Autorin und Regisseurin Nora Abdel-Maksoud:Mach's dreimal

Nora Abdel-Maksoud

Welche Themen gehören auf die Bühne? überlegt Nora Abdel-Maksoud. Dann recherchiert sie, schreibt, und inszeniert.

(Foto: Jan Krattiger)

Niemand schreibt so böse über Klassismus und soziale Ungerechtigkeit wie die Dramatikerin Nora Abdel-Maksoud. Und so lustig.

Von Christiane Lutz

Es gibt endlos viele Möglichkeiten, den Namen "Dietmar" angemessen auszusprechen. Man kann ihn überartikulieren, flüstern, beiläufig fallen lassen oder verzweifelt nach draußen schreien, wenn dieser Dietmar, Anwalt, nun mal die letzte Hoffnung ist. "Mach's mal ganz klein", sagt Nora Abdel-Maksoud, bei der Probe leise herantretend zur Schauspielerin Gro Swantje Kohlhof. Und so wimmert die den Dietmar in der nächsten Szene einfach weg. Lautes Lachen. Winziger Kniff, sehr große Wirkung.

Die Lage in dem Stück "Jeeps" ist die: Silke hat eben erfahren, dass sie ihr gesamtes Erbe verloren hat. Kleine Wohnung, mittelgroße Wohnung, ein Bootshaus in Frankreich - weg. In Deutschland wird umverteilt. Nach einer Erbrechtsreform werden Geldbeträge, Immobilien, sonstige Güter und auch Schulden einfach neu unter der Bevölkerung ausgelost. Und auf dem Los in den zitternden Händen von Silke, Gründerin von "Laptops in Lederhosen", steht da jetzt ein Betrag mit einem fetten Minus davor. Dietmar wird also einiges zu regeln haben. Ob das Grund zu Mitleid oder Schadenfreude ist, kommt auf die Perspektive an.

Die Regisseurin und Dramatikerin Nora Abdel-Maksoud, 38, hat sich dieses durchgeknallte Sozialexperiment ausgedacht und inszeniert "Jeeps" auch selbst an den Münchner Kammerspielen, wo sie für drei Produktionen engagiert ist. Sie ist nicht nur eine der derzeit schlauesten Theatermacherinnen, sondern auch die mit Abstand komischste. Sie arbeitete am Gorki-Theater und am Ballhaus Naunynstraße in Berlin und am Münchner Volkstheater. Ihre Stücke und Inszenierungen sind rasend schnelle Screwball-Komödien, Gesellschaftssatiren, Mockumentarys. Der Grad ihres gepflegten Irrsinns erinnert ein wenig an René Pollesch, als er noch originell war, nur weniger meta und weniger selbstreferenziell.

Im Kern ihrer Stücke steht immer eine Ungerechtigkeit. In "Sie nannten ihn Tico" erfährt ein schwarzhaariges Baby antimuslimischen Rassismus, in "The Making-of" persiflierte sie Sexismus und groteske Männlichkeitsbilder in der Filmbranche. Das Thema Klassismus hat sie dann in "Café Populaire", uraufgeführt 2018 in Zürich, zum ersten Mal groß verarbeitet. Darin spaltet sich von einer woken Möchtegern-Künstlerin ein bösartiges Alter Ego ab, das arme Menschen hasst und das auch noch ausspricht. Abdel-Maksouds Personal ist ein Sammelsurium der Mittelmäßigkeit: scheiternde Clowns, machtbesessene Overperformer, devote Handlanger und immer auch der Spießbürger in all seiner Dietmarhaftigkeit.

Wie privilegiert sie ist, merkte sie in Rio de Janeiro: dieselbe Bürgerkinder-Bubble

Und nun "Jeeps". "Genau, wie das sehr große Auto", sagt Nora Abdel-Maksoud ein paar Tage vor der Probe in einem plüschigen Münchner Café. Die Klassenfrage hält sie für eine der drängendsten der Gesellschaft und eine der am prominentesten ignorierten. "Warum sitzen wir in diesem Café und nicht in einem anderen?" fragt sie. "Das sagt viel über uns aus. Akademikerkinder." Ihr sei die eigene Privilegierung zum ersten Mal aufgefallen, als sie für ein Theaterfestival nach Rio de Janeiro reiste: "Die waren alle wie wir! Ich war einfach von einer Bürgerkinder-Bubble in die andere Bürgerkinder-Bubble gewandert."

Jeeps in den Kammerspielen

Gabor (Vincent Redetzki, Mitte) ist Sachbearbeiter im Jobcenter, fährt gern Auto und muss sich mit der frisch enterbten Silke (Gro Swantje Kohlhof, rechts) rumschlagen.

