Basketball:"Ich kann nichts verändern, indem ich flüchte"

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"Ich stehe für Konstanz": Raoul Korner lebt seinen Beruf mit Leidenschaft. (Foto: Peter Kolb/Imago)

Vor dem Heimspiel gegen den FC Bayern spricht der Bayreuther Cheftrainer Raoul Korner über Reisestrapazen, der Einfluss von Corona auf die Saison sowie das Spannungsfeld zwischen wachsenden Ansprüchen und katastrophalen Trainingsbedingungen.

Von Christoph Leischwitz

Raoul Korner, 47, hat sich in seinem Leben selten mit nur einer Aufgabe auf einmal zufriedengegeben. Seit 2019 ist der Österreicher Basketball-Nationaltrainer in seinem Heimatland, zugleich geht er in sein sechstes Jahr mit Bundesligist Medi Bayreuth. Trotz einer 81:91-Niederlage in London am vergangenen Mittwoch sind die Oberfranken im Europe Cup angekommen, in der Bundesliga läuft es allerdings nicht so gut.

SZ: Herr Korner, jetzt waren Sie gerade in London, wissen Sie denn, wie viele Kilometer Sie seit Saisonbeginn schon gereist sind?

Raoul Korner: Die genaue Kilometerzahl kenne ich nicht, aber ich glaube, dass wir schon auf eine Weltumrundung zusteuern. Allein die Reise nach Russland für den Europe Cup, das war schon heftig. Die Anzahl der Kilometer ist das eine, die Anzahl der Tage, die dabei draufgeht, das andere. Unser Reisebus ist ein Doppeldecker, unten drin haben die Coaches je einen Vierertisch. Jeder hat eine Matratze, die kann man dann zum Schlafen auf den Tisch legen. Manche schlafen auch unter dem Tisch, weil es da härter ist. So kann man zumindest im Liegen reisen und muss sich nicht die ganze Zeit mit seinem Knie in der Nase bohren. Fliegen ist nochmal ein anderes Kapitel. Aus Bayreuth brauchen wir ja schon mal drei Stunden mit dem Bus zu jedem nächsten Flughafen.

Grob zusammengefasst: Je weiter Sie bisher gereist sind, umso erfolgreicher waren Sie zu Beginn. Waren Sie mit dem Saisonstart soweit zufrieden?

Das Gefühl ist gedrittelt. Hamburg im Pokal auszuschalten - top! In der Europe-Cup-Qualifikation als Erster rauszugehen, das war eine starke Leistung. Die Russlandreise hat das Team zwar zusammengeschweißt, aber in der Liga hat sie sich auf die Personalsituation deutlich ausgewirkt. Diese zwei Corona-Fälle, ein Andenken aus Russland, tun uns massiv weh. Forward Janari Joesaar ist ein ganz wichtiger Faktor und er wird uns jetzt nach der Verletzung, die er im Spiel in London erlitten hat, noch einmal eine gute Zeit fehlen. Wenn dann immer ein, zwei weitere fehlen, so wie jetzt Kay Bruhnke oder in London kurz vor Spielbeginn auch noch Bastian Doreth, dann ist es nahezu unmöglich, einen kollektiven Rhythmus aufbauen und sich als Team wirklich einzuspielen.

Gegen den klaren Favoriten FC Bayern München könnten Sie im Heimspiel am Sonntag (15 Uhr) theoretisch befreit aufspielen. Wenn man auf die Tabelle blickt, kommen die Bayern aber zu keiner guten Zeit zu Ihnen.

Die Bayern kommen nie zu einem idealen Zeitpunkt (lacht). Wenn sie ihr Potenzial ausschöpfen, werden wir wahrscheinlich verlieren.

"Chemnitz hat uns überholt, Hamburg zieht vorbei: In Sachen Infrastruktur sind wir Schlusslicht der Liga."

In den Statistiken haben Sie eine bessere Trefferquote. Mal ganz simpel gesagt: Sie müssen am Sonntag ja nur schauen, dass Sie öfter zum Abschluss kommen als der Gegner.

Dafür müssten wir zum Beispiel mehr rebounden, und da könnte ein Problem auf uns zukommen (lacht). Was geht zum Beispiel einem erfolgreichen Dreipunktwurf voraus? Ich denke, wir bewegen den Ball schon ganz gut. Aber wir haben zuletzt zu wenig freie Würfe kreiert, waren zu statisch. Und Bayern ist prädestiniert, physisch zu spielen und dafür zu sorgen, dass du den Ball nicht so gut bewegen kannst. Allerdings hatte Bayern diese Woche zwei Euroleague-Spiele, und sie haben wahrscheinlich vom Kopf her andere Prioritäten als Bayreuth.

Es beginnt ­nun eine Zeit mit vielen Heimspielen. Welche Ansprüche herrschen in Bayreuth? Sie sind nicht mehr per se der Außenseiter, wie vielleicht noch vor ein paar Jahren.

