Justiz in Bayern:Neuer Chefankläger gegen Antisemitismus

Neuer Antisemitismus Beauftragter Andreas Franck

Oberstaatsanwalt Andreas Franck ist neuer zentraler Antisemitismus-Beauftragter der bayerischen Justiz.

(Foto: Peter Kneffel/dpa)

Der Münchner Oberstaatsanwalt Andreas Franck soll sich künftig um judenfeindliche Hetze und ähnliche Attacken kümmern. Damit ist das Thema in den Händen eines Mannes, der Himmel und Hölle in Bewegung zu setzen weiß.

Von Ronen Steinke

Die Briefe kommen alle von demselben geheimnisvollen Absender. Seit ein paar Monaten schon treibt dieser Unbekannte in ganz Bayern sein Unwesen, er schreibt verschiedene Institutionen und Privatpersonen an, es sind schon an die hundert. Die KZ-Gedenkstätte in Dachau hat jüngst einen Brief von ihm bekommen, eine Reihe von Burschenschaften ebenso. Stets heißt es darin: Das Gift Zyklon B, das in den nationalsozialistischen Konzentrationslagern für den Massenmord in Gaskammern verwendet wurde, sei bloß ein harmloses Entlausungsmittel gewesen, der Völkermord an den Juden habe nie stattgefunden. Dazu fügt er kopierte Zeitungsartikel und Passagen aus Büchern von notorischen Holocaust-Leugnern bei.

Das ist in Deutschland strafbar als Volksverhetzung. Aber um einem solchen Hetzer auf die Spur zu kommen, fehlt es bislang am Elan der Ermittler. So richtig ernstgenommen wurden solche Hetzereien auch in Bayern jahrzehntelang nicht. In der Justiz interessierte sich kaum jemand dafür. Die Verfahren gegen den unbekannten Briefeschreiber laufen derzeit über den ganzen Freistaat verteilt bei verschiedenen Staatsanwaltschaften wie auch bei verschiedenen Polizeiinspektionen. Mit mäßigem Erfolg, jeder wurschtelt vor sich hin. Niemand fügt die Puzzleteile zusammen.

Da wirkt es wie ein deutliches Signal aus München, was der bayerische Justizminister Georg Eisenreich (CSU) am Mittwoch bekanntgab. Um judenfeindliche Hetze und andere Attacken dieser Art soll sich künftig ein zentraler Antisemitismusbeauftragter der bayerischen Justiz kümmern. Wo bislang viele herumwurschteln, soll künftig ein Einzelner diese Verfahren zur Chefsache machen. Der Job geht an einen Mann, der in der Münchner Justiz gut bekannt ist, er war schon Ankläger in Sachen Mord und Totschlag, Rotlicht, Terror, Extremismus, zuletzt als Leiter der Staatsschutzabteilung der Staatsanwaltschaft München I: Oberstaatsanwalt Andreas Franck, 50.

Damit ist das Thema in den Händen eines Anklägers, der Himmel und Hölle in Bewegung zu setzen weiß. Ähnlich wie schon der zentrale Hatespeech-Beauftragte Bayerns, Oberstaatsanwalt Klaus-Dieter Hartleb, soll Franck in München bei der Zentralstelle zur Bekämpfung von Extremismus und Terrorismus, ZET, sein Büro haben. Von dort aus soll er durchs Land reisen, auch an entlegene Orte. Wer ihn kennt, ahnt: Er wird nicht lange die Füße stillhalten. "Ein Vorurteil, dem wir in diesem Bereich oft begegnen, lautet, dass wir in der Justiz auf dem rechten Auge blind seien", hat Franck vor zwei Jahren im SZ-Interview gesagt. "Wir müssen die Menschen davon überzeugen, dass wir es wirklich ernst meinen. Wir müssen das auch in unserem gesamten Verhalten als Strafverfolger ausstrahlen."

Das jüdische Leben in der Stadt zieht sich zunehmend hinter Mauern zurück

Bislang ist es so: Nur 20 Prozent aller antisemitischen Straftaten werden überhaupt angezeigt, das ist bestürzend wenig. Die meisten betroffenen Jüdinnen und Juden versprechen sich vom Staat offenbar nichts. Auch die jüdische Gemeinde in München hat in jüngster Zeit eher Tendenzen zur Resignation erkennen lassen. Nach einer antisemitischen Attacke auf den Rabbiner Shmuel Aharon Brodman in München sagte dieser der SZ: "Ich bin vorsichtiger geworden. Ich gehe nicht mehr offen mit meiner Kippa auf die Straße, sondern verstecke sie unter einem Hut oder einer Baseballmütze." Das jüdische Leben in der Stadt zieht sich zunehmend hinter Mauern zurück.

Oberstaatsanwalt Franck will sich damit nicht abfinden, er hat sich zuletzt hervorgetan mit seinem Einsatz gegen Querdenken-Hetzsprüche, "Impfen macht frei" zum Beispiel. Den Spruch, eine zynische Anspielung auf den KZ-Satz "Arbeit macht frei", hatte er als mutmaßliche Volksverhetzung vor Gericht gebracht. In München wie auch in Augsburg laufen dazu jetzt Musterverfahren, auch im bundesweiten Vergleich kann die bayerische Justiz sich damit neuerdings sehen lassen. Zugleich hat Franck kürzlich organisiert, dass die Strafe für das Zeigen des Hitlergrußes in München beinahe verdoppelt wurde.

Mit der CSU brachte man derartiges Engagement bislang nicht unbedingt in Verbindung. Während frühere bayerische Justizminister sich vor allem dann gesellschaftspolitisch äußerten, wenn es Punkte gegen den "politischen Islam" zu machen gab, scheint es dem seit 2018 amtierenden Georg Eisenreich aber ernst zu sein. "Die bayerische Justiz duldet keine Angriffe auf Jüdinnen und Juden und geht konsequent gegen Antisemitismus vor", kündigte er am Mittwoch bei der Vorstellung seines neuen Antisemitismusbeauftragten an. Gemeinsam mit der "Recherche- und Informationsstelle gegen Antisemitismus" schaltete er außerdem noch eine Online-Meldeplattform gegen Hetze frei.

Erfreut äußerte sich die Präsidentin der Münchener Israelitischen Kultusgemeinde, Charlotte Knobloch. Der SZ sagte Knobloch, sie "kenne und schätze" Oberstaatsanwalt Franck "in seiner Funktion, aber auch als feine Persönlichkeit schon lange. Er ist ein hervorragender, außergewöhnlich geschichtsbewusster Jurist und entschlossener Kämpfer gegen den Judenhass in seinen vielen, oftmals verkannten und verharmlosten Formen." Der Jurist Franck sei einer, "der hinschaut und handelt".

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