Hier spricht der Architekt:Die Ruhe vor dem Turm

Oliver Kühn, der Architekt des Hochhauses, über die Rationalität der Größe, die Irrationalität des Münchner Anti-Hochhaus-Begehrens, Zellen- und Großraumbüros - und über die Frage, ob die SZ eher ein Porsche oder ein Fünfer-BMW ist.

Gerhard Matzig

SZ: Herr Kühn, ist ein Hochhaus eigentlich eine besondere Herausforderung für einen Architekten?

Hier spricht der Architekt: "Mein bestes Haus" sagt Architekt Oliver Kühn über das SZ-Hochhaus.

"Mein bestes Haus" sagt Architekt Oliver Kühn über das SZ-Hochhaus.

(Foto: Foto: Stephan Rumpf)

Oliver Kühn: Ja, denn beim Hochhausbau hat man die Möglichkeit, alles, was ein Haus ausmacht, auf den Punkt zu bringen. Das Hochhaus ist vom Bautyp her ein Konzentrat an Architektur. Beim Hochhaus müssen Sie auf kleinster Grundrissfläche alle Ideen bündeln, also sehr präzise sein beim Entwurf.

SZ: Also sind Hochhäuser nicht nur irrationale Gesten der Macht?

Kühn: Im Gegenteil: Der Hochhausbau ist eine rationale, sehr technische Angelegenheit. Das gilt etwa für die haustechnische Anlage, also für die Energieeffizienz. Oder für Erschließung und Logistik. Im Kern sind Hochhäuser rational, erst bei der Ausformulierung der Fassade kommen Aspekte wie Status und Ikonenhaftigkeit dazu. Aber natürlich wirken höhere Häuser schon allein durch ihre physische Präsenz dominant.

SZ: Das SV-Hochhaus steht einsam inmitten einer stadträumlichen Wüstenei voller horizontaler Strukturen. Steinhausen ist ja nicht Manhattan. Was hat ein vertikal dominanter Baukörper in einer solchen Situation verloren?

Kühn: Stimmt, im Augenblick wirkt der Turm wie ein Bau auf der grünen Wiese. Aber das wird nicht so bleiben. Denn der Turm markiert die Entwicklungsachse der Stadt im Osten. Das Hochhaus wird daher als Kristallisationskern fungieren und die Entwicklung beschleunigen. Schon jetzt dürften die Grundstücke um den SV-Tower herum interessant sein für Immobilienentwickler: Hier wird ein dynamischer Prozess der Urbanisierung einsetzen. Schon in einigen Jahren könnte Steinhausen ganz anders aussehen als jetzt. Und bis dahin treten die Vertikale des Hochhauses und die Horizontale der unmittelbar daneben verlaufenden Autobahn in einen spannungsvollen Dialog. Außerdem ist das Hochhaus auch eine Art Stadtschild, eine Geste der Begrüßung. Ein Tor im Osten.

SZ: Die SV-Mitarbeiter, die früher privilegiert in der Stadtmitte gearbeitet haben, werden diese Willkommensgeste wohl nicht ganz so positiv sehen. Lässt sich der Verlust an Urbanität aufwiegen?

Kühn: Natürlich kann man die Altstadt als Lebensgefühl nicht ersetzen. Aber dennoch haben wir versucht, nicht nur eine Arbeitsstätte zu errichten - sondern einen Ort zu schaffen, mit dem man sich identifizieren kann. Woraus besteht denn das Privileg der Innenstadt? Dort gibt es öffentliche Orte, an denen man sich trifft. Dort findet Kommunikation statt. Man geht zum Bankautomaten, man trinkt einen Kaffee. Aber auch im neuen Hochhaus gibt es viele kommunikativ wirksame Räume: die Kantine, das Café oder der Kindergarten. Dazu die Freiflächen, das großzügige Atrium... Allein das Betriebsrestaurant definiert einen völlig neuen Anspruch. Es ist künstlerisch gestaltet und als Anziehungs- und Treffpunkt für Mitarbeiter und Öffentlichkeit organisiert. Wo immer möglich, haben wir attraktive, vitale Orte der Begegnung geschaffen. Wir haben versucht, das Haus im Inneren so urban und identitätsstiftend wie möglich zu machen.

SZ: Können sich die Mitarbeiter wirklich identifizieren mit dem SV-Turm? Die Büros sehen aus wie Standard-Büros. Hier könnten statt Leitartikel doch auch Betriebsbilanzen oder Hedgefonds-Broschüren entworfen werden.

Kühn: Der SV-Turm ist kein gewöhnliches Bürogebäude. Das Nutzungsangebot ist sehr differenziert. Hier gibt es ungewöhnlich viel Raum für Begegnung und Kommunikation. Dann ist das Hochhaus auch ökologisch etwas völlig Neues, der Verbrauch ist viel geringer, die Technik ist dezentral. Auch die Büros sind individuell klimatisierbar - was den individuellen Arbeitszeiten und -weisen entspricht. Das ist absolut kein Working-nine-to-five-Haus: Es ist klar als Verlag und als Redaktionsgebäude zu erkennen. Schon äußerlich, denn das Schwarz der Fassade erinnert an die Farbe des Drucks und auch an das frühere Stammhaus am Färbergraben.

