Landeshaushalt:Hessen hat sich mit Derivaten verzockt

Hessisches Finanzministerium, Wiesbaden, Hessen, Deutschland, Europa

Das hessisches Finanzministerium in Wiesbaden schloss in den Jahren 2010 und 2011 komplexe Derivategeschäfte ab.

(Foto: imago stock&people/imagebroker)

Es war eine gigantische Wette. Der Schaden: 4,2 Milliarden Euro. Der Druck auf die schwarz-grüne Landesregierung wächst.

Von Markus Zydra, Frankfurt

Die Bürgerbewegung Finanzwende und die Oppositionsfraktionen im hessischen Landtag SPD, FDP und Linkspartei haben die schwarz-grüne Landesregierung in Hessen aufgefordert, über riskante Absicherungsgeschäfte Rechenschaft abzulegen. Das hessische Finanzministerium schloss in den Jahren 2010 und 2011 komplexe Derivategeschäfte ab, um künftig bei der Schuldenaufnahme Zinsen zu sparen. Doch die Wette ging schief. Der hessische Landesrechnungshof schätzte den daraus entstandenen Schaden 2020 auf 4,2 Milliarden Euro. Das entspricht rund 19 Prozent des gesamten hessischen Steueraufkommens in diesem Jahr. "Die Bundesländer und Kommunen sollten überhaupt keine Derivategeschäfte machen. Und wenn doch, dann sollten die bundesweiten Regeln entsprechend streng sein", sagte Gerhard Schick, Vorstand von Finanzwende am Donnerstag. "Viele Kommunen mussten schon in den 1990er und 2000er Jahren hohe Verluste mit diesen Derivatewetten verkraften. Das hessische Finanzministerium hätte damals um die Risiken wissen müssen", so Schick. "Das war eine gigantische Wette. Die Verantwortung muss klar benannt werden. Das ist man dem Steuerzahler schuldig."

Die hessischen Oppositionsparteien machen seit Jahren Druck auf die Landesregierung, die Hintergründe dieser Geschäfte aufzuklären. Der Haushaltsausschuss des Hessischen Landtages befasste sich mehrmals mit den 2018 bekannt gewordenen Derivatedeals der hessischen Schuldenverwaltung. Der Landesrechnungshof hat daraufhin eine Prüfung durchgeführt, deren erschütterndes Ergebnis die Auseinandersetzung weiter verschärfte. Einen parlamentarischen Untersuchungsausschuss gab es bislang aber nicht. "Es entstand ein erheblicher Verlust für das Land Hessen. Das Finanzministerium hatte sich mit den Derivaten hohe Zinsen eingekauft und konnte deshalb nicht von der Niedrigzinsphase profitieren", sagte Jan Schalauske, Fraktionsvorsitzender der Linkspartei.

Die Geschäfte waren Folge fehlender Expertise

Die teuren Derivategeschäfte unter Führung des inzwischen verstorbenen hessischen Finanzministers Thomas Schäfer (CDU) waren Folge fehlender Expertise. Das Land hat sich damals von Investmentbankern beraten lassen, die am Gewinn interessiert sind und deren Profit mit der Komplexität und Laufzeit des Produkts steigt. "Das Land Hessen hat im Jahr 2011 den zu zahlenden Zins für 40 Jahre festgelegt. Das war unangemessen", sagte der frühere Derivatehändler Pius Sprenger im Rahmen der gemeinsamen Pressekonferenz. "Diese Art von Geschäft erinnert mich an einen Hedgefonds, und nicht an ein Bundesland", sagte der Experte, der viele Jahre für die Deutsche Bank in New York und London komplexe Derivategeschäfte durchgeführt hat. Die Struktur des Finanzprodukts sei untauglich gewesen. Vor allem die lange Laufzeit habe dafür gesorgt, dass minimale Zinsänderungen am Finanzmarkt zu riesigen Verlusten führen konnten, so Sprenger. Derivate mit kürzerer Laufzeit wären geeigneter und günstiger gewesen. Doch der Experte sagt auch: "Der Einsatz von Derivaten ist für Kommunen und Länder völlig sinnlos. Mit der simplen Ausgabe von Anleihen hat die Politik maximale Planungssicherheit."

"Wir brauchen strengere Gesetze für die Fälle, in denen Länder und Kommunen Derivategeschäfte abschließen möchten", forderte Schick. Dazu gehöre eine Laufzeitbegrenzung und die Pflicht, vor Geschäftsabschluss eine unabhängige Beratung einzuholen. Auch die Höhe solle gedeckelt werden. Zudem dürfe das Derivategeschäft einzig der Risikoabsicherung, nicht der Spekulation dienen.

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