Bilanz Monika Grütters:Mäzenin in staatlichem Auftrag

Kulturstaatsministerin Monika Grütters

Abschied einer Kulturpolitikerin, die sich weder als Managerin noch als intellektuelle Stichwortgeberin verstand, sondern als eine Art demokratisch legitimierte Medici.

(Foto: Fabian Sommer/dpa)

In ihrer achtjährigen Amtszeit hat Monika Grütters dem Amt der Kulturstaatsministerin und der Kultur in der deutschen Politik mehr Einfluss und Gewicht verliehen als alle ihre Vorgänger, mit teils brachialen Methoden. Dennoch blieb vieles unerledigt.

Von Jörg Häntzschel

"Ich habe das schönste Büro in Berlin." Das schwärmte Monika Grütters jedem vor, der sie im achten Stock des Kanzleramts besuchte. Immer gab es eine überschwängliche Begrüßung, auf die ein paar Schritte auf die Terrasse folgten, wo Grütters den Arm über Reichstag und Brandenburger Tor schweifen ließ. Und auf dem Weg zurück nach drinnen die kokett fallengelassene Bemerkung: " ... noch einen Stock höher als die Kanzlerin!"

Grütters hat diese Szene mit so vielen ihrer Gäste aufgeführt, dass es keinen Zweifel geben kann: So will sie sich selbst und ihr Amt verstanden wissen. Tatsächlich steckt ja vieles von ihr darin, ihr Charme und ihr Herrscherstolz; ihre Überzeugung, Kultur bewege sich in höheren Sphären als die Politik, gehöre aber gleichzeitig ins Zentrum der Macht; auch ihr Hang zum Schwelgerischen, dieser Hunger auf Herrliches, den sie in den letzten acht Jahren allerdings eher selten stillen konnte.

Und natürlich meinte Grütters mit dem "schönsten Büro in Berlin" auch das schönste Amt in Berlin. Sie hätte gerne weitergemacht. Dass es nun vorbei ist, obwohl sie so gekämpft, obwohl sie der Kultur so viel gegeben hat, muss sich unfair anfühlen.

Kann man die Leistung dieser kulturbegeisterten Politikerin in Euro bemessen?

Acht Jahre. Keiner ihrer vier Vorgänger hat so lange ausgehalten, keiner hat das von Gerhard Schröder 1998 geschaffene Amt mit so viel politischem Geschick, Leidenschaft und Machtwillen geprägt. Als sie 2013 antrat, betrug der Kulturetat des Bundes 1,3 Milliarden Euro. Acht Jahre später sind es 2,1 Milliarden, ein Zuwachs von mehr als 60 Prozent. Hinzu kommen die von ihr erkämpften Corona-Hilfen, zwei Milliarden für das Programm "Neustart Kultur" und 2,5 Milliarden für den Sonderfonds für Kulturveranstalter.

Berlin Mitte, Museumsinsel: Humboldt-Forum Berlin am Schloßplatz Berlin Museumsinsel *** Berlin Mitte, Museum Island Hum

Wirklich gescheitert sind nur zwei von Grütters' großen Vorhaben: Das eine ist das Humboldt-Forum, hinter dessen handgemeißelter Sandsteinfassade sich eine konzeptuelle Ruine verbirgt.

(Foto: Jürgen Ritter/Imago)

Ist es nicht etwas unfreundlich, die Leistung dieser kulturbegeisterten Politikerin in Euro zu messen? Nicht für Grütters. Nichts machte ihr mehr Freude, nichts gelang ihr besser, als Geld an Land zu ziehen und dann zu verteilen. Drei Maximen leiteten sie dabei. Der Staat braucht die Kultur, und die Kultur braucht den Staat. Mehr Geld heißt mehr Kultur, und mehr Kultur ist besser. Und, drittens, jeder ausgegebene Euro bedeutet Zuwachs auf ihrem Ruhm- und Machtkonto. Grütters verstand sich nicht als Managerin oder intellektuelle Stichwortgeberin, sondern als staatliche Mäzenin, als eine demokratisch legitimierte Medici, als Patin "meiner Künstler". Vom Neoliberalismus der Neunziger, dessen Anhänger Kulturinstitutionen am liebsten in die Eigenverantwortung entlassen wollten, hielt sie nichts.