(Foto: Armin Smailovic)

Soziales Prekariat sei heutzutage schön ins Privatfernsehen verfrachtet, wo es konsumierbar und abstrakt bleibt. Auch das Theater ist eine bildungsbürgerliche Blase, selbst für die, die dort arbeiten: "Wer kann sich die unbezahlten Hospitanzen leisten? Deine Eltern müssen sich das leisten können. Das ist die erste Bezahlschranke." Kaum jemand gebe aber zu, er sei "wohlhabend" oder gar "reich", man hält sich für Mittelstand. Zudem meinen alle, sich ihren Wohlstand oder ihre Position in der Gesellschaft zu großen Teilen selbst erarbeitet zu haben. "Aber das stimmt nicht. Die Rolle des sozioökonomischen Hintergrunds eines Menschen, beziehungsweise: das Erbe, das kann man meiner Meinung nach oft gleichsetzen, die kann man gar nicht genug betonen." Fleiß allein reicht ja heute nicht aus, um Vermögen aufzubauen oder sich eine Immobilie zu kaufen. In ihren Stücken betont sie genau das und erwischt mit dem Theaterpublikum dann auch jene, die eher auf der sonnigen Seite des Systems leben.

In "Jeeps" knöpft sich Nora Abdel-Maksoud also die Erben vor. In Deutschland werden laut einer Studie des Deutschen Instituts für Wirtschaftsforschung jedes Jahr gigantische 400 Milliarden Euro vererbt. Tendenz steigend. Silke, die enterbte Erbin, "sprach stets mit eigentümlichem Stolz über ihre Nebenjobs. Sie fühlte sich mündig und autark, sie arbeitete, um sich Rucksackreisen nach Kambodscha und Laos zu finanzieren", schreibt Abdel-Maksoud, während Jobcenter-Sachbearbeiter Gabor seine Sommer im Freibad verbringt und sich am Kiosk seiner Eltern ein "Ed von Schleck" kauft. "In all ihren Entscheidungen, den großen wie den kleinen, unterscheiden sich Silke und Gabor immer und immer wieder im exakt selben Punkt: die Leichtigkeit, mit der sie sie fällten."

Lässt sich die Ungerechtigkeit des Erbens mit einer staatlichen Lotterie ausgleichen?

Eine himmelschreiende Ungerechtigkeit, findet Abdel-Maksoud und plädiert für eine Umverteilung. Damit ist sie nicht allein: Die österreichische Studentin und künftige Millionenerbin Marlene Engelhorn etwa will sich mit der Initiative "Tax me now" selbst stärker besteuern. Der Berliner SPD-Politiker Yannick Haan, auch Erbe, schlägt vor, ein sogenanntes "Gesellschaftserbe" einzuführen: Mit 21 Jahren bekäme jeder 20 000 Euro vom Staat, die darf er sinnvoll investieren. Das Geld dafür könnte aus einer erhöhten Erbschaftsteuer für sehr große Erbschaften geschöpft werden.

Nora Abdel-Maksoud macht es radikaler. Die Erbschaftslotterie, die sie in "Jeeps" veranstaltet, ist in ihrer Zufälligkeit genauso gnadenlos ungerecht wie die Geburtenlotterie, die die einen in wohlhabende, die anderen in Familien mit Schulden katapultiert. Blöd nur, dass ausgerechnet das Jobcenter auserkoren wurde, die Reform durchzuführen. So treffen in der Wartehalle Hartz-IV-Empfänger auf wütende Enterbte und alle zusammen auf die Mühlen deutscher Bürokratie. Diese karikiert Abdel-Maksoud genüsslich, lässt Infoblätter verlesen und Bewilligungsstempel stempeln, lässt Sachbearbeiter "knicken, lochen, abheften". Sie führt die Accessoires einer vermeintlichen gesellschaftlichen Ordnung vor, den hilflosen Versuch, soziale Ungleichheit wegzuverwalten.

Aus dieser Liebe zu und dem Verzweifeln an Regelwerken entwickelt sich schon auf der Probe an den Kammerspielen eine irre Komik. "Das ist mein Talent", sagt Nora Abdel-Maksoud, "ich könnte gar kein Sozialdrama schreiben." Egal, wie sehr sie sich anstrenge, sie lande immer "bei ,Mach's dreimal'-Slapstick. Beim dritten Mal ist es lustig". Sie kann aber nicht nur den "Mann rennt durch Drehtür" (den es bei "Jeeps" geben wird), sondern auch den großen Humor im Kleinsten, der in einem einzigen "Dietmar" liegen kann. Komik ist heilsam, nicht pädagogisch, Komik kann Ungeheuerlichkeiten dekodieren. Ob ein Gag funktioniert, merke sie, wenn die Schauspieler den Text lesen, die seien die perfekten "Bullshit-Detektoren". Was nicht zündet, fliegt raus. Abdel-Maksoud würde in Zukunft auch gern mal nur schreiben, die Regie anderen überlassen. Aber mal ehrlich: Wer außer ihr sollte ihre Texte besser auf die Bühne bringen?

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