Porträt:"Diese Lesungen bedeuten mir sehr viel"

Porträt: Michael Stacheder liest Stefan Zweig.

Michael Stacheder liest Stefan Zweig.

(Foto: Paria Partovi/oh)

Nach der Auflösung seines am Kleinen Theater Haar angesiedelten Ensembles hatte Regisseur Michael Stacheder ein Burn-out. Doch er kämpfte sich zurück. Demnächst trägt er an seiner alten Wirkungsstätte den Briefwechsel von Franz und Maria Marc vor

Von Udo Watter

Der Tag der Premiere war gleichzeitig das Finale. Vor fast genau einem Jahr, am 1. November 2020, präsentierte Michael Stacheder im Franz-Marc-Museum in Kochel mit seiner Partnerin Anna März und dem Trio Anheizholz erstmals die Konzertlesung "Ich will Dich an der Hand führen, um Dir die Wunder der Welt zu zeigen" aus den Briefen von Franz und Maria Marc. Hoch über dem Kochelsee, flankiert von den Meisterwerken des 1880 in München geborenen Malers, lasen März und Stacheder aus der Korrespondenz des langjährigen, seit 1913 verheirateten Künstlerpaares. Briefe und Karten voller Sehnsucht und Zärtlichkeit, die Einblicke in das Seelenleben der Schreibenden gewährten, aber auch in die Kunstszene, die Anfänge des "Blauen Reiters" sowie von 1914 an die Erfahrung des großen Krieges. "Es war schon besonders in diesem Raum", erinnert sich Stacheder. "Die Stimmung war aber auch sehr melancholisch." Kein Wunder: Einen Tag später begann der zweite Lockdown, Kulturveranstaltungen waren auf Monate hin nicht mehr mit Präsenz-Publikum möglich, der vorläufig letzte Vorhang war gefallen. Zwangspause.

Nun, was lange Pausen angeht und letzte Vorhänge, hat Michael Stacheder, 41 Jahre alt, Schauspieler und Regisseur, durchaus Erfahrung. Wenn er an das Junge Schauspiel Ensemble München (JSME) denkt, das er 2004 gegründet hat und das 2016 de facto aufgelöst wurde, spricht er sogar vom "eisernen Vorhang" der bei ihm damals runtergegangen sei. Für Stacheder, den langjährigen Leiter des Ensembles, dessen Stammhaus seit 2009 das Kleine Theater Haar war und das dort etliche, auch überregional beachtete Produktionen auf die Bühne brachte, war in den Jahren 2014 und 2015 der Kampf neben der Bühne dramatischer als auf ihr - und ohne Happy End. Nachdem sich die ohnehin schwierige finanzielle Lage des Ensembles in dieser Zeit zuspitzte und die Verbindlichkeiten immer drückender wurden, war das Ende unaufhaltsam. Für die freie Theatergruppe, zu der neben Stacheder diverse Schauspieler zählten sowie Bürokräfte, Techniker oder Dramaturgen, gab es keine Zukunft mehr (auch die jährliche Förderung durch die Gemeinde Haar und die projektgebundene Unterstützung durch den Bezirk Oberbayern reichten nicht). Besonders dramatisch mutete an, dass von Stacheder viel privates Geld in dem Unternehmen JSME steckte, ein Haus der Familie in Bad Aibling war mit einer Grundschuld belastet. Der Regisseur kämpfte lange, ausdauernd und zunehmend verzweifelt, fühlte sich aber letztlich an vielen Fronten "im Regen stehen" gelassen und musste schleichend aufgeben. Das Haus musste verkauft werden, die Insolvenz des Unternehmens wurde zwar noch länger hinausgezögert, aber seit Frühjahr 2020 ist auch sie endgültig Wirklichkeit.

Porträt: Michael Stacheder liest Stefan Zweig.

Michael Stacheder liest Stefan Zweig.

(Foto: Paria Partovi/oh)

"Mir geht es im Vergleich zu damals wieder richtig gut", sagt Stacheder. Nachdem das Projekt JSME 2016 kollabiert war, tauchte der gebürtige Rosenheimer, der in Bad Aibling aufwuchs und später lange in München lebte, eine Weile ab. "Ich habe das gebraucht. Einen kompletten Cut." Die Rückkehr ins familiäre Umfeld nach Bad Aibling folgte sowie eine Art Auszeit, wohl auch einem Burn-out geschuldet und depressiven Verstimmungen. "Was ich im Jahr 2016 gemacht habe, weiß ich nicht mehr so genau. Vom Theater wollte ich eine Zeitlang jedenfalls nichts mehr wissen", sagt Stacheder. Mit fast allen Leuten des ehemaligen Jungen Schauspiel Ensembles München hat er seit der Zeit keinen Kontakt mehr. Nachdenken, Wunden lecken, vielleicht verdrängen und die Frage "Habe ich versagt?" bestimmten diese Phase.

