Pandemie:Der Wirkstoff heißt Vertrauen

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Hohe Erwartungen: Mitarbeiter eines Instituts in Belgrad, an dem der russische Sputnik-V-Impfstoff produziert wird, kurz vor einem Besuch des serbischen Präsidenten im April dieses Jahres. (Foto: Andrej Isakovic/AFP)

Wie geht es weiter mit den Corona-Impfungen? Der Blick in andere Länder zeigt: Autoritäre Staaten sind keineswegs immer besser gerüstet - anders als man anfangs dachte.

Kommentar von Tobias Zick

Es gibt da eine Erfolgsgeschichte, um die es in letzter Zeit ziemlich ruhig geworden ist. Anfang des Jahres konnte sich die Regierung in Serbien damit brüsten, den benachbarten Club der EU-Staaten bei den Corona-Impfungen souverän überrundet zu haben. In dem südosteuropäischen Staat war zeitweise ein so hoher Anteil der Bevölkerung geimpft wie sonst nirgends auf dem europäischen Festland.

In dem Triumph über den tatsächlich beeindruckenden Erfolg schwang auch Grundsätzlicheres mit: Den Vorsprung bei den Impfungen hatte Serbien sich ja gesichert, indem es nicht allein auf "westliche" Impfstoffe setzte, deren Beschaffung in der EU in der Tat zunächst ärgerlich schleppend voranging, sondern zugleich auch auf Vakzine aus chinesischer und russischer Produktion. Die Bürgerinnen und Bürger konnten selbst wählen, welchem der angebotenen Impfstoffe sie ihr Vertrauen schenkten. Als würde in Serbien, das sich auch sonst politisch in viele Richtungen offen zeigt, der Wettbewerb der Systeme jetzt mit der Spritze ausgetragen.

Serbien und Dänemark sind die Extreme in Europa

Gut ein halbes Jahr später hat Serbien jetzt wieder einen Spitzenplatz inne. Das Land liegt europaweit auf Platz eins bei den täglichen Corona-Neuinfektionen pro hunderttausend Einwohner. Ein Grund dafür ist die auf bescheidenem Niveau schlingernde Impfquote; weniger als 45 Prozent der Menschen im Land haben sich vollständig impfen lassen. Das serbische Beispiel zeigt eindrucksvoll, wie entscheidend in der Pandemiebekämpfung neben den Impfstoffen eine weitere, weniger sichtbare Zutat ist: Vertrauen.

Viel Impfstoff, viele Impfskeptiker: Das ist nicht nur in Serbien so, wo das anfängliche Hin und Her bei den Anti-Corona-Maßnahmen nur dann Sinn ergab, wenn man es unter wahltaktischen Gesichtspunkten betrachtete, sondern auch in diversen Nachbarländern, einschließlich der EU-Mitglieder Rumänien und Bulgarien. Allesamt Länder, in denen das Misstrauen in den Staat, seine Institutionen und Vertreter lange gewachsen ist.

Am anderen Ende der Vertrauensskala steht Dänemark, wo die Impfquote eine der höchsten in Europa ist - und wo die Regierung die Pandemie für faktisch beendet erklären konnte. Das Land gilt, wie auch seine skandinavischen Nachbarn, als "Vertrauensgesellschaft". Dass die Verantwortlichen Infektionsschutzmaßnahmen für autoritäre Ziele missbrauchen könnten; dass es bei der Maskenbeschaffung um persönliche Bereicherung ginge; dass den Impfstoffen irgendein bewusstseinsveränderndes Zeug beigemischt sei: Derlei Ideen finden dort offenkundig kaum Nährboden, die Mehrheit der Menschen hat ein historisch gewachsenes, messbares Vertrauen darauf, dass die Verantwortlichen in der Regel im Sinne des Gemeinwohls handeln - und dass es sich lohnt, auch ohne staatlichen Druck Dinge für die Gemeinschaft zu tun, zum Beispiel: sich impfen lassen, auch damit die Nachbarskinder ohne Einschränkungen zur Schule gehen können.

In der Frühphase der Pandemie waren auch in Deutschland Stimmen zu vernehmen, die in den verschiedenen Corona-Bekämpfungsstrategien ganz grundsätzlich eine Art Wettbewerb der Systeme auszumachen meinten - und befanden, es zeige sich nun, dass autoritäre Systeme den liberalen Demokratien mit ihren elendig umständlichen Entscheidungsprozessen in der Pandemiebekämpfung überlegen seien. Um solche Theorien allerdings ist es in letzter Zeit ähnlich ruhig geworden wie um die einstige Impf-Erfolgsgeschichte aus Serbien.

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