Sie war für mehr Staat, alles andere leuchtete ihr als Staatsrepräsentantin nicht ein. Sie betrieb mit Hochdruck den weiteren Ausbau Berlins zur repräsentativen deutschen Kulturstadt. Aber sie wirkte auch in die Breite, erfand laufend neue Stipendien und Preise, bedachte auch Branchen, die bisher alleine zurechtkamen, Pop, Comics, Klubs oder Buchhandlungen, und wob so an einem immer dichteren Geflecht, dessen Fäden alle bei ihr und ihren gut 300 Mitarbeitern zusammenliefen. Obwohl die Kulturhoheit weiter bei Ländern und Kommunen liegt, die für 83 Prozent der deutschen Kulturausgaben aufkommen, dominierte Grütters die Debatte. Eines ist ihr ohne Zweifel gelungen, nämlich den Stellenwert von Kultur in der öffentlichen und politischen Wahrnehmung zu heben. Dabei halfen ihr nicht nur ihr Fleiß, ihr gutes Verhältnis zu Finanzminister Olaf Scholz und die Nähe zur Kanzlerin. Sondern auch ein kaltblütiges Verständnis von politischer Praxis, das von Schöngeisterei nicht weiter entfernt sein könnte.

Grütters erfand Gremien, um einsame Entscheidungen zu legitimieren

Gemeinsam mit ihrer langjährigen rechten Hand Günter Winands setzte sie ihre Vorstellungen knallhart durch. Andere bilden Arbeitskreise, wenn sie nicht mehr weiterwissen, sie erfand Gremien, um ihre Entscheidungen demokratisch zu verbrämen. Manchmal wählte sie gut, wie bei der Berlinale, als sie Carlo Chatrian und Mariette Rissenbeek quasi im Alleingang zu neuen Leitern ernannte. Manchmal griff sie daneben, etwa als sie Neil MacGregor zum "Gründungsintendanten" des Humboldt-Forums ernannte. Er sollte das Projekt retten und mit Glamour ausstatten, stiftete aber nur noch mehr Verwirrung - auch weil er eben kein "Intendant" war, sondern ein Berater mit einer 30-Prozent-Stelle.

Überhaupt war Grütters eine Meisterin des politischen Tricksens. Sie nützte den Gurlitt'schen "Kunstschatz" auch dann noch als Beweis, dass Deutschland es ernst meine mit der Aufarbeitung des NS-Kunstraubs, als längst klar war, dass Gurlitt kaum Raubkunst besaß - ganz im Gegensatz zu den deutschen Museen.

Oder die Sache mit dem Museum der Moderne: Als der Bundestag dafür mehr bewilligte als erhofft - außer 130 Millionen für den Bau auch noch einen Kostenpuffer von 70 Millionen - da ließ sie kurzerhand eine teurere Variante planen. Nur gab es dann eben keinen Puffer mehr. (Mittlerweile werden Kosten von bis zu 600 Millionen Euro erwartet.)

Auch die jüngste Ernennung von Klaus Biesenbach zum Direktor der Neuen Nationalgalerie war so ein Manöver. Erst wurde per Ausschreibung nach einem promovierten Kunsthistoriker für die Stelle gesucht, der zudem Erfahrung mit Bauprojekten mitbringt. Als sich keine für sie ausreichend prominenten Kandidaten bewarben, brach Grütters das Verfahren ab, gründete eine Findungskommission und holte Biesenbach aus L. A. Dass der nur ein abgebrochenes Medizinstudium vorweisen kann und nie ein Bauprojekt geleitet hat, spielte keine Rolle.

