Betrugsverdacht:Anklage in Schnelltest-Skandal

Betrugsverdacht: Hier scheint wenig los zu sein: Ein Testzelt in Gievenbeck.

Hier scheint wenig los zu sein: Ein Testzelt in Gievenbeck.

(Foto: Palina Milling)

Ein Betreiber von Testzentren soll 25 Millionen Euro vom Staat ergaunert haben. Er nutzte wohl die Freiheit, die ihm Gesundheitsminister Jens Spahn gelassen hatte.

Von Klaus Ott und Jana Stegemann, Düsseldorf

Mal eben schnell Testzentren für das Corona-Virus einrichten und mal eben schnell viel Geld vom Staat kassieren. Möglich gemacht hatte das im Frühjahr Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU) im Einvernehmen mit den Regierungen von Bund und Ländern. Massen-Schnelltests sollten helfen, das Virus zu bekämpfen und den Menschen im Lande wieder mehr Freiheiten zu geben.

Bald darauf zeigten sich die Schattenseiten der Zulassung privater Teststationen, ohne dass der Staat für Kontrollen gesorgt hatte. Erste Betreiber gerieten unter Betrugsverdacht. Jetzt liegt eine erste Anklage vor.

Die Staatsanwaltschaft Bochum wirft dem Geschäftsmann Oguzhan C. vor, als "faktischer Chef" der Firma Medican die Pandemie ausgenutzt und binnen zwei Monaten 25,1 Millionen Euro vom Staat ergaunert zu haben. Seinem Sohn Sertac C. wird als "formellem Chef" der Firma Beihilfe zum Betrug zur Last gelegt. Medican hatte zeitweise 54 Testzentren in 36 Städten Deutschlands betrieben, Schwerpunkt war Nordrhein-Westfalen.

Recherchen von Süddeutscher Zeitung, NDR und WDR hatten die Ermittlungen ausgelöst. Reporterinnen hatten vor den Centern der Firma Medican an mehreren Standorten tagelang deren Kunden gezählt. Das waren viel weniger, als hinterher in einer internen Datenbank des Landes NRW an Tests gemeldet worden war. Diese Datenbank hatten SZ, NDR und WDR einsehen und abgleichen können. Kurz nach der Berichterstattung hatte es eine Razzia in den Privat- und Geschäftsräumen von Medican gegeben, zeitweise saßen sowohl Vater als auch Sohn C. in Untersuchungshaft. Der Juniorchef kam jedoch vor Kurzem frei.

Mindestens 94 Ermittlungsverfahren

Laut Anklage der Staatsanwaltschaft Bochum soll in Testzentren von Medican das "Vielfache der tatsächlich durchgeführten Tests abgerechnet" worden sein. Der Firmenboss Oguzhan C. habe erkannt, dass es bei dem pandemiebedingten System "keiner Nachweise" dafür bedurft habe, ob die Tests auch tatsächlich vorgenommen worden seien. Außerdem soll er Sachkosten angegeben haben, die ihm in dieser Höhe gar nicht entstanden seien. Ob die Vorwürfe zutreffen, bleibt abzuwarten. Nun muss die 6. große Strafkammer des Landgerichts Bochum entscheiden, ob ein Prozess angesetzt wird.

Doch nicht nur die Firma Medican hatte offenbar die Pandemie zu ihrem eigenen Vorteil genutzt. Deutschlandweit laufen mindestens 94 Ermittlungsverfahren gegen andere Betreiber von Testzentren. Das hatte eine Umfrage von SZ, NDR und WDR im August ergeben. Fast immer geht es in diesen Fällen um Falschabrechnung. Mehrere Länder hatten damals aber gar nicht geantwortet. Bis zu diesem Zeitpunkt hatte die Bundesregierung schätzungsweise bereits drei Milliarden Euro für die Schnelltests privater Betreiber ausgegeben, die offiziell als "Bürgertests" deklariert worden waren.

Nach Aufdeckung der Missstände räumte auch das Bundesgesundheitsministerium in einem internen Papier ein, dass "Handlungsbedarf" bestehe, und erließ eine neue Testverordnung, die Abrechnungsbetrug erschweren sollte. Mit Wirkung vom 11. Oktober hat der Bund das Angebot der flächendeckenden kostenlosen Corona-Tests beendet. Nun dürfen sich nur noch Menschen kostenlos testen lassen, die sich aus medizinischen Gründen nicht impfen lassen können.

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