Das spricht ja für uns, oder? Das ist durchaus ein Kompliment, so fasse ich das auch auf. Ich finde es auch schön, wenn wir mit Ambitionen rangehen, das ist extrem wichtig und der Grund, warum ich Braunschweig nach drei Jahren verlassen habe. Aber es ist ein schmaler Grat zwischen Ambitionen und unrealistischen Erwartungen. Wenn man einen Sieg in Chemnitz als fast selbstverständlich ansieht, dann ist das nicht realistisch. Denn Chemnitz ist ein Programm, das uns leider überholt hat, was Trainings- und Hallenmöglichkeiten anbelangt, sowie bei den budgetären Möglichkeiten. Auch Hamburg zieht da gerade an uns vorbei. In Sachen Infrastruktur sind wir mittlerweile sogar Schlusslicht in der Liga.

Sind denn Verbesserungen in Aussicht?

Es gab ja schon fertige Pläne für eine neue Halle. Es gibt auch ein Grundstück dafür, aber dann hat sich alles verzögert und verzögert und dann kam Corona, und jetzt ist es mehr oder weniger vom Tisch. Aber für mich ist das kein "nice to have", sondern ein "must have", um die Berechtigung zu behalten, in der BBL zu spielen. Ich glaube, vielen Leuten ist das nicht bewusst, unter welchen Bedingungen wir hier arbeiten. Weil es sportlich ja eh läuft.

"Die Fußballer haben ein Flutlicht, dafür hätte man uns drei Trainingshallen hinstellen können."

Wie sehen die Bedingungen im Alltag aus?

Es sind die schlechtesten, die ich jemals gesehen habe, inklusive meinen Stationen in Österreich und Holland. Auf dem Papier haben wir eine Dreifachturnhalle, in der Praxis aber nicht. Erstens haben wir einen Gummiboden. Da tun einem Basti Doreth schon die Knie weh, wenn er nur den Trainingsplan liest. Der Boden ist derart hart, dass Spieler wegrutschen, Rücken- oder Knieschmerzen haben. Zeitgleich mit uns turnen auf der linken Seite Kinder. Die sind natürlich laut, und das ist mit Musik untermalt. Rechts ist Trampolinspringen, da geht es die ganze Zeit: dadong dadong. Nach einer halben Stunde geht der Vorhang hoch und die Turngeräte werden durchs Spielfeld geschoben. Dann unterbrechen wir das Training oder gehen auf den anderen Korb. Bis von der anderen Seite der Vorhang hochgeht und die Trampoline durchgeschoben werden. Das ist absolut nicht bundesligawürdig. Und jedes Mal, wenn wir dort trainieren müssen, entfällt das Training für andere. Wenn unsere Nachwuchsspieler nicht richtig trainieren können, dann werden sie auch nie Bundesligaspieler werden. Wenn ein Talent wie Kay Bruhnke fragt: Trainer, können wir extra was arbeiten, sage ich: Ja gerne, auf der Straße.

Ist Basketball in Bayreuth in Gefahr?

Basketball in Bayreuth ist alternativlos! Ich will den Fußballern nicht auf die Füße treten, aber sie haben ein Flutlicht, dafür hätte man uns drei Trainingshallen hinstellen können. Sie haben 800 Zuschauer. Eishockey ist in der zweiten Liga angesiedelt. Wir spielen international. Aber unsere zweite Mannschaft krebst in der zweiten Regionalliga herum und kann nicht aufsteigen, weil wir für sie keine ­Spielhalle hätten. Wir haben einen Wettbewerbsnachteil zu anderen Teams. Und ohnehin weniger Geld als viele andere.

Sie klingen frustriert, arbeiten in Bayreuth nun aber auch schon im sechsten Jahr und haben nach der Corona-Saison um ein Jahr verlängert. Könnten Sie woanders nicht mehr erreichen?

Womöglich ja, nur: Ich will ja was bewegen. Ich kann nichts verändern, indem ich flüchte. Ich sehe, wie hier im Office gearbeitet wird, mit voller Leidenschaft. Da sieht man ja was möglich wäre, es ist nur limitiert durch die Rahmenbedingungen.

Und nächstes Jahr steigt auch noch der Hauptsponsor aus.

Ja. Wir werden versuchen, aus sportlicher Sicht alles dazu beizutragen, das Produkt Basketball in Bayreuth möglichst attraktiv zu machen für einen neuen Hauptsponsor. Ein Unternehmen, das weit blickt, ambitioniert geführt ist und sich an eine Zielgruppe richtet, die sich ein bisschen mit unserer deckt, würde meiner Meinung nach einen Riesenfehler machen, sich nicht zumindest mal damit zu befassen.

Und dann würden Sie auch noch ein weiteres Jahr bleiben?

An die nächste Saison möchte ich noch gar nicht denken. Erstmal sportlich in die Gänge kommen. Eigentlich wollte ich ja ein Sabbatical machen, mich auf die Nationalmannschaft konzentrieren und dann reisen. Als Corona kam, wurde der Plan obsolet. Aber ich habe dann drei, vier Wochen auch meine Turbinen zurückgefahren und mich Null mit Basketball beschäftigt. Ich habe Bücher gelesen, so viele wie noch nie auf einen Haufen. Nach dieser Pause hatte ich auch nicht mehr das Gefühl, noch ein Sabbatical zu brauchen.

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