"Supernova" im Kino:Elementarteilchen

"Supernova" im Kino: Halt geben: Colin Firth (links) und Stanley Tucci in "Supernova".

Halt geben: Colin Firth (links) und Stanley Tucci in "Supernova".

(Foto: Weltkino)

Zum Heulen schön: Colin Firth und Stanley Tucci spielen ein Liebespaar im Drama "Supernova".

Von Martina Knoben

Eine Supernova ist das kurze Aufleuchten eines Sterns, bevor er stirbt. Er explodiert und schleudert fast seine gesamte Materie ins Weltall, aus der dann neue Himmelskörper entstehen. Die Welt, sie ist ganz grundsätzlich auf dem Prinzip von Import und Export aufgebaut; auch die Bausteine des Lebens auf der Erde stammen großteils aus weit entfernten Galaxien.

Um Begegnung und Austausch geht es auch im Film von Harry Macqueen, der von der Liebe zweier Männer erzählt. "Supernova" beginnt mit einem Blick in den Nachthimmel, es folgt das Bild zweier ineinandergefügter Hände: Tusker (Stanley Tucci) liegt neben Sam (Colin Firth) im Bett und zeigt ihm, wie er die Milchstraße findet. Dieser Schnitt verbindet die Weite des Weltalls mit der Intimität einer Zweierbeziehung. Für Tusker und Sam, erzählt diese Montage, bedeutet der andere die Welt. Die kosmische Weite spiegelt sich in der Liebe, der Tiefe einer Paarbeziehung.

Echte Gleichberechtigung beginnt erst da, wo die sexuelle Identität kaum noch eine Rolle spielt

Die beiden Männer sind seit über zwanzig Jahren zusammen, und jedes zärtliche (von Harry Macqueen pointiert geschriebene) Frotzeln, jeder Wortwechsel, jedes Aneinanderkuscheln im Bett zeigt, wie viel die beiden einander bedeuten. Dass es eine schwule Beziehung ist, spielt dabei kaum eine Rolle. Damit könnte "Supernova" mehr für die Anerkennung homosexueller Partnerschaften leisten, als so mancher ausdrückliche Schwulenfilm. Echte Gleichberechtigung beginnt schließlich erst da, wo die sexuelle Identität kaum noch eine Rolle spielt, nur eine Eigenschaft unter vielen ist.

Tusker ist Schriftsteller, klein und drahtig, er sprüht nur so vor Geist und Witz. Sam ist Pianist, der bärige Typ, mit einer breiten Schulter zum Anlehnen und viel Gefühl. Es ist verblüffend, wie gut die beiden Stars harmonieren. Die Chemie zwischen Stanley Tucci und Colin Firth stimmt, vielleicht weil sich die beiden auch privat schon länger kennen.

"Supernova" im Kino: Die Chemie zwischen Stanley Tucci und Colin Firth stimmt, vielleicht weil sich die beiden auch privat schon länger kennen.

Die Chemie zwischen Stanley Tucci und Colin Firth stimmt, vielleicht weil sich die beiden auch privat schon länger kennen.

(Foto: Weltkino)

In ihrem alten Wohnmobil fahren Tusker und Sam durch England, sie besuchen Freunde und Verwandte und Orte, an denen sie zusammen glücklich waren. Ihre kleinen Frotzeleien - "Könntest du etwas schneller fahren? Wie wäre es, wenn du mal die oberen Bereiche der fünf Gänge erforschen würdest?" - sind funkelnde Lichtblicke in einer traurigen Erzählung. Tusker ist an einer frühzeitigen Demenz erkrankt und hat schon erste Ausfallerscheinungen.

Immer wieder kontrastiert der Film fast unangenehm klare, scharfgezeichnete, wunderschöne Bilder nordenglischer Berglandschaften mit Nahaufnahmen des Paares in einem weichen Licht. Die Natur erscheint als Folie, von kalter Ewigkeit, vor der sich die Tragödie des Paares, aber auch das wärmende Miteinander etwa bei einer Familienfeier abspielt.

Tusker will sein Leben beenden, bevor sein Geist verschwindet, aber sein Partner will ihn nicht loslassen

Regisseur Harry Macqueen hat auch das Drehbuch geschrieben, den Anstoß lieferten Fälle früher Demenz im Bekanntenkreis. Er hat dann gründlich zu dem Thema recherchiert - und doch ist "Supernova" nicht in erster Linie ein Alzheimer-Film. Davon hat es in letzter Zeit eine Menge gegeben. Die Härte der Krankheit wird in den Filmen gern durch Pointen oder einen dichtgepackten Plot gemildert, auch "Supernova" ist keine realistische Schilderung einer Alzheimer-Erkrankung. Einfühlsamer als viele Vorgänger ist der Film dennoch, wenn er etwa Tuskers Verlust seines Geistes und seiner Identität anhand der Aufzeichnungen in dessen Notizbuch vorwegnimmt: Tusker hatte vorgegeben, an einem neuen Buch zu schreiben, Sam entdeckt sein Notizbuch. Und findet von Seite zu Seite zunehmend wirrere, unleserlichere Aufzeichnungen, schließlich nur noch leere Seiten. Die letzten lesbaren Worte sind "Lieber Sam", immer wieder hat Tuskers mit erkennbar äußerster Anstrengung versucht, die Worte "Lieber Sam" auf Papier zu bringen. Der Moment ist herzzerreißend.

Am Ende geht es um die Selbstbestimmung des Kranken - Tusker will sein Leben beenden, bevor sein Geist verschwindet; Sam will ihn nicht gehen lassen. Eine Aufopferungsbereitschaft auch aus egoistischen Motiven. Von Anfang an hatte der Film visuelle Gegensätze aufgebaut, auch als Vorbereitung auf diesen Streit der Männer. Dass die beiden schwul sind, ist auch da unwichtig, aber es sind erkennbar Männer, aggressiv und durchsetzungsstark, die plötzlich körperlich aufeinander losgehen. Die aufregendste Action aber spielt sich in Sams Gesicht ab: Trauer und Wut sind zu erkennen, schließlich widerstrebende Akzeptanz. Große Schauspielkunst ist in "Supernova" zu sehen, vor allem Colin Firth dürfte sich mit dem Film für einen Oscar empfehlen. Zum Heulen schön.

Supernova, GB 2020 - Regie, Buch: Harry Macqueen. Kamera: Dick Pope. Mit: Colin Firth, Stanley Tucci, Pippa Haywood. Weltkino, 95 Minuten. Kinostart: 14. Oktober 2021.

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