Tarifverhandlungen:Baubranche wendet Streik gerade noch ab

Baugewerbe: Arbeiter auf einer Baustelle

70 Stunden wurde verhandelt, am Ende stand ein Tarifkompromiss für den Bau - dem nun aber noch Arbeitgeber und Arbeitnehmer zustimmen müssen.

(Foto: Daniel Bockwoldt/picture alliance / dpa)

Monatelang wurde gestritten, nun gibt es doch einen Kompromiss: Die Arbeiter werden für lange Wege entschädigt und die Gehälter in Ost und West angeglichen.

Von Alexander Hagelüken

Der erste große Streik in der Baubranche seit 20 Jahren war sehr nah. "Das waren die schwierigsten und langwierigsten Verhandlungen, die ich bisher hatte", sagt Robert Feiger, immerhin schon seit 2013 Chef der Gewerkschaft IG Bau. Nach 70 Stunden Marathonsitzungen steht nun aber erstmal ein Kompromiss: Bis 2024 die Bauarbeiter im Westen bekommen 6,2 Prozent mehr Lohn und dazu Einmalzahlungen. Erstmals werden sie umfassend für lange Anfahrten zur Baustelle bezahlt - und die Löhne im Osten angeglichen.

"Das ist ein guter Tarifvertrag", sagte Gewerkschaftschef Feiger der SZ. Den finanziellen Ausgleich für die Wegezeiten nennt er einen "Meilenstein". Beim Lohn habe man sich mehr vorstellen können, "aber wir können mit dem Ergebnis leben". Die lange Laufzeit des Tarifvertrags bis 2024 gewähre den Unternehmen Planungssicherheit, lobte Jutta Beeke, Vizepräsidentin des Hauptverbands der Deutschen Bauindustrie (HDB), einem der beiden Verbände der Arbeitgeber. Die Gremien beider Seiten müssen dem Ergebnis für die knapp 900 000 Beschäftigten im Bauhauptgewerbe nun zustimmen - wobei dies gerade bei den Arbeitgebern noch offen ist.

In der Tarifrunde musste erneut ein Schlichter mit an den Tisch: Rainer Schlegel, Präsident des Bundessozialgerichts. Länger stand im Raum, dass die Bauarbeiter erstmals seit 2002 bundesweit in den Streik ziehen könnten. Das war angesichts harter Fronten durchaus realistisch. "Es war mehr als kurz vor knapp", schildert Gewerkschaftschef Feiger die Verhandlungen. "Der Begriff fünf vor zwölf Uhr reicht nicht aus, um es zu beschreiben."

Schwierigster Punkt war ein Ausgleich für die Anfahrten zu den Baustellen, für den die Gewerkschaft seit Jahren kämpft. Bauarbeiter fahren im Schnitt 64 Kilometer von Zuhause zur Baustelle zurück, ergab eine Studie im Auftrag der IG Bau. Diese Wege nehmen seit längerem zu, so die Gewerkschaft. Während bis in die Neunzigerjahre viele kleine Firmen regional bauten und die Anfahrten kurz waren, würden die Arbeitnehmer inzwischen quer durch die Republik geschickt. Die IG Bau forderte daher, künftig solle je nach Strecke eine bestimmte Zeit nach Tarif-Stundenlohn bezahlt werden. Die Arbeitgeber sperrten sich. Die Anfahrten seien zu schwer zu erfassen, außerdem bekämen Bauarbeiter bereits jährlich rund 1000 Euro pauschal für die Wegezeiten. "Die Arbeitgeber wollten das so pauschalieren, dass die Arbeitnehmer den finanziellen Ausgleich faktisch nicht gespürt hätten", kritisiert Gewerkschaftschef Feiger.

Nun aber gibt es auch in diesem Punkt eine Einigung. Danach soll es für bis zu 50 Kilometer Anfahrt ab 2023 steuerfrei sechs Euro am Tag geben, über 75 Kilometer neun Euro. 2024 steigen die Beträge. Auch wer von der Baustelle nicht jeden Tag nach Hause fährt, bekommt einen Ausgleich - über 400 Kilometer sind es knapp 40 Euro.

"Es sind 400 000 Wohnungen zu bauen, die Auftragsbücher sind voll."

Unabhängig davon steigt ab 1. November auch der Lohn, und zwar in mehreren Stufen über drei Jahre. Im Westen sind dies je rund zwei Prozent, im Osten mehr, dafür fallen dort die Einmalzahlungen geringer aus. Entscheidend sind für Gewerkschaftschef Feiger zwei Dinge: "Wir liegen mit den Erhöhungen deutlich über der Inflation und den Inflationserwartungen für die nächsten Jahre." Außerdem verdienten Bauarbeiter im Osten nach langem Kampf bald so viel wie die West-Kollegen. "Mit Abschluss der Lohnrunde 2026 müssen die Löhne 100 Prozent des Westens betragen." Das sei eine nicht kündbare und veränderbare Regelung im Tarifvertrag.

Obwohl die Gewerkschaft insgesamt höhere Forderungen hatte, hält Feiger die Abwendung eines Arbeitskampfs für richtig. "Das wäre angesichts der Riesenaufgaben in der Branche nicht gut gewesen. Es sind 400 000 Wohnungen zu bauen, die Auftragsbücher sind voll." Der Bau war anders als viele Branchen kaum von der Corona-Krise betroffen. Das Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung (IAB) rechnet damit, dass allein dieses und nächstes Jahr knapp 100 000 Jobs am Bau entstehen. Gleichzeitig scheiden viele Ältere aus.

Angesichts der vielen Aufträge schien ein Streik offenbar auch den Arbeitgebern zu riskant. Allerdings knallte es hinter den Kulissen im Unternehmerlager offenbar heftig. "Wir haben uns bewusst für einen Tarifvorschlag in freien Verhandlungen entschieden, damit die Entscheidung über Annahme oder Ablehnung bei den Mitgliedsverbänden liegt," sagte Uwe Nostitz, Vizepräsident des Zentralverbands Deutsches Baugewerbe (ZDB). Hätte es statt einer Tarifeinigung der Sozialpartner einen Spruch des Schlichters gegeben, was länger im Raum stand, hätte ein höherer Anteil der Firmen zustimmen müssen. Gewerkschaft wie Arbeitgeber müssen nun binnen zwei Wochen erklären, ob sie die Einigung annehmen.

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