Historische Entdeckung:Weltprediger mit Revolutionspotenzial

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Auf den Spuren einer bislang unbekannten Ebersberger Persönlichkeit: Anton Michl (1753 bis 1813) war Theologe, Illuminat, Wissenschaftler - und ein früher Kritiker des Klerus.

Von Selina Schäfer

Er hat in Freising, Ingolstadt und Landshut studiert, war katholischer Priester in verschiedenen Gemeinden Bayerns und Illuminat. Mit der Jahrhundertwende um 1800 erlebte er eine Zeit voller Umbrüche, hinterließ ein umfangreiches wissenschaftliches Werk - und war gebürtiger Ebersberger. Bekannt aber sei Anton Michl hierzulande bisher nicht, wie Antje Berberich, ehemalige Stadtarchivarin von Ebersberg und Heimatforscherin, erklärt. "Er ist in keiner Ebersberger Chronik zu finden, geschweige denn sonstwo namentlich erwähnt." Das aber sei sehr erstaunlich, denn eigentlich sei gerade die katholische Geistlichkeit um Sankt Sebastian herum akribisch erfasst und schriftlich festgehalten worden. Insofern schließt sich nun eine Lücke: Berberich hat ihre bisherigen Erkenntnisse über diesen Ebersberger nun in einem Artikel gebündelt, der im Jahrbuch des Historischen Vereins erscheint. Das Büchlein wird der Öffentlichkeit an diesem Dienstag, 16. November, vorgestellt.

Dass sie Nachforschungen zu dem 1753 als "bavarus ebersbergensis" geborenem Mann anstellte, ist, wie so oft bei Berberich, einem Zufallsfund geschuldet. Ein Sammler aus der Eiffel bot ihr bereits 1999 - noch in D-Mark - ein kleines graues Büchlein mit dem Titel "Erklärung der festtäglichen Evangelien in kurzen Predigten für das Landvolk" eines gewissen Anton Michl von 1790 zum Verkauf an. Doch erst zwei Jahrzehnte später fand das Buch tatsächlich den Weg nach Ebersberg. "Der wollte das verkaufen, aber keiner hat's genommen", erzählte die 81-Jährige, die es dem Sammler schließlich 2020 abkaufte. "Es wollte einfach herkommen."

Das Büchlein erwies sich laut Berberich als "Glückstreffer" - und so begann sie vergangenes Jahr aus unermüdlichem Forschergeist heraus mit der Recherche, die sie unter anderem zu dem einzig existenten Bild von Anton Michl - einem Schattenriss von 1813 aus dem Archiv des Erzbistums München-Freising - führte. Mehr über den Ebersberger herauszufinden, sei indes nicht immer einfach gewesen. Für den "Nachweis seiner Persönlichkeit" etwa habe sie Stadtbibliotheken, kirchliche Archive und Privatleute kontaktiert und Claudius Stein als Experten zurategezogen. Schwerpunkte des Historikers, Regierungsrat am Universitätsarchiv der LMU, sind Kirche und Bildung in Bayern. Außerdem besuchte Berberich Ingolstadt, Landshut und Erding für Recherchen vor Ort, und auch nach einem Jahr ist ihre Spurensuche noch nicht abgeschlossen.

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(Foto: Christian Endt)

Dem Vergessen entrissen: Ein kleines Büchlein bringt Antje Berberich....

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(Foto: Christian Endt)

...auf die Spur von Anton Michl,...

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(Foto: Christian Endt)

...eines mutigen Pfarrers und Wissenschaftlers aus Ebersberg.

Wer aber war nun Anton Michl? Ein Theologe, Professor, Philosoph, Wissenschaftler, Schriftsteller und seiner Zeit voraus. Berberich zeichnet das Bild eines gläubigen, neugierigen und risikofreudigen Mannes, geprägt auch von der Aufklärung - und kritisch gegenüber der Kirche. Michl habe zurückgezogen gelebt und sei ganz und gar nicht "bigott" gewesen. Neben vielen wissenschaftlichen Schriften habe er auch Übersetzungen von Predigten in die Volkssprache hinterlassen, erläutert Berberich: Anton Michl nahm den roten Faden seiner in Latein geschriebenen Predigten auf und übertrug das Wichtigste zusammenfassend ins Deutsche. Dies war bedeutend für die Gläubigen, denn damals hatte das gewöhnliche Volk keine oder wenig Schulbildung - nichtsdestotrotz wurde in den Kirchen ausschließlich in Latein gepredigt. Michl aber erreichte durch das Vorlesen seiner Texte in verständlicher Sprache, dass alle die Botschaft verstanden. Insofern seien Michls Predigten - historisch gesehen - revolutionär, so Berberich.