Die ist freilich nun schon länger vorbei: Stacheder, der zwischendurch zweifelte, ob er jemals wieder etwas mit Theater und szenischen Inszenierungen machen würde, ist seit einiger Zeit wieder kreativ und aktiv. Die eingangs erwähnte Konzertlesung, die er ursprünglich mit seinen Kolleginnen am vergangenen Freitag in Taufkirchen hätte geben sollen, wurde zwar kurzfristig abgesagt, aber der 41-Jährige hat dennoch gut zu tun. Neben Künstlern des "Blauen Reiters" wie Franz Marc oder August Macke, die ihn nicht zuletzt wegen ihrer utopischen Ideen von einer neuen, reinen Kunst befeuern, spezialisiert sich Stacheder auch wieder auf Aspekte der Erinnerungskultur - das war schon ein Markenzeichen des Jungen Schauspiel Ensembles München - was sich etwa in Lesungen aus Max Mannheimers spätem Tagebuch niederschlägt. "Ich habe mich auf die kleine Form konzentriert." Die Vorträge über den 2016 verstorbenen und lange in Haar lebenden Mannheimer, der den Holocaust überlebte und als Zeitzeuge eine überragende Rolle spielte, sind viel gebucht, in ganz Deutschland. "Diese Lesungen bedeuten mir sehr viel", sagt Stacheder. Eine weitere Lesung hat er über Stefan Zweig erarbeitet, "Stimmen aus der Welt von Gestern" ist ein literarisches Langzeit-Projekt. Auf seiner eindrucksvoll und ambitioniert gestalteten Homepage "Theaterwelten" (https://michaelstacheder.com), kann man sich darüber genauer informieren.

Porträt: Im Februar wird Michael Stacheder die einst vertraute Bühne wieder betreten: das Kleine Theater Haar.

Im Februar wird Michael Stacheder die einst vertraute Bühne wieder betreten: das Kleine Theater Haar.

(Foto: Claus Schunk)

Mit Max Mannheimer hat in gewisser Weise auch wieder die richtige Rückkehr Stacheders ins kreative öffentliche Leben zu tun. Im Zuge einer politisch kontroversen Debatte über die Benennung einer Straße in Max-Mannheimer-Straße, die seine Heimatstadt Bad Aibling nicht ins allerbeste Licht rückte, initiierte Stacheder als Reaktion die Max-Mannheimer-Kulturtage, die erstmals 2018 dort stattfanden - unter dem Motto "Miteinander erinnern." Für Stacheder eine konsequente Fortsetzung seines künstlerischen Werdegangs als Regisseur - schon 2004 inszenierte er "Die Weiße Rose - Aus den Archiven des Terrors", es folgten unter anderem Stücke wie "Mala und Edek - eine Geschichte aus Auschwitz" oder "Die Judenbank".

Bereits 2017 hatte er sogar schon wieder eine Oper inszeniert, der 2018 eine zweite folgte (Mozarts "La clemenza di Tito"), zudem hat er noch andere Literaturprogramme im Repertoire. Den längeren Schockzustand von 2015/16, hat er also schon seit geraumer Zeit überwunden, und auch die coronabedingten Krisenzeiten haben ihm - der gleichsam schon Schlimmeres erlebt hat - nicht so zugesetzt. Dass die Kultur generell gelitten hat, dass zudem die Zukunft, speziell auch die der freien Theaterszene, nicht gerade in den hellsten Farben strahlt, sieht er mit Bedauern. Auch die teilweise noch sehr zögerlich erfolgende Rückkehr des Publikums betrachtet Stacheder skeptisch.

Bleibt für ihn und generell zu hoffen, dass das Kulturpublikum nach und nach wieder stärker den Weg zurück in die Säle findet. Wann Stacheder und Anna März im Kultur- und Kongresszentrum in Taufkirchen ihre Franz-Marc-Lesung nachholen, ist noch nicht klar, ein weiterer Termin im Landkreis steht hingegen fest. Es ist ein besonderer: Am 26. Februar 2022 wird Stacheder mit der Marc-Lesung an einem Ort auftreten, den er sehr gut kennt und von dem er eigentlich dachte, er könne und möchte ihn nie wieder betreten: das Kleine Theater Haar. "Ich will Dich an der Hand führen, um Dir die Wunder der Welt zu zeigen."

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