Erding:750-Euro-Mittelfinger

Amtsrichter Wassermann stellt Verfahren gegen einen Motorradfahrer wegen Beleidigung gegen Geldauflage ein. Fotos einer Dashcam seien rechtlich umstritten und zu 100 Prozent sei ein "Stinkefinger" nicht beweisbar

Von Gerhard Wilhelm, Erding

Für den Verteidiger des Angeklagten war es eine "Lächerlichkeit", die eigentlich gar nicht hätte verhandelt werden sollen. Für die Staatsanwaltschaft war es eine Beleidigung, und die wurde mit einem Strafbefehl geahndet, gegen den der 57-Jährige Einspruch erhoben hatte: Er soll am 9. November vergangenen Jahres einem anderen Verkehrsteilnehmer den Mittelfinger gezeigt haben. Laut Aussage des Autofahrers und als Beweis hatte er bei der Polizei Fotos von seiner Dashcam im Auto vorgelegt. Der Einsatz dieser kleinen Kameras im öffentlichen Raum ist rechtlich umstritten, womit Amtsrichter Andreas Wassermann der Meinung des Verteidigers folgte. Damit gab es nur die Aussage des 37-jährigen Autofahrers und dessen Lebensgefährtin, die Beifahrerin war, als Beweis. Zu wenig, fand der Amtsrichter und stellte das Verfahren gegen eine Geldauflage von 750 Euro für die Klink-Clowns ein.

Es war ein Vorfall, der auf deutschen Straße täglich zu sehen ist: Ein Verkehrsteilnehmer ärgert sich über einen anderen und regt sich auf. Solange er alleine im Fahrzeug über den anderen schimpft und flucht, ist das rechtlich kein Problem. Wehe aber, es kommen Gesten dazu, die jeder sehen kann. Das Zeigen eines Mittelfingers, auch gerne "Stinkefinger" genannt, ist im Straßenverkehr kein Kavaliersdelikt, sondern eine Straftat, und zwar eine Beleidigung nach Paragraf 185 des Strafgesetzbuches. Und die kann mit einer Freiheitsstrafe bis zu einem Jahr oder mit Geldstrafe geahndet werden. Die Strafe bewegt sich üblicherweise zwischen 600 und 4000 Euro. Der Beleidigte muss aber den Vorfall anzeigen.

Im vorliegenden Fall soll der Angeklagte, der sich vor dem Amtsgericht von seinem Anwalt vertreten ließ, mit seinem Motorrad in einem Kreisverkehr in Dorfen so knapp vor dem Auto des 37-Jährigen in den Kreisverkehr eingeschert sein, dass dieser gezwungen gewesen sei, massiv zu bremsen, um einen Zusammenstoß zu verhindern. "Ich war knapp davor, ihn abzuschießen", sagte der 37-Jährige vor Gericht. Er habe die Hupe lange gedrückt und dafür den Mittelfinger der linken Hand zu sehen bekommen. Danach sei der Motorradfahrer "extrem langsam" im Kreisverkehr vor ihm weitergefahren. Als der wohl gesehen habe, dass er bei der nächsten Ausfahrt raus wollte, habe er ihm noch einmal den Mittelfinger gezeigt. Alles habe die Dashcam in seinem Auto aufgezeichnet, was auch beweise, dass er so stark bremsen habe müssen, da die Kamera erst bei höheren G-Kräften aktiviert werden. Auch seine Freundin bestätigte diese Version im Großen und Ganzen.

Nachdem der 37-Jährige deshalb bei der Dorfener Polizeiinspektion schriftlich Anzeige erstattet hatte, kam es zu Ermittlungen, in dessen Verlauf der 57-jährige Angeklagte als Motorradfahrer identifiziert wurde. Anschließend stellte die Staatsanwaltschaft das Verfahren ein - was aber dem angeblich Beleidigten nicht passte. Es kam zu weiteren Ermittlungen, zur Befragung von dessen Freundin und der Auswertung der Dashcam-Fotos. Und doch zum Strafbefehl.

Nach Meinung des Anwaltes zeuge das Verhalten des 37-Jährigen schon von großem Belastungseifer. Es gebe wichtigere Dinge für die Gerichte, als wegen "alltäglicher Vorfälle" urteilen zu müssen. Zudem sei die Verwertung der Fotos, die zudem interpretationswürdig seien, rechtlich umstritten. Auch der ermittelnde Polizist musste zugeben, dass er nicht zu 100 Prozent sagen könne, ob es sich um den Mittelfinger oder eventuell auch Zeigefinger handelt. Zumal die Hand in einem Handschuh stecke.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: