Festival:Im Zauberwald der Sehnsüchte

Madame Butterfly

Begegnung mit Avataren: In "Madame Butterfly" werden mühelos hunderte Jahre japanische Geschichte aufgerollt.

(Foto: Philip Frowein)

Das "Spielart"-Festival beginnt - und schon schwebt man zwischen Kulturen und Kontinenten und verliert seine mitteleuropäische Selbstgewissheit.

Von Egbert Tholl, München

Butterfly singt. Ihre Arie "Un bel di vedremo", die Arie von Sehnsucht und Hoffnung, dass Pinkerton wiederkehren wird, der sie heiratete, als würde er ein hübsches Spielzeug kaufen, und dann nach Amerika verschwand. Aber diese Arie kommt nur vom Band, ist nur noch Erinnerung an die Oper Puccinis, bei der man hierzulande so schön heulen kann, wenn man in ein prächtiges Opernhaus geht und umwölkt von Musik Anteil nehmen kann an Butterflys Schicksal. Satoko Ichihara ist härter.

Auf den ersten Blick verblüfft dies, denn Ichihara ist ein zartes Wesen, das artig und wohlerzogen wirkt, nicht wie eine junge Frau, die Texte über die Unterschiede zwischen männlichen Fortpflanzungsorganen schreibt. Amerikanische Schwänze sind groß, taugen aber nicht viel, japanische sind klein, aber leistungsfähig. Aber dieser Aspekt kommt erst später, erst einmal entrüstet sich die Schauspielerin Kyoko Takenaka über ihr flaches Gesicht. Diese Nase!

Satoko Ichihara arbeitet zum ersten Mal außerhalb Japans. Ihre "Madama Butterfly" kam diesen Sommer in Zürich heraus, das Theaterspektakel und das auftraggebende Theater Neumarkt produzierten die Inszenierung zusammen mit dem Q Theatre in Tokio. Jetzt war sie im Rahmen des "Spielart"-Festivals zu sehen, im Marstall des Residenztheaters: eine brillante Übertragung der Motive einer hundert Jahre alten Oper in die Gegenwart.

Alles wird aufgerollt, ein paar hundert Jahre japanische Geschichte, Abschottung und erzwungene Öffnung, die Art und Weise, wie der Westen auf Japan schaut und Japan auf den Westen. Kyoko Takenaka sitzt in einem Zauberwald, ihr begegnen Avatare, deren Texte sie zuvor selbst eingesprochen hat und mit denen sie sich nun unterhält, ein vielleicht leicht schizophrener Vorgang, den Takenaka mit Bravour meistert. Da ist die schöne, blonde, langbeinige Kate (Pinkertons Frau), ein Sehnsuchtsbild, da eine kleine japanische Fee, die versucht, Butterfly ein bisschen japanisches Selbstbewusstsein mitzugeben, Sailor Moon, Manga-Kämpferin für das Gute, schaut vorbei und auch ein Priester. Mit dem Versuch der Christianisierung Japans tauchten dort auch Madonnenfiguren auf, weiß und schlank, westliche Physiognomien, Gegenbilder.

Die Pinkertons hocken heute auf den US-Militärbasen in Japan. Denen, und da ist Ichihara grimmig den eigenen Landsfrauen gegenüber, will Frau gefallen. Als Anverwandlung des Westlichen oder traditionell mit Kindchenschema, kugelrunde Augen und saftige Lippen, die von Zeugungsbereitschaft künden sollen, weil man die Schamlippen ja nicht mehr sieht, unter all diesen Unterhosen, Fluch der Zivilisation. Das ist alles verstörend unverblümt. Ein Gaijin, ein Fremder, ist Ziel der Begattung, Sascha Ö. Soydan spielt mit Aberwitz Pinkertons Stellvertreter in der Gegenwart, Japanisch muss keiner von denen können, Hauptsache es kommt zur Begattung, und das Ergebnis, Ha-Fu, also halb, ist ein bisschen größer und weißer und großnasiger.

Erschütternd ist die Schlussszene zwischen Butterfly und ihrem Sohn

Das Spiel über den Verlust von Identität aufgrund eines oktroyierten, aber dann dankbar angenommenen Fremdideals mündet in die erschütternde Schlussszene zwischen Butterfly und ihrem wunderschönen Sohn Yan Balistoy, der die vollgebluteten Unterhosen seiner Mutter nicht mehr erträgt. Butterfly bringt sich um wie in der Oper, auf sie regnen Rosenblätter wie im Kabuki-Theater. Davor muss man allerdings einen Exkurs über das Theater an sich überstehen, eine freie Diskussion der Darstellenden. Ichihara war offenbar verdutzt darüber, womit sich Theater in Zentraleuropa so beschäftigen, dass auf einmal etwas rassistisch sein sollte, was es in Japan gar nicht ist.

Nach fünf Produktionen in den beiden ersten Tagen des Festivals stellt sich schnell wieder dieses wunderbare "Spielart"-Gefühl ein, dieser Zustand des Schwebens zwischen Kulturen und Kontinenten. Mit dabei stets ein Gefühl der leichten Überforderung, weil außereuropäisches Theater nun einmal anders funktioniert als europäisches, vor allem, was die Diskurse betrifft. Aber genau das raut ja die mitteleuropäische, intellektuelle Selbstgewissheit auf, mit der man hier nicht ins Theater zu gehen braucht.

Spielart

Energetisches Getrommel und das Stampfen des Widerstands: Amanda Piñas Produktion "Danza y frontera".

(Foto: Hubert Marz)

Sara Sejin Chang stammt aus Südkorea, lebt und arbeitet in Brüssel, Amsterdam und Berlin und verknüpft historische Recherche mit spirituellen, sagen wir mal, Beschwörungen. "Four Months, Four Million Light Years" arbeitet das Verhältnis zwischen den Niederlanden und Korea auf, aus der Tiefe der Zeit landet man beim Korea-Krieg, bei den dort beteiligten niederländischen Soldaten, bei Kinder- und Waisenheimen, bei Zwangsadoptionen und einem regen Kinderhandel, Menschenhandel der Neuzeit, das stand ähnlich am Wochenende auch in dieser Zeitung. Wer Heimat verliert, verliert seine Spiritualität, und man kann Chang im weiteren Verlauf bis in die Mongolei folgen, man kann sich aber auch einfach wundern.

In der Eröffnungsproduktion des Festivals stellt Amanda Piña einen Tanz auf die Bühne der Muffathalle ("Danza y frontera"), der einst in Spanien zur Feier der Vertreibung der Araber erfunden wurde, im kolonialen Gepäck nach Südamerika wanderte und nun, 500 Jahre später, Ausdruck von Zorn ist. Dem energetischen Getrommel, dem Stampfen des Widerstands geht aber etwas viel Spannenderes voraus: körperlich dargestellte Nachmahre, faszinierende Begegnungen im Niemandsland an der Grenze zwischen Mexiko und den USA, mal bizarr, mal queer, mal unheimlich. Noch besser weiß Nora Chipaumire in "Nehanda", was Wut ist, aber davon beim nächsten Mal.

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