen Gebieten ein Riese ist.

Aber der Erfolg lenkt auch ein bisschen davon ab, dass Südkorea nicht nur ein konkurrenzfähiger Wirtschafts- und Entertainment-Standort ist, sondern auch eine konservative Gesellschaft. Eine Gesellschaft, in der sich das Recht auf Freiheit längst nicht so schnell fortentwickelt wie der Ausbau des ultraschnellen Internets oder die nächste Smartphone-Generation.

Die LGBTQ+-Gemeinde im Land kann davon erzählen. Sie hat in den vergangenen Jahrzehnten keineswegs erfolglos für die Anerkennung sexueller Minderheiten gekämpft, hat ein reges Vereinsleben aufgebaut, Demonstrationen veranstaltet, eigene Clubs und Festivals etabliert. Trotzdem gelten für die Mehrheit in Südkorea weiterhin die klassischen Geschlechter-Muster. Sich zu outen, kann riskant sein. Erst Mitte September kritisierte die Menschrechtsorganisation Human Rights Watch Südkoreas Regierung in einem ausführlichen Report wegen "allgegenwärtiger" Diskriminierung.

Byun Hee-soos Fall ist dafür ein Beispiel. Ihre Geschichte erzählt davon, dass man sich nicht aussuchen kann, wer man ist.

Für die Armee nicht mehr tauglich

Einerseits war sie ein überzeugtes Mitglied der südkoreanischen Armee. Stabsfeldwebel mit Panzerführerschein, stationiert in der Provinz Gyeonggi. Andererseits konnte sie das Gefühl nicht aushalten, im falschen Körper zu stecken.

2019 nahm sie in Thailand die geschlechtsanpassende Operation vor. Südkoreas Behörden akzeptierten den Schritt. Byun Hee-soo wurde offiziell eine Frau. Ihre persönlichen Dokumente wurden umgeschrieben. Trotzdem reagierte die Armee im Januar 2020 mit der Entlassung. Grund: Der Verlust des Geschlechtsteils führe nach Militärrecht zu einer Behinderung. Byun Hee-soo sei für die Armee nicht mehr tauglich.

Byun Hee-soo gab damals eine Pressekonferenz, wenige Tage nach der Entlassung. Sie trug Uniform und Barett. Sie stand aufrecht, wie es sich für eine Soldatin gehört. Unter Tränen erzählte sie von ihrer Verwandlung. "Es war eine extrem schwierige Entscheidung, meinen Stützpunkt meine Identität wissen zu lassen. Aber als ich das gemacht hatte, fühlte ich mich viel besser", sagte sie. Und unmissverständlich machte sie klar, dass sie ihren Dienst am Vaterland nicht so einfach aufgeben könne. "Abgesehen von meiner Geschlechter-Identität, möchte ich allen zeigen, dass ich auch zu den großartigen Soldaten gehören kann, die dieses Land beschützen."

LGBT Supporters Gather At The Seoul Queer Culture Festival

Lieber hinter der Maske verstecken? Ein Teilnehmer des queeren Kulturfestivals in Seoul im Sommer 2019.

(Foto: Chung Sung-Jun/Getty Images)

Die Armee lehnte ihren Einspruch ab. Sie klagte. LGTBQ+-Organisationen unterstützten sie. Aber der seelische Druck muss mächtig gewesen sein. "Die Leute kannten ihr Gesicht, deshalb bekam sie keinen Job. Das war schlimm für sie", hat Lee Jong-geol, Generaldirektor des Seouler Homosexuellen-Clubs Chingusai, der SZ kurz nach ihrem Tod erzählt. Im März wurde Byun Hee-soo tot in ihrer Wohnung in Cheongju gefunden. Sie wurde 22 Jahre alt.

Die Familie betrieb die Klage weiter. Und nun ist das Urteil also da. Das Landgericht in Daejeon bestätigt, dass Byun Hee-soo rechtskräftig als Frau anerkannt war und die Armee sie entsprechend hätte einsetzen müssen. "Wenn man die Normen für Frauen zugrunde legt, sind geistige oder körperliche Behinderungen kein Grund für eine Entlassung", heißt es im Urteil. Byun Hee-soos Anhänger sind erleichtert, aber nicht versöhnt.

"Natürlich und dem gesunden Menschenverstand folgend" nennt das Zentrum für Menschrechte im Militär (MHRC) das Urteil. Es habe viel zu lange gedauert, bis es endlich da war. Der Sieg ist wegweisend und bitter zugleich. Byun Hee-soo könnte noch am Leben sein, wenn das Gericht schneller gewesen wäre.

Südkoreas Streitkräfte gehören zu den größten der Welt. Die Wehrpflicht gilt für jeden nichtbehinderten Mann zwischen 18 und 28 und ist fast alternativlos. Seit Jahren stehen sie unter Druck, weil Zeugen und Menschenrechtsaktivisten von Gewalt und sexuellen Übergriffen berichten. Die neue Netflix-Serie "D.P." greift das Thema auf. Es sei schon besser geworden, heißt es. Aber das Problem ist nicht gelöst. Darauf wies auch der Umgang mit den Enthüllungen einer Luftwaffensoldatin hin, die im Mai tot aufgefunden wurde. Im August wurde eine Reform verabschiedet, wonach sexuelle Übergriffe und andere Gewalttaten von Soldaten künftig direkt vor das Zivilgericht kommen, nicht mehr vor das Militärgericht.

Das posthume Urteil zugunsten Byun Hee-soos ist die nächste Niederlage für Südkoreas Militär. In einem Statement teilte die Armee mit: Man akzeptiere den Richterspruch. Man werde den Fall prüfen und über eine mögliche Berufung entscheiden.

Einsicht klingt anders.

Anmerkung der Redaktion: Wir haben uns entschieden, nur sehr zurückhaltend über Suizide oder Suizidversuche zu berichten. Der Grund ist die hohe Nachahmerquote nach jeder Berichterstattung über Selbsttötungen. Wenn Sie sich selbst betroffen fühlen, kontaktieren Sie bitte umgehend die Telefonseelsorge (http://www.telefonseelsorge.de). Unter der kostenlosen Hotline 0800-1110111 oder 0800-1110222 erhalten Sie Hilfe von Beratern, die in vielen Fällen Auswege aus schwierigen Situationen aufzeigen konnten.

Zur SZ-Startseite
actout Multipics

SZ PlusInitiative #actout
:"Wir sind schon da"

185 Schauspieler*innen outen sich - und fordern mehr Anerkennung. Mit der Initiative #actout und einem Manifest wollen sie eine Debatte anstoßen. Sechs von ihnen sprechen im SZ-Magazin über Klischeerollen und die immer wiederkehrende Warnung vor dem Coming-out.

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: