Japan:Stehen die Yakuza vor dem Aus?

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Ganzkörper-Tattoos sind typisch für Yakuza-Mitglieder. (Foto: Rodrigo Reyes Marín/imago images)

Weniger Mitglieder, weniger Schutzgeldzahlungen: Die Pandemie setzt in Japan auch der Mafia zu. Was für und was gegen einen Niedergang der Yakuza spricht.

Von Thomas Hahn, Kawaguchi

Pastor Tatsuya Shindo sagt, die Zeit der Yakuza sei vorbei. "Das ist meine Privatmeinung." Oder seine Hoffnung, sein Wunsch, seine Sehnsucht. Er war ja selbst mal einer aus der japanischen Unterwelt, ein Gangster der Bande Sumiyoshi-kai, gewalttätig, drogensüchtig, drei Mal im Gefängnis. Er weiß, wie das organisierte Verbrechen einen immer tiefer in die Ausweglosigkeit führt. "Ich war wirklich in der Finsternis", sagt er. Und weil viele Ex-Yakuza in seine Kirche in der Stadt Kawaguchi nördlich von Tokio kommen, erlebt er immer noch, wie schwierig es ist, von Japans Mafia wegzukommen. Am besten wäre es also, wenn es sie gar nicht mehr geben würde.

Und die Zeichen stehen ja auch nicht schlecht. Oder?

Die Yakuza gehören zu Japan wie die Geishas und die Sumo-Ringer. Aber anders als diese gelten sie nicht als lebendige Denkmäler des japanischen Kulturerbes. Sie stehen für die raue Seite des Inselstaates, der ja eigentlich berühmt ist für seine niedrige Kriminalitätsrate und seine folgsamen Menschen. Sie stehen auch für eine andere Zeit, denn ihr Einfluss schwindet. Tokios Polizei meldet, Ende 2020 habe es in Japans Hauptstadt etwa 4000 Bandenmitglieder gegeben, 300 weniger als im Vorjahr. "Das ist das zehnte Jahr in Serie mit einem Rückgang." Und die Pandemie kostet die Yakuza Schutzgeld. Die Polizei bestätigt, dass manche Restaurants "sich seit Ende 2020 wegen der Corona-Krise weigern, Gangstergebühren zu zahlen".

Abschreiben sollte man die Yakuza deswegen freilich noch lange nicht. Sie scheinen sich im Kampf um ihre Existenz sogar mit alten Feinden zu versöhnen. Mitte September schrieb die Zeitung Asahi, dass die Yamaguchi-gumi, Japans größtes Yakuza-Syndikat, Mitglieder der Yamaken-gumi wiederaufnehmen wolle; die Gang hatte sich vor sechs Jahren abgespalten, um eine neue Bande zu gründen, ein blutiger Bandenkrieg folgte. Und auch den Pastor Tatsuya Shindo lässt das Thema nicht los.

Der heutige Pastor Tatsuya Shindo war mal Mitglied der berüchtigten japanischen Mafia. (Foto: Thomas Hahn)

Er sitzt in seiner Kirche, die gar nicht wie eine Kirche aussieht. Sie ist ein Wohnhaus mit Kapelle im Erdgeschoss. Shindo, ein drahtiger 50-Jähriger, trägt ein gemustertes Hemd. Zwischen den Knöpfen kann man die Tätowierung aus seiner Yakuza-Zeit sehen. Vor dem Interview spricht er ein Gebet. Dann erzählt er.

Es begann damit, dass er in der zehnten Klasse nach einer Prügelei von der Schule flog. Er fand die Entscheidung ungerecht, gleichzeitig gefiel ihm die finstere Lässigkeit der neureichen Yakuza. Sie kamen regelmäßig in die Snackbar seiner Mutter. Sie fragten ihn, ob er in ihrem Baseballteam mitspielen wollte. Er spielte mit, aber er wollte nicht nur beim Baseball dabei sein. "Ich habe darauf gewartet, gefragt zu werden. Ich dachte, die zeigen einem etwas Schönes." Shindo war 18, als er Banden-Mitglied wurde.

Seine erste Kirche: die Snackbar seiner Mutter

Er verkaufte Drogen und gefälschte Markentaschen, trieb in Tokioter Vergnügungsvierteln Schutzgeld für sein Syndikat ein und war allzeit bereit für Einsätze im Bandenkrieg. Er bewährte sich, er stieg auf in der Hierarchie. "Als ich mit Drogen zu tun hatte, fing mein Tag mit Drogen an und hörte mit Drogen auf." Shindo muss damals ein gefährlicher Mann gewesen sein, kein Vergleich zu dem vergnügten Prediger, der er heute ist. "Ohne Gewalt kein Yakuza", sagt er, "ein Yakuza muss ausstrahlen: Bedenke, wenn ich wegen dir ins Gefängnis muss, komme ich eines Tages zurück und töte dich."