Anton Michls Leben begann 1753 in Ebersberg, Berberich hat herausgefunden, dass sein Vater den Oberwirt betrieben hatte. Warum er das Gasthaus, das an exponierter Stelle lag, 1759 aufgegeben habe, sei jedoch noch ein Rätsel, so die Heimatforscherin. Jedenfalls siedelte die Familie Michl bereits als Anton sechs Jahre alt war - in der Hoffnung auf bessere Lebensbedingungen - nach Freising um, wo der Sohn nach dem Gymnasium ein Philosophiestudium cum laude abschloss. Ein sehr intelligenter Mann also, der sich mit 26 Jahren, nach dem Besuch der Theologischen Hochschule, zum Priester weihen ließ. Kurz darauf zog Anton Michl nach Ingolstadt, um hier - an der Vorläuferuniversität der LMU - Jura und Kirchengeschichte zu studieren und später seinen juristischen Doktor zu schreiben.

1778 wurde er für zwei Jahre nach Dorfen als Kurat des Priesterhauses versetzt, dessen Zustände er in den folgenden Jahren scharf kritisierte, er habe das Haus als "Zuflucht der Sünder" bezeichnet, sagt Berberich. Überhaupt habe Michl - ähnlich wie Martin Luther - offen und schriftlich die unzumutbaren Missstände und das unchristliche Verhalten vieler Geistlicher in den Klöstern und Kirchen angeprangert und den Untergang der katholischen Kirchenstruktur vorausgesagt, wenn keine totale Umkehr vollzogen werde. Sogar vor Namensnennungen habe er nicht zurückgeschreckt. Michl sei "halber Protestant" gewesen, "doch im Gegensatz zu dem Augustinermönch aus Eisleben war Michl anscheinend unantastbar. Er musste zwar sehr oft sein Betätigungsfeld wechseln, doch "stetig stieg er in Rang und Namen", so Berberich. Zu hoch sei wohl sein Bekanntheitsgrad und seine Bedeutung als Professor und Wissenschaftler in höchsten Kreisen gewesen.

Antje Berberich, ehemalige Stadtarchivarin von Ebersberg und Heimatforscherin. (Foto: Christian Endt)

Zwei Jahre später ein erneuter Ortswechsel, diesmal nach Miesbach. In dieser Zeit wurde bekannt, dass Anton Michl offenbar bereits als 16-Jähriger den Illuminaten beigetreten war, die 1776 in Ingolstadt entstanden waren und mit deren Gründer Adam Weishaupt der gebürtige Ebersberger wohl eng vertraut gewesen war. Das erwies sich jedoch bald als etwas problematisch, denn ab 1784 stand eine Mitgliedschaft bei den Illuminaten unter Strafe. Außerdem war Michl seit 1781 Teil einer Freisinger Freimaurerloge.

Kurz darauf wurde Anton Michl nach Freising zurückberufen und dort Hofmeister, später Hofkaplan. Weiter ging es für ihn nach Burghausen, wo er sich mit Landwirtschaft und Ökonomie befasste. In den darauffolgenden Jahren zog er als Pfarrer nach Hohenkammern, Dachau und Altomünster. Nach einem nächtlichen Überfall im Sommer 1799 jedoch schwand seine Begeisterung für die ländliche Seelsorge, wie Berberich schreibt - und Michl wurde Professor für Kirchenrecht und Kirchengeschichte, wiederum in Ingolstadt. Nachträglich verliehen ihm dort die philosophische, juristische und theologische Fakultät die Doktorwürde und bei der Königlichen Akademie der Wissenschaften in München wurde er Mitglied der historischen Klasse. 1800 musste die Universität angesichts der Napoleonischen Kriege nach Landshut umziehen - und mit ihr auch ein letztes Mal Anton Michl. Bis zu seinem Tod 1813 war er Priester in Mariä Himmelfahrt in Oberglaim, wo er 60-jährig verstarb.

Zu ihren Nachforschungen sagt Antje Berberich verheißungsvoll: "Anmerkungen folgen". Ob Anton Michl jemals wieder in seiner Geburtsstadt Ebersberg zurückgekehrt ist, darüber lässt sich bislang nur spekulieren. Aber Entdeckungen wie diese machen bewusst, wie unerlässlich weitere Heimatforschungen sind, selbst wenn zunächst kein klares Ziel vor Augen steht.

An diesem Dienstag, 16. November, um 19.30 Uhr im Sparkassensaal in Ebersberg stellt der Historische Verein für den Landkreis sein Jahrbuch "Land um den Ebersberger Forst. Beiträge zur Geschichte und Kultur" der Öffentlichkeit vor. Die Präsentation übernimmt der stellvertretende Landrat Walter Brilmayer. Es gilt 2G.

© SZ vom 16.11.2021 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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