Volkswagen:Sie ruft, er folgt

12 09 2019 xfux Wirtschaft Automobil IAA 2019 Internationale Automobil Ausstellung emspor v l

VW-Chef Herbert Diess gilt als notorischer Provokateur. Nun ist der bislang moderat auftretenden neuen Betriebsratschefin Daniela Cavallo der Geduldsfaden gerissen.

(Foto: Jan Huebner/Ulrich; via www.imago-images.de/imago images / Jan Huebner)

Eigentlich wollte VW-Boss Diess die Betriebsversammlung schwänzen. Doch damit zog er den Zorn von Betriebsratschefin Cavallo auf sich. Nun gibt er nach - und verzichtet für den Termin auf einen Trip in die USA.

Von Max Hägler

Der Machtkampf in Wolfsburg dauerte nur einige Stunden. Aber er wurde geführt mit großer Härte - und nun gibt es einen Sieger, oder vielmehr eine Siegerin: Daniela Cavallo, 46 Jahre alt, Betriebsratschefin des Volkswagen-Konzerns. Herbert Diess, der Konzernchef, gibt sich geschlagen.

"Liebe Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter", so schrieb er am Mittwochabend um kurz vor 19 Uhr selbst ins VW-Intranet, "der Dialog mit Ihnen ist mir sehr wichtig, da vor uns gewaltige Aufgaben liegen." Um an der Betriebsversammlung physisch teilnehmen zu können, "verschiebe ich die wichtige Reise in unseren Kernmarkt USA", ist da zu lesen.

Es ist das nächste Kapitel - oder sollte man sagen: Runde - einer Angelegenheit, die so wohl nur bei Volkswagen passieren kann, dem größten Industriekonzern Europas, der zugleich auch am zuverlässigsten für Drama sorgt. Die Arbeitnehmerseite, angeführt von Cavallo, hatte für den 4. November eine Betriebsversammlung angesetzt, die erste nach fast zwei Jahren Corona-Pause. Es gibt ja auch viel zu besprechen. Bei Volkswagen fehlen, wie bei den meisten anderen Herstellern auch, in diesen Monaten wichtige Ingredienzien, ohne die keine Autos gebaut werden können: Computerchips. Der Mangel, auch ausgelöst durch Fehleinschätzungen im VW-Management, führt immer wieder zum Produktionsstopp.

Unabhängig davon erhöhen Diess und seine Kollegen wie Markenchef Ralf Brandstätter derzeit mal wieder den Druck auf die Belegschaft: Die Effizienz müsse steigen, zumal am Hauptsitz, sonst gerate man ins Hintertreffen, gerade gegenüber dem Hauptkonkurrenten Tesla. Dort würden Autos in unter 15 Stunden gefertigt, bei VW dauert das mitunter doppelt so lange. Auch eine harte Zahl sprach Diess aus in den vergangenen Tagen: 30 000 Stellen seien in Gefahr, wenn man nicht schleunigst ganz viel ändere.

Kurzum: Die Unruhe ist gewaltig. Es gibt zu reden.

Doch ohne den Chef persönlich, so schien es in den vergangenen Tagen. Er könne an der Belegschaftsversammlung nicht teilnehmen, der Termin dafür habe ihn leider zu kurzfristig erreicht. Just an dem Tag gebe es eine Investorentagung in den USA. Sorry!

"Dieses Verhalten ist beispiellos in der Geschichte unseres Konzerns"

Schon das war in den Augen der Arbeitnehmervertreter ein Affront, denn in jedem Betrieb hat die Geschäftsleitung bei Betriebsversammlungen zu erscheinen. Und besonders bei Volkswagen. Die Arbeitnehmervertretung in Wolfsburg ist qua Gesetz extrem mächtig - und ohne ihr Mitwirken kann Diess jede Art von Veränderungswunsch gleich wieder vergessen.

