Englands Nationalteam:Die Mission bleibt: der WM-Titel

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Englisch diskret, aber herzlich: Nationaltrainer Southgate tätschelt seinen Torjäger Harry Kane nach dessen vier Treffern in San Marino. (Foto: Jennifer Lorenzini/Reuters)

15 Siege, 52 Tore: Dank Stürmer Harry Kane und einer überragenden Bilanz fährt England als einer der Favoriten nach Katar. Die Entwicklung der Mannschaft erinnert stark an die deutsche Nationalelf.

Von Sven Haist, London

Nach einer Stunde schien Gareth Southgate mit der Auswechslung seines Kapitäns Harry Kane doch noch ein Einsehen mit San Marino zu haben - und auch ein Einsehen mit dem früheren Nationalspieler Wayne Rooney, der unter Southgate vor drei Jahren sein letztes Länderspiel für England bestritten hatte. Etwa 60 Minuten lang hatte der Nationaltrainer erfreut zugesehen, wie Angreifer Kane ein Tor nach dem anderen erzielte und trotzdem noch nicht genug hatte. Kurz vor der Halbzeitpause waren Kane vier Treffer in Serie gelungen (27./31./39./42.), zwei davon durch Elfmeter. Durch diesen, nun ja: Quattrick, hat Kane jetzt als erster Spieler 16 Tore für sein Land innerhalb eines Jahres erzielt.

Aber vor allem rückt er - nach seinem vorgelagerten Dreierpack vom vergangenen Freitag gegen Albanien - mit seinen Länderspieltoren 45, 46, 47 und 48 in der ewigen Bestenliste bis auf fünf Treffer an den Rekordschützen Rooney (53 Tore) heran. Der drittplatzierte Gary Lineker (48) ist schon eingeholt, was das Massenblatt Sun zur Schlagzeile "Harry Lineker" animierte.

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Womöglich hätte Kane gegen San Marino auch die Referenz seines Vorbilds noch egalisiert, wenn Southgate ihn nicht vorzeitig ausgewechselt hätte. Ohne die Auswechslung, witzelte Southgate später, wäre wohl "die Familie von Wayne Rooney" bei ihm telefonisch vorstellig geworden. Zuvor hatte sich Southgate noch Kritik von Kane gefallen lassen müssen, weil er in den ersten WM-Qualifikationsspielen gegen San Marino und Andorra weitgehend auf seinen Torjäger verzichtet hatte. Dabei gab auch Southgate zu, dass die Frage nicht mehr sei, "ob", sondern nur, "wann" Kane den Rekord seines Landsmanns brechen werde.

15 Siege, 52 Tore, 14 Spiele ohne Gegentreffer: So eine Bilanz gab es noch nie

Kanes frühzeitiger Feierabend las sich wie ein Friedensangebot an San Marino, das Ergebnis nicht weiter in die Höhe treiben zu wollen. Das Gegenteil trat ein: Die Auswechslung des Kapitäns beförderte eher das Toreschießen gegen den 210. und Letzten der Fifa-Weltrangliste. Der Konkurrenzkampf um einen Kaderplatz im englischen Nationalteam hat inzwischen eine Eigendynamik entwickelt, die es nicht mal mehr erlaubt, eine ungleiche Partie gegen einen bemitleidenswerten Gegner austrudeln zu lassen. So packten Tyrone Mings (69.), Tammy Abraham (78.) und Bukayo Saka (79.) noch drei Tore drauf zu einem 10:0 (6:0) - Englands höchster Auswärtssieg in einem Pflichtspiel.

Der Abschlusserfolg in der Qualifikationsgruppe I, der den Three Lions ungefährdet und ungeschlagen einen Startplatz bei der WM in Katar sichert, bringt der English Football Association das erfolgreichste Kalenderjahr ihrer stolzen Geschichte ein, die bis 1863 zurückreicht: 15 Siege, 52 Tore und 14 Clean Sheets (Spiele ohne Gegentor) gab es noch nie. Zum Erfolgsjahr gehört auch der Einzug ins EM-Finale, wenngleich das Duell mit Italien im heimischen Wembley schmerzhaft verloren ging.

Doch im Vergleich zu den Italienern hat England den Schwung aus dem Turnier mitgenommen, es bleibt ja die große Mission: erstmals nach 1966 wieder Weltmeister zu werden. Und das Drängen der jungen Generation auf die etablierten Kräfte dürfte in keinem Nationalteam ähnlich ausgeprägt sein wie in England. Seit Southgates Amtsbeginn vor vier Jahren haben 83 Profis auf dem Platz gestanden, darunter 50 Debütanten, zu denen seit ein paar Tagen auch Torwart Aaron Ramsdale, Angreifer Emile Smith Rowe (beide FC Arsenal) und Mittelfeldmann Conor Gallagher (Crystal Palace) zählen. Aus dem riesigen Arsenal an Spielern könnte Southgate ohne Weiteres mehrere Nationalteams bilden, die wohl genauso souverän die WM-Qualifikation gemeistert hätten. Das Reservoir reicht so tief, dass zurzeit kaum jemand an den Ex-Dortmunder Jadon Sancho denkt, der nicht mal mehr eine Einladung erhielt.

Die Entwicklung der englischen Mannschaft erinnert an die DFB-Elf in der Anfangszeit von Jogi Löw

Aufgrund des Talentpools und der gesammelten Erfahrung als WM-Vierter und EM-Zweiter nimmt England als einer der Favoriten die einjährige Vorbereitung aufs Weltereignis am Persischen Golf auf. Die Entwicklung erinnert stark an die deutsche Nationalelf in ihrer Anfangszeit unter dem ehemaligen Bundestrainer Joachim Löw. Während Löw seiner auf Ballbesitz ausgerichteten Spielidee damals eine Portion Pragmatismus für den WM-Titel 2014 verordnen musste, benötigen die defensiv sehr gefestigten Three Lions etwas mehr Spielwitz, um gegen gleich starke Konkurrenten zu bestehen. Denn zur Wahrheit der erfolgreichen Saison für England gehört auch, dass als renommierter Gegner nur das bei der EM strauchelnde Deutschland besiegt wurde.

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