SZ: Vielen Unternehmen ist die CA bei Neubauvorhaben extrem wichtig, also die Corporate Architecture. Man soll das Gebäude auch als Botschaft begreifen. Was ist die Botschaft des Hochhauses?

Kühn: Die SZ ist eine Autorenzeitung, sie besteht aus unterschiedlichen Persönlichkeiten und vielen Meinungen. Sie entzieht sich der Eindeutigkeit. Genau das drückt die Fassade aus - mit einer bewegten Fläche, die je nach Blickwinkel, Tageszeit oder Wetter immer wieder anders aussieht. Jeder kann etwas anderes darin entdecken - wie in der Zeitung. Die SZ ist also etwas anderes als, sagen wir, ein Porsche. Wenn Sie Porsche hören, haben Sie sofort das charakteristische Produkt vor Augen. Monokausal und eindeutig. Die SZ ist dagegen vieldeutig. Und die Architektur drückt das aus.

SZ: Kann man sich das Hochhaus als Auto vorstellen? Was wäre die SZ denn - zwischen Dacia Logan und 911er?

Kühn: Etwas Seriöses, etwas Wertiges. Vielleicht ein sehr gut ausgestatteter Fünfer-BMW.

SZ: Der ja durchaus auch barocke Formen aufweist. Ein bisschen wie die SZ-Fassade. Die entspricht durch die bombierten, gegeneinander versetzt angeordneten Glaselemente nicht gerade der reinen, also orthogonalen Bauhaus-Lehre. Ist die Fassade auch als Ornament zu begreifen?

Kühn: Ja. Die Fassade kann man sich natürlich auch ganz glatt vorstellen, aber dann wäre sie weniger sinnlich und außerdem nicht so spannend. Die Fassade ist auch Sinnbild einer Zeitung, das Licht verändert sie in jeder Minute, nach jedem Hinschauen ein anderer Blickwinkel, sie bewegt sich, zieht dich mit, involviert dich. Das heißt aber nicht, dass unsere Fassade nicht auch funktional zu verstehen wäre. Sie ist absolutes Hightech mit exzellenten Dämmwerten und perfekter Lichtausbeute.

SZ: Dafür wirken die Büros wie Zellen. Ist das nicht etwas altmodisch?

Kühn: Ursprünglich war etwas anderes geplant: eine eher freie, flexibel zu bespielende Bürolandschaft. Das war im Sinne der Verleger. Offenbar hat sich die Redaktion hier durchgesetzt. Sie wünschte sich eher intime Einzelbüros. Wir haben das akzeptiert, aber dennoch darauf geachtet, dass die Transparenz nicht völlig verschwindet. Die Türen sind deshalb gläsern - und beim Austritt aus den Aufzügen nimmt man, sobald man die Ressorts betritt, immer auch den Außenraum wahr. Das gilt auch für die Flure.

SZ: Wenn Sie gewusst hätten, dass sich die Redaktion so viele Einzelbüros wünscht, hätten sie dann das ganze Gebäude anders entworfen? Etliche Büros sind jetzt etwas unglücklich proportioniert: lang und schmal.

Kühn: Nein, und übrigens wird sich ja noch vieles ändern. Manche Wände werden auch wieder verschwinden, andere entstehen. Büros ändern sich immer - und Einzelbüros sind da eher das Auslaufmodell.

SZ: Neben der Konzentration im Einzelbüro benötigt eine Redaktion auch Orte der Kommunikation. Wo findet die statt?

Kühn: An vielen Orten. In fast allen Ressorts gibt es eine Art Lounge mit Blick auf die Münchner Innenstadt. Und natürlich bieten sich Atrium, Kantine oder Cafeteria an. Das Atrium, da gehe ich jede Wette ein, wird der belebteste Ort im ganzen Haus.

SZ: Ist es deshalb so groß? Oder ist es nicht schon zu groß?

Kühn: Nein, es ist genau richtig. Wobei die Größe unter anderem dem Anti-Hochhausbegehren zu verdanken ist. Dieses Begehren, das dafür gesorgt hat, dass das Haus statt 150 Meter nur 100 Meter misst, ist ja eigentlich sehr töricht. Die Qualität von Häusern ergibt sich nicht aus metrischen Bedingungen, also zum Beispiel aus Höhenbegrenzungen, sondern aus Proportionen. Es gibt keinen stichhaltigen Grund, warum höhere Häuser schlechter sein sollten als niedrigere Bauten. Aber durch das Bürgerbegehren und die Begrenzung auf 100 Meter ergaben sich auch neue Chancen. Denn das gesamte Haus musste neu durchgeplant werden, wobei sich gezeigt hat, dass der Entwurf robust genug ist, um die Kappung gut zu überstehen. Und durch die sich daraus ergebende neue Proportionierung konnte sogar das Atrium aufgewertet werden. Die Krise war also auch eine Chance. Im Rückblick bin ich sogar zufriedener mit dem veränderten Entwurf - als mit der ursprünglichen Fassung.

SZ: Voll zufrieden? Sie würden nichts anders machen? Das glaube ich Ihnen nicht.

Kühn: Gut, Architekten sind nie ganz zufrieden. Es gibt schon Dinge, die schade sind. Manches wurde nicht realisiert - eine Frage des Geldes. Aber im Grunde...doch: Das ist mein bestes Haus.

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