Türkei:Friedensschluss per Twitter

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Geht gern und oft ins Risiko: der türkische Präsident Recep Tayyip Erdoğan (Foto: Murat Kula/AFP)

Der Diplomaten-Streit mit Ankara ist nun doch gütlich beigelegt. Ist damit wieder alles gut? Mitnichten, der Fall des inhaftierten Kulturförderers Kavala steht bald wieder auf der Tagesordnung.

Kommentar von Tomas Avenarius

Eigentlich recht elegant gelöst: Da wird eine Erklärung formuliert, aus der die Streithähne herauslesen können, was ihnen gefällt. Beide Seiten sehen sich bestätigt, sie wahren das Gesicht, der Konflikt ist vom Tisch. Die Rede ist vom Diplomaten-Streit zwischen der Türkei und den Regierungen von zehn westlichen Staaten. Deren Botschafter hatten sich öffentlich für den inhaftierten Kulturförderer Osman Kavala eingesetzt, Gerechtigkeit für ihn gefordert.

Die Diplomaten waren Personen von Gewicht: Die Botschafter der USA, Deutschlands, Frankreichs und sieben weiterer, großteils einflussreicher Staaten. So diplomatisch unklug diese öffentliche Kritik war, so diplomatisch formvollendet wurde die Kuh nun mit einer eigentlich völlig nichtssagenden, als Handy-Tweet verbreiteten Erklärung vom Eis geholt.

Ein Friedensschluss per Twitter also. Die Regierungen der betroffenen Staaten haben bei nüchterner Lesart des dürren Textes - ein einziger Satz - keinen Fehler eingestanden. Geschweige, dass sie sich bei der Türkei entschuldigt hätten. Sie haben eine Binse von sich gegeben: Ihre Diplomaten folgen den im "Wiener Abkommen" vereinbarten Spielregeln.

Jede Seite kann aus der Erklärung herauslesen, was sie will

Zugleich haben die Verantwortlichen in den betroffenen Außenministerien - mit Sicherheit waren inoffiziell auch erfahrene türkische Diplomaten involviert - den Text so formuliert, dass Staatschef Recep Tayyip Erdoğan aus dem Sätzchen das herauslesen kann, was er seinem Volk von Anfang an verkünden wollte: Die Türkei lässt sich von keinem gängeln, dank ihres ach so starken Präsidenten.

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Erdoğan hat gute Nerven, er geht oft und gern ins Risiko. Er hat auch diesmal sein Spiel gemacht. Er kann nun hoffen, innenpolitisch wieder Punkte gesammelt zu haben bei seinen Wählern. Denn die drohen ihm in letzter Zeit in immer größerer Zahl von der Fahne zu gehen. Innenpolitik, darum ging es ihm.

Die Regierungen der zehn betroffenen Staaten hingegen, vorneweg die Amerikaner, die Deutschen und die Franzosen, haben allenfalls im Schlussakt überzeugen können. Sie haben das Schlimmste vermieden, den ungewollten Bruch mit der Türkei als Nato-Staat, als Player im Nahen und Mittleren Osten, als wichtigem Nachbarn der EU.

Die Zeit für eine Lösung ist reichlich knapp

Ist deswegen alles wieder gut? Nein. Der Fall Kavala wird in wenigen Wochen erneut auf den Tisch kommen. Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte hat bereits 2019 geurteilt, dass der ohne Gerichtsurteil inhaftierte Kulturmäzen und Zivilgesellschafts-Förderer freigelassen werden muss. Die Türkei ist Mitglied des Europarats, sie muss dem Urteil Folge leisten. Geschieht dies bis zum Dezember nicht, droht Ankara der Ausschluss aus dem Rat. Dann wäre die Türkei wirklich abgekoppelt von Europa und dem Westen der Welt.

Die Zeit, eine Lösung zu finden, ist knapp. Optimisten mögen hoffen, dass der diplomatische Friedensschluss eine inoffizielle Absprache enthält: Ende November wird im Kavala-Prozess weiter verhandelt, da bieten sich Möglichkeiten, bis hin zur Freilassung. So etwas wäre nicht das erste Mal, siehe den Fall des in der Türkei ein Jahr lang inhaftierten deutschen Journalisten Deniz Yücel.

Aber garantiert ist das im Fall Kavala nicht. Im Gegenteil, die eigenwillige Aktion der zehn Botschafter und das darauf folgende öffentliche Gezänk hat die Lösung möglicherweise unnötig erschwert.

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