Ungarn:Jubel für den Mann, der ins Duell mit Orbán zieht

politician Peter Marki-Zay, Budapest, Hungary UNGARN, 17.10.2021, Budapest V. Bezirk. PÃ *** politician Peter Marki Zay,

"Eine kleine Revolution": Nach seiner Wahl zum Spitzenkandidaten der Opposition präsentierte sich Péter Márki-Zay, in Budapest wie ein Politikprofi.

(Foto: Szilard Voros/imago images/EST&OST)

Erneuerung verspricht Péter Márki-Zay, der Bürgermeister, den die Opposition auserkoren hat, um vereint den aktuellen Premier zu besiegen. Die Frage ist, wie schlägt sich der Herausforderer bis zur Wahl im Frühjahr?

Von Cathrin Kahlweit, Wien

Der Jubel kannte keine Grenzen am Sonntagabend; überall im Land feierten Parteipolitiker und Funktionäre, Aktivisten und Fans auf kleinen und großen Partys das Ende einer mehrmonatigen Kraftanstrengung der vereinten Opposition. Die Stichwahl war um, mehr als 660 000 Menschen hatten allein in der zweiten Runde der Vorwahlen ein Votum darüber abgegeben, wer in ihrem Namen im Frühjahr gegen Viktor Orbán antreten soll. Und als das Ergebnis klar war am Abend, als klar war, dass Péter Márki-Zay, der unwahrscheinlichste aller Kandidaten, mit 57 Prozent der Stimmen gewonnen hatte, da machte sich eine große Erleichterung breit.

"Wir haben alle gewonnen", rief eine junge Vertreterin der kleinen Partei Momentum auf der zentralen Nachwahlkundgebung euphorisch ins Mikrofon, bevor der Budapester Bürgermeister Gergely Karácsony dem großen Gegner, dem ungarischen Ministerpräsident, ausrichtete, es gebe an diesem Tag nur noch "einen Verlierer, der die Zukunft fürchten muss: Viktor Orbán". All jene, die sich beteiligt hätten, wollten, dass nicht nur "die Fehler der vergangenen elf Jahre", also der Orbán-Ära, sondern die "Fehler der vergangenen 30 Jahre behoben" würden.

Karácsony war aus dem Rennen zugunsten des Wahlsiegers ausgeschieden und stellte sich nun demonstrativ hinter den neuen Hoffnungsträger der Opposition: Es gehe jetzt nicht mehr um einzelne Parteien, jetzt seien alle nur noch "Patrioten". Auch die Verliererin der Stichwahl, die Vizepräsidentin des Europaparlaments und Kandidatin der Demokratischen Koalition (DK), Klára Dobrev, die mit 43 Prozentpunkten deutlich hinten lag, rief, sie werde sich nun "mit vollem Herzen hinter den gemeinsamen Kandidaten stellen". Ihr Wahlsieg hätte die Oppositionsparteien, die Fidesz im April 2022 gemeinsam schlagen wollen, tatsächlich vor enorme Probleme gestellt, auch wenn Dobrev die erfahrenere Kandidatin gewesen wäre. Aber als Frau eines ehemaligen sozialistischen Premiers hätte sie viel politisches Gepäck mit in die Kampagne geschleppt, das Viktor Orbán im Wahlkampf gegen sie zu nutzen gewusst hätte.

Vor allem junge Leute und Städter begeistern sich für den Parteilosen

Als dann der 48-jährige, neue Polit-Star selbst in Budapest auf die Bühne trat, feierten sie auch einige Hundert Kilometer entfernt in der kleinen, südungarischen Stadt Hódmezővásárhely, wo Márki-Zay zu Hause ist; er regiert die 45 000-Einwohner-Stadt seit 2018, als er dort einen Fidesz-Kandidaten überraschend schlug. Márki-Zay präsentierte sich am Abend dem ganzen Land gleich einmal wie ein Profi, neben sich seine Frau und die sieben Kinder, er dankte den Freunden in der Heimat, er dankte seinen Unterstützern und Karácsony, der in der ersten Runde der Stichwahl als Zweiter ins Ziel gekommen war. Nur gemeinsam könne man den Kampf für neue Freiheit und gegen Orbán gewinnen. Der studierte Ökonom und Marketingexperte Márki-Zay hat eine Weile in der USA gelebt, er hat dort gesehen, wie man sich verkauft und wie man Stimmung macht.

In den vergangenen Wochen hatte es einen regelrechten Hype um seine Person gegeben, vor allem junge Leute und Städter hatten sich für den Mann begeistert, hinter dem keine Partei stand, der als ein wenig provinziell und nicht korrupt gilt, der nie mit politischen Skandalen in Verbindung gebracht wurde. Er sei der "Bernie Sanders der ungarischen Kollegen", sagt ein linker, ungarischer Journalist, der für Márki-Zay gestimmt hat, "weil er keinem Lager angehört, und weil man ihm glaubt, dass er Erneuerung will". Márki-Zay, von Haus aus konservativ, religiös, familienorientiert, hatte ein paar markige Sätze gesagt, die ihn umgehend über einen engeren Unterstützerkreis hinaus populär machten: Auch Jesus sei ein "Linker" gewesen, er wolle mehr Klimaschutz, mehr Europa, weniger Homophobie. Und den Euro.

Mit ihm an der Spitze und der Devise vom radikalen Neuanfang soll jetzt also die Überwältigung der gut gerüsteten Orban-Wahlkampfmaschine endlich gelingen. Márki-Zay selbst spricht von einer "kleinen Revolution" und davon, dass jetzt auch das Image der gesamten Opposition ein sauberes, frischeres sei. Aber all die Euphorie über die erfolgreiche Organisation eines gemeinsamen Vorwahlkampfs kann nicht darüber hinwegtäuschen, dass die wahren Probleme erst beginnen.

Der Kandidat ist unerfahren auf der großen Bühne und derzeit, auf seinem Höhenflug, extrem selbstbewusst; er könnte noch an sich selbst scheitern. Und auch die Orbán-kritische Presse, in der die Urwahl - anders als etwa im staatlichen Fernsehen und Radio - breiten Raum einnahm, warnt vor zu viel Überschwang. Man könne meinen, Fidesz sei schon besiegt, mahnt die sozialdemokratische Zeitung Népszava, und im Online-Medium Telex wird ausführlich durchdekliniert, dass der Kandidat, wenn die Opposition die Parlamentswahlen gewinnen will, auch die Mehrheit der 106 Wahlkreise gewinnen müsse, in der die DK oder die rechtskonservative Jobbik die Direktkandidaten stellt. Außerdem sei Márki-Zay kein Abgeordneter, er könne jetzt zwar über die Dörfer ziehen und Wahlkampf machen, Orbán aber nicht im direkten Duell stellen. Der Ministerpräsident ist bisher noch jeder Fernsehdebatte mit Herausforderern ausgewichen. Insgesamt hätten, so 444.hu, zwar 850 000 Menschen an beiden Vorwahlrunden teilgenommen, aber das sei immer noch weniger, als Fidesz im Alltag mobilisieren könne.

Während man bei Fidesz noch sondiert, wie mit dem neuen Gegner umzugehen ist, geben zahlreiche Orbán-treue Medien schon mal die Richtung vor: Márki-Zay habe sich von linken Parteien unterstützen lassen, er sei gar kein Wertkonservativer, sondern eigentlich ein Sklave von Ferenc Gyurcsány, dem verhassten Ex-Premier und Mann von Klára Dobrev. Er sei ein Karrierist und außerdem ein Migrantenfreund - das ist das schlimmste Urteil, das die regierungsnahe Presse fällen kann.

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