Hochsee-Segelboot von der Insel Luf

Das berühmte Luf-Boot im Humboldt-Forum. Dort ist nach wie vor von dessen "Erwerb" die Rede, obwohl der Historiker Götz Aly seinen Raub nachgewiesen hat.

(Foto: Jörg Carstensen/dpa)

Was man Grütters hingegen kaum vorwerfen kann, ist, dass sie ihren immer direkteren Zugriff auf die Institutionen nützte, um inhaltlich Einfluss zu nehmen. Dabei hätten ein paar Anstöße der behäbigen Branche manchmal gutgetan. Doch zu den großen Themen wie Einwanderung, Klimawandel oder Diversität, die ja auch die Kulturinstitutionen betreffen, kam von ihr wenig.

Sie sprach sich für mehr Diversität aus, besetzte aber die meisten Stellen mit deutschen Männern

Ähnlich sah es bei den kulturpolitischen Fragen aus. Seit sie das Kulturgutschutzgesetz gegen breiten Widerstand durchgesetzt hatte, die schwierigste Phase ihrer Amtszeit, agierte sie schüchterner. Die Restitutionsdebatte etwa schob international Emmanuel Macron an, in Deutschland Bénédicte Savoy. Grütters stimmte deren Forderungen in vielem zu. Doch obwohl sie sich mit einem Kurswechsel beim Humboldt-Forum ewigen Ruhm hätte erwerben können, blieb es bei Eckpunkten, Gesprächsrunden und ein paar Stellen für die Provenienzforschung.

Sie sprach sich auch oft für mehr Diversität in den Institutionen aus, besetzte dann aber die meisten Stellen mit deutschen Männern. Und sie hätte schon vor Jahren erkennen können, dass die Ära der luxuriösen signature buildings zu Ende gehen würde. Doch statt aus dem Museum des 20. Jahrhunderts ein Modell für innovative, nachhaltige Architektur zu machen, bauen nun mit Herzog & de Meuron zwei Siebzigjährige, deren große Zeiten lange zurückliegen, einen Schuppen, der so überteuert und ökologisch desaströs ist, dass der Bundesrechnungshof eine scharfe Rüge aussprach.

Wirklich gescheitert sind nur zwei von Grütters' großen Vorhaben. Das eine ist das Humboldt-Forum, hinter dessen handgemeißelter Sandsteinfassade sich eine konzeptuelle Ruine verbirgt. Die Schelte, mit der Bundespräsident Steinmeier das aus der Zeit gefallene Projekt bei der Eröffnung überzog, galt auch der Staatsministerin.

Unter Grütters schwamm die Kulturbranche im Geld. Nun brechen magere Zeiten an

Das zweite ist die Reform der Stiftung Preußischer Kulturbesitz, die Grütters sich mutig für ihre zweite Amtszeit vorgenommen hatte, und die sie dann durch ihre Finger gleiten ließ. Stiftungspräsident Hermann Parzinger, ein noch raffinierterer Machtmensch als sie selbst, sitzt nach der abgebrochenen Reform fester im Sattel denn zuvor.

Diese und andere Misserfolge gehen aber auch auf die Zuständigkeitsgrenzen zurück, an die die Ministerin, die keine ist, laufend stößt. Dass Grütters sich bei der SPK jeweils mit den Ländern abstimmen muss, obwohl diese kaum Geld geben, trieb sie in die Verzweiflung. Dass sie unweigerlich in Konkurrenz mit dem Auswärtigen Amt gerät, das für die Auswärtige Kulturpolitik zuständig ist, führte nur deshalb nicht zu größeren Konflikten, weil ihr Pendant dort, Michelle Müntefering, nahezu unsichtbar blieb.

Unter Grütters schwamm die Kulturbranche im Geld. Nun dürften magerere Zeiten anbrechen. Wenn dafür inhaltlich mehr passiert, muss das keine schlechte Nachricht sein.

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