Doch dann dachten sich Diess' Leute noch etwas aus, was man als Zugeständnis lesen kann an die Arbeitnehmerschaft - oder als endgültige Provokation: An diesem Donnerstagabend lud die Arbeitgeberseite zur eigenen Aussprache. "Unter dem Motto 'Beschäftigte fragen, Herbert Diess antwortet'" könnten 200 Beschäftigte für eine Stunde mit dem obersten Chef sprechen, war am Dienstag plötzlich im VW-Intranet zu lesen.

VW-Konzernbetriebsratschefin Cavallo

Betriebsratschefin Daniela Cavallo: "Herbert Diess verweigert sich in diesen Zeiten den Antworten vor versammelter Belegschaft."

(Foto: Swen Pförtner/dpa)

Da sei der bislang moderat auftretenden Cavallo der Geduldsfaden gerissen, heißt es aus dem Arbeitnehmerlager. Ein halbes Jahr habe man sich zurückgehalten, habe sich auf Moderation verlegt, damit VW in Ruhe arbeiten könne. Doch nun sei Schluss. Und wie.

In noch nie vernommener Schärfe ließ die Betriebsratschefin am Dienstagabend einen offenen Brief verbreiten, der ein Frontalangriff war. Es hatte sich offenbar etliches aufgestaut in den vergangenen Monaten. "Während der Konzernvorstandsvorsitzende mit seinen Surfaktionen auf dem Mittellandkanal, den Fahrraddemos vorm Werktor oder den gemütlichen Wandertouren mit seinen Vorstandskollegen den Anschein erweckt, als liefe alles rund, stecken die Kolleginnen und Kollegen seit Monaten fast durchgängig in der Kurzarbeit fest", begann die IG-Metall-Gewerkschafterin. Das sei eine "dramatische Situation, die es so noch nie gab".

Es war der Ton ihres stets robust auftretenden Vorgängers Bernd Osterloh: "Herbert Diess zieht die Investoren an der Wall Street der eigenen Belegschaft vor - dieses Verhalten ist beispiellos in der Geschichte unseres Konzerns und zeigt einmal mehr, dass der Konzernvorstandsvorsitzende selbst in dieser Krise weder Empathie noch Gespür für die Situation der Belegschaft hat", schrieb sie weiter.

Manch durchaus Mächtige in Wolfsburg wollen Diess keine Patzer mehr zugestehen

Die Schärfe der Worte mag auch ein wenig den Umständen geschuldet sein. Im kommenden Jahr stehen Betriebsratswahlen an und in einigen Tagen gibt es auch die "Planungsrunde" - also jene alljährliche Aufsichtsratssitzung, bei der über Milliardeninvestitionen und die Belegung der Werke in aller Welt entschieden wird. Mithin also über Jobs. Aber Cavallo sei schlicht auch empört gewesen über das flegelhafte Auftreten der Arbeitgeberseite, so ist zu hören.

Dass der Konzernchef eine Dialogveranstaltung "nach eigenem Drehbuch" in den Terminkalender schiebe anstatt zur Betriebsversammlung zu erscheinen, "zeigt uns, dass Herr Dr. Diess weiterhin keinerlei Interesse an einer konstruktiven Zusammenarbeit hat". Weiterhin - das ist eine Bezugnahme darauf, dass der notorische Provokateur Diess stets ziemlich viele vor den Kopf stößt - in einem Maße, der ihn schon mehrfach an den Rand des Rauswurfs brachte. Cavallos Schreiben war insofern durchaus als letzte Warnung verstehen.

Die Sitzungen des VW-Präsidiums und des Aufsichtsrates an diesem Mittwoch dürften Cavallo dann zupassgekommen sein - es gibt durchaus Mächtige in Wolfsburg, die Herbert Diess keinen weiteren großen Patzer mehr zugestehen wollen, so erfolgreich er auch unterm Strich arbeitet. Jedenfalls hat er am Mittwochabend eingelenkt: Er kommt zur Versammlung, die eigene Dialogveranstaltung ist abgesagt - so wie auch die USA-Reise.

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