Großbritannien:Seid laut, nicht militant

Eine Philosophie-Professorin an der Uni Sussex wird wegen ihrer angeblichen transphoben Haltung aus dem Amt gejagt. Ist das noch verhältnismäßig?

Von Michael Neudecker

"Alarmierend." "Entsetzlich." "Erschütternd." "Nicht tolerierbar." Diese und andere Worte sind im Vereinigten Königreich zu hören, wenn die Sprache auf den Rücktritt der Philosophie-Professorin Kathleen Stock kommt. Vor ein paar Tagen hatte die Universität Sussex bekannt gegeben, Stock habe gekündigt, vorausgegangen waren wochenlange Demonstrationen an der Uni gegen Stock wegen ihrer angeblich transphoben Haltung. Der ganze Fall ist komplex, Stocks Auseinandersetzung mit der Transgender-Bewegung läuft schon seit Jahren; sie selbst hatte kürzlich gesagt, was derzeit passiere, sei nur der Gipfel einer längeren Geschichte. Stock wird von ihren Kritikern vorgeworfen, ihren Status an einer angesehenen Universität dazu zu missbrauchen, eine ohnehin schon schlecht beleumundete Minderheit mit transphoben Äußerungen zu bedrängen. Wie auch immer die Fronten exakt verlaufen mögen, und wie auch immer man zu Auseinandersetzungen wie dieser stehen mag: Was bleibt, ist auch die Frage nach der Verhältnismäßigkeit.

Die Antwort darauf hängt nun stark von der Perspektive ab. Es gibt keine wirklich validen Zahlen, wie viele Menschen die Transgender-Debatte tatsächlich betrifft. Im Vereinigten Königreich gehen die seriöseren Schätzungen von ungefähr einem Prozent der Bevölkerung aus, bei derzeit 67 Millionen Einwohnern wären das 670 000 Briten, die sich selbst als trans identifizieren. Das ist wenig, und doch viel.

In einer Demokratie ist das Recht eines jeden Einzelnen relevant, und Demonstrationen im Umfeld von Universitäten sind ein wichtiger Bestandteil dieser Demokratie. Dass Menschen sich über Fragen wie Geschlechteridentität oder auch sexuelle Orientierung schneller und mehr aufregen können als über Rentenreformen oder Regierungsbildungen, liegt außerdem in der Natur der Sache. Und Minderheiten müssen manchmal laut sein, um gehört zu werden. Die Schwelle zur Militanz aber sollte man dabei nicht aus dem Blick verlieren.

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