Irgendwann merkte er, dass die Drogen und die ständige Flucht vor der Polizei ihn kaputt machten. "Ich wollte einen Schlussstrich ziehen." Aber noch bevor er ein neues Leben hätte beginnen können, landete er wieder im Gefängnis. Einzelzelle in Akita. Dort hatte er Zeit, die Bibel zu lesen. "Da gab es so eine Strophe, Hesekiel 33,11." Natürlich kennt er sie auswendig. "So wahr ich lebe, spricht der Herr, ich habe keinen Gefallen am Tode des Gottlosen, sondern dass sich der Gottlose bekehre von seinem Wesen und lebe." Er war beeindruckt.

Das war im August 2001. Er war 30 und sah einen neuen Sinn. Im christlichen Seminar "Jesus to Japan" ließ er sich zum Pastor ausbilden. Seine erste Kirche war die Snackbar seiner Mutter.

Yakuza heißt auf Japanisch "Acht-neun-drei". Das Wort ist der Ausdruck für ein wertloses Blatt beim Kartenspiel und beschreibt den Stolz von Nippons Mafiosi. Sich jenseits gesellschaftlicher Erwartungen zu bewegen und trotzdem reich zu sein - das ist der Reiz ihres Verbrecherlebens. Und in Japan war dieser Freigeist zeitweise durchaus gesellschaftsfähig. Der Kriminologe und Yakuza-Forscher Noboru Hirosue zeigt ein Schwarzweiß-Foto. Darauf ist der legendäre Banden-Boss Kazuo Taoka mit dem Schauspieler Ken Takakura zu sehen. "Damals war das sogar ein Statussymbol, wenn man Blumen von Herrn Taoka bekam", sagt Hirosue.

Taoka führte die Yamaguchi-gumi von 1946 bis 1981. Unter ihm war das Syndikat zunächst eine Art Bürgerwehr, die in den Wirren der Nachkriegszeit für Ordnung sorgte, wenn die damals unbewaffnete Polizei machtlos war. Sie wuchs von Kobe aus zu einem nationalen Kartell mit 10 000 Mitgliedern, 500 Banden, legalen und illegalen Geschäften, unter anderem im Showbusiness und Glücksspiel.

Fachmänner für schmutzige Aufträge

"Der größte Unterschied zwischen japanischen Yakuza und der italienischen Mafia ist, dass die Mafia verboten ist", sagt Hirosue. Japans Verfassung erlaube es nicht, einem Syndikat die Vereinigungsfreiheit zu nehmen. Und vor allem im Nachkriegsjapan fand mancher die diskrete Skrupellosigkeit der Yakuza sogar ganz praktisch.

Fachmännisch erledigten sie schmutzige Aufträge, trieben Schulden ein, verkauften Diebesgut, komplimentierten randalierende Gäste aus Bars. Während des Immobilienbooms der 1980er-Jahre nahmen Grundstücksbesitzer ihre Dienste in Anspruch, um Anwohner zu vertreiben. Erst als der Immobilienboom 1990 abrupt stoppte, nahm der Staat die Yakuza-Bekämpfung ernster. 1992 trat das Anti-Boryokudan-Gesetz in Kraft. Boryokudan heißt gewalttätige Gruppe. Das Gesetz sollte die Bereicherungen der Yakuza am Finanzmarkt stoppen.

Bis heute gibt es kein Verbot der Yakuza-Banden. Aber der Staat versucht, ihren Mitgliedern den Weg in die Zivilgesellschaft abzuschneiden. Deshalb glaubt Tatsuya Shindo, dass die Yakuza am Ende sind. "Sie dürfen keine Konten mehr eröffnen, keine Wohnungen mieten, alles Mögliche."

Aber wo sollen die Aussteiger hin? In Shindos Kirche gibt es zwar einen Schlafplatz, an dem Ex-Yakuza auf Jobsuche bis zu drei Monate bleiben können. Aber der Pastor kann ja nicht allen helfen. Und das bürgerliche Leben ist nicht leicht für Leute, die das Verbrechen gewohnt sind. "Es wird mehr Gangster geben, die nicht in Banden sind", ahnt Shindo. Der Forscher Hirosue sieht das genauso. Viele wechselten im Grunde nur Verbrechen und Zielgruppe. "Seit 2010 werden immer häufiger ältere Menschen Opfer von Betrügereien." Nach Polizei-Daten von 2020 seien 40 Prozent der Täter ausgestiegene Yakuza.

Noboru Hirosue glaubt deswegen nicht, dass die Yakuza verschwinden werden. Viele haben eben nichts anderes gelernt als unehrliche Arbeit.

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