Die Szene ist karg: Vor einer grauen Ytong-Mauer und auf weißen Kieselsteinen steht ein Tisch, an dem sechs Schauspielerinnen und Schauspieler des Wiener Burgtheaters sitzen. Sie lesen mit verteilten Rollen das dokumentarisches Stück "Causa Kurz: Die Chatprotokolle", das Fabian Schmid, ein Redakteur der Wiener Tageszeitung Der Standard, aus Originaltexten montiert hat. Es fasst in 18 Minuten noch einmal die Affäre zusammen, die am vorvergangenen Samstag zum Rücktritt des Bundeskanzlers Sebastian Kurz (ÖVP) geführt hat. Es geht um Meinungsumfragen, die nicht nur im Sinne von Kurz frisiert, sondern auch noch mit Steuergeldern bezahlt worden sein sollen; es geht um schmutzige Deals mit der Boulevardzeitung Österreich, um innerparteiliche und andere Intrigen.
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Die Telefonate des Ex-Finanzministers Karl-Heinz Grasser wurden auch schon dramatisiert
In Wien haben derartige Lesungen schon Tradition. Begonnen hat es Anfang 2011, als die Wochenzeitung Falter im Audimax der Universität Wien drei Kabarettisten aus Telefonaten des Ex-Finanzministers Karl-Heinz Grasser lesen ließ, die im Zuge einer Korruptionsaffäre abgehört worden waren. Unter anderem kam dabei ein Grasser-Freund zu Wort, der sich erkundigte, wie er ein bestimmtes Honorar offiziell begründen sollte: Der Satz "Wo war mei Leistung?" ist seit damals geflügeltes Wort in Österreich. Die Aufführung war aber nicht nur ein großer Lacherfolg, sondern auch ein publizistischer Coup: Da die Lesung offiziell als Lehrveranstaltung firmierte, durften auch Passagen öffentlich gemacht werden, aus denen Medien damals nicht zitieren durften. Ende 2018 dann hatte im Akademietheater, ebenfalls in Kooperation mit dem Falter, das Lesedrama "Alles kann passieren!" Premiere, eine vom Schriftsteller Doron Rabinovici zusammengestellte Collage aus Zitaten verschiedener europäischer Rechtspopulisten.
Das aktuelle Lesetheater ist da eine kleinere Nummer. Der Erkenntniswert ist vergleichsweise gering. Die Dokumentation solle dazu dienen, sich selbst ein Bild von den Vorwürfen machen zu können, sagen Standard-Chefredakteur Martin Kotynek und Burgtheaterdirektor Martin Kušej einleitend. Aber wer sich auch nur halbwegs für Politik interessiert, kennt die zitierten Whatsapp-Chats inzwischen großteils auswendig - und diese werden auch dadurch nicht viel lustiger, dass sie von Burgschauspielern vorgetragen werden. Das Theater muss sich nach dieser Lesung die Frage gefallen lassen, wo seine Leistung war.
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