USA:Top-Verdiener haben in den USA mehr als die gesamte Mittelschicht

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In Florida leben viele Superreiche. Fort Lauderdale etwa, an der Südostküste Floridas, ist für schöne Strände und Kanäle bekannt. (Foto: JOE RAEDLE/AFP)

Erstmals verfügt das einkommensstärkste Prozent der US-Haushalte über mehr Vermögen als alle Normalverdiener zusammen. Das hat dramatische Folgen.

Von Claus Hulverscheidt, Berlin

Ein Prozent schlägt 60 Prozent: Erstmals seit Einführung der Statistik vor gut 30 Jahren verfügen in den USA die absoluten Top-Verdiener über mehr Vermögen als die gesamte Mittelschicht. Nach Angaben der Notenbank in Washington lagen im Juni 27 Prozent des landesweiten Immobilien-, Aktien- und Firmenvermögens in der Hand des einkommensstärksten Prozents der Bevölkerung. Die mittleren 60 Prozent der Haushalte, die Ökonomen als die Mittelschicht ansehen, kamen dagegen auf nur noch 26,6 Prozent. Für die betroffenen Familien und Singles ist damit nach langem Sinkflug ein neuer Tiefpunkt erreicht: Noch 1990 besaß die zahlenmäßig größte Gruppe der Gesellschaft gut 36 Prozent des Gesamtvermögens - mehr als doppelt so viel wie die Spitzenverdiener, die auf knapp 17 Prozent kamen.

Die Zahlen sind ein Alarmsignal für die Politik, denn sie belegen, was viele Menschen im Land seit langer Zeit intuitiv spüren: Die Mittelschicht verliert an Stabilität, sie wird härter von Rezessionen getroffen und profitiert weniger von Konjunkturaufschwüngen als die Reichen. Auch schützt ein mittleres Einkommen weniger gut als in früheren Jahrzehnten vor finanzieller Not und gesellschaftlichem Abstieg. Diese Erfahrung ist zwar nicht der Hauptgrund, wohl aber ein entscheidender Faktor für den Aufstieg von Populisten wie Donald Trump, das Auseinanderdriften der Gesellschaft sowie die internen Richtungskämpfe bei Demokraten und Republikanern.

Zur Gruppe der absoluten Spitzenverdiener zählen in den USA 1,3 Millionen der insgesamt 130 Millionen Haushalte. Sie verfügen über ein Jahreseinkommen von mehr als 500 000 Dollar (430 000 Euro), wobei viele Gehälter in Millionen-, einige gar in Milliardenhöhe erzielen. Die Pandemie hat die Gruppe noch reicher gemacht, weil fast alle Menschen über Immobilien- und Wertpapiervermögen verfügen und viele zudem eigene Firmen besitzen. Sie profitieren damit erheblich von den dramatisch gestiegenen Hauspreisen und Aktienkursen sowie den Steuersenkungen der vergangenen Jahrzehnte. Auch die nach wie vor sehr großen Schlupflöcher im Steuerrecht kamen und kommen vor allem den Spitzenverdienern zugute.

Die Mittelklasse leidet besonders unter den hohen Mieten in Großstädten

Ganz anders sieht es in der Mittelklasse aus, zu der rund 78 Millionen Haushalte mit jährlichen Einkommen zwischen etwa 27 000 und rund 141 000 Dollar gezählt werden. Nun kann man sicher einwenden, dass es auch zwischen der alleinerziehenden Mutter mit 30 000 Dollar und der Besserverdienerfamilie mit 130 000 Dollar Jahresverdienst sehr große Unterschiede gibt. Was die Menschen aber eint, ist, dass sie in der Regel keinerlei Hilfen vom Staat bekommen, den Großteil der Steuerlast tragen und ein prinzipiell ähnliches Konsumverhalten aufweisen. Auch wohnt ein wesentlich größerer Teil der Betroffenen nicht im eigenen Haus. Entsprechend groß ist der finanzielle Druck, den die dramatisch gestiegenen Mieten insbesondere in Großstädten wie San Francisco, Los Angeles oder New York mit sich bringen.

Noch 1991 hielt die Mittelschicht gut 44 Prozent am gesamten Immobilienvermögen des Landes. Bei Aktien- und Firmenvermögen lagen die Anteile bei 21 beziehungsweise gut 22 Prozent. Heute sind es bei Immobilien noch 38, bei Aktien noch ganze zwölf und bei Firmenvermögen noch 13,5 Prozent - ein dramatischer Rückgang, der dazu beigetragen hat, dass immer mehr Mittelschicht-Eltern nicht mehr glauben, dass es ihre Kinder einmal besser haben werden als sie selbst. Gesellschaftlich gesehen birgt das jede Menge Sprengstoff: "Wenn das Wirtschaftssystem für eine klare Mehrheit der Bevölkerung nicht mehr funktioniert, wird es irgendwann die politische Unterstützung verlieren", sagte Nathan Sheets, Chefvolkswirt der Citigroup, der Agentur Bloomberg. Diese Erkenntnis sei auch der entscheidende Grund dafür, dass die Regierung von Präsident Joe Biden derzeit ein Reformprogramm nach dem anderen anschiebe.

Tatsächlich will Biden über zehn Jahre rund sechs Billionen Dollar ausgeben, um die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie zu überwinden, die Infrastruktur zu modernisieren, den ökologischen Umbau des Landes voranzutreiben und vor allem Familien zu unterstützen. So soll es erstmals ein dauerhaftes Kindergeld geben, der Kita-Besuch für Drei- und Vierjährige wird den Plänen zufolge ebenso kostenfrei wie ein zweijähriges Basisstudium an einem staatlichen Community College. Bezahlen will Biden die Programme unter anderem über Steuererhöhungen für Reiche. Weil aber die demokratischen Senatsmitglieder Kyrsten Sinema und Joe Manchin Teile der Pläne hartnäckig blockieren, haben viele Menschen die Hoffnung auf eine echte Umverteilung von oben nach unten schon wieder aufgegeben. Viele Republikaner - auch solche aus der Mittelschicht - lehnen sie ohnehin als Eingriff in die Freiheit des Einzelnen ab.

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