Profil:Maciej Szczęsnowicz

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Maciej Szczęsnowicz. (Foto: Artur Reszko/PAP)

Der polnische Muslim kocht für Migranten, die ausgehungert und krank aus Belarus über die Grenze kommen. Dies stellt ihn allerdings auch vor ein Dilemma.

Von Florian Hassel, Warschau

Ende September wurde Maciej Szczęsnowicz erstmals Zeuge, wie der polnische Grenzschutz Migranten aufgriff, die die Grenze von Belarus zu Polen illegal überquert hatten - und seitdem tagelang durch die Wälder geirrt waren: zwei Männer, drei Frauen und zwölf Kinder. Szczęsnowicz beschloss zu helfen, und das nicht nur, weil die Migranten Muslime wie er selbst waren.

Denn in Polen ist eine der ältesten muslimischen Gemeinden Europas zu Hause: Szczęsnowicz und rund 2000 weitere Muslime gehören zu den Lipka-Tataren, deren Vorfahren sich Anfang des 14. Jahrhunderts im damaligen Großfürstentum Litauen niederließen. Nach dem Zweiten Weltkrieg und der Verschiebung der Grenzen blieben in Polen zwei tatarische Dörfer: Kruszyniany und Bohoniki. Dort ist Maciej Szczęsnowicz Vorsteher der tatarischen Gemeinde.

Stolz verweisen Polens Tataren auf das Privileg, das ihnen im 17. Jahrhundert König Jan III. Sobieski für ihre Teilnahme im Krieg an der Seite Polens verlieh. Szczęsnowicz gehört in Bohoniki ein Restaurant. Die noch aus Holz gebaute Dorfmoschee steht längst unter Denkmalschutz. Selbst Polens Präsident war hier schon zu Gast.

Ende September schaffte es die Migrantengruppe mit den zwölf Kindern bis nach Bohoniki, direkt bis zur Moschee. Alle Kinder litten nach Tagen in den Wäldern an Lungenentzündung. Die nächsten Migranten konnten kaum noch auf den Beinen stehen - und waren so hungrig, dass sie Pilze pflückten und sie roh verzehrten. "Wir haben alle nur geweint, meine Töchter, ich, die ganze Gruppe", sagte Szczęsnowicz dem Infodienst Onet. "Diese Menschen tun dies nicht aus Vergnügen, sondern fliehen vor Gewalt oder Krieg. Auch wir Polen sind einmal Flüchtlinge gewesen."

Szczęsnowicz kocht in seinem Restaurant nun täglich Hunderte Portionen Huhn oder Gemüsebrühe, sammelt mit der Hilfsgruppe Arka aus der nahen Kleinstadt Sokółka Kleider- und Geldspenden und fährt mit Essen und Kleidern ins sonst für Außenstehende verbotene Sperrgebiet an der Grenze. Das Essen ist sowohl für die Migranten als auch für die Grenzbeamten, die sie festnehmen und meist wieder über die Grenze nach Belarus zurückschieben.

Polnische Bürger müssen Flüchtlinge und Migranten, die die Grenze illegal überquert haben, dem Grenzschutz melden - sonst drohen ihnen eine Anklage und bis zu fünf Jahre Gefängnis. Gemeindevorsteher Szczęsnowicz ist hin- und hergerissen zwischen Mitleid, Hilfswillen und der polnischen Staatsräson. "Der Grenzschutz bringt die Menschen bis zur Grenze und lässt sie dort im Wald - das hören wir auch hier. Aber man kann ihnen auch nicht einfach erlauben, durchzumarschieren, denn wenn dies einer Gruppe erlaubt wird, schickt Lukaschenko sofort die nächste los", so Szczęsnowicz zu Onet.

Längst hat auch der Tod in den Grenzwäldern die Tataren von Bohoniki erreicht. Am 19. Oktober wurden die Leichen von drei Männern, vermutlich Irakern, im Wald gefunden. Szczęsnowicz und Imam Alexander Bazarewicz beschlossen, sie auf dem islamischen Friedhof des Dorfes zu beerdigen. Flüchtlinge ertrinken auch im Grenzfluss Bug: Taucher bargen die Leiche von Ahmed al-Hassan, einem 19 Jahre alten Syrer, der 2014 im Bürgerkrieg aus Homs geflohen war und in einem Flüchtlingslager in Jordanien groß wurde.

Am 15. November beerdigten die Tataren von Bohoniki den jungen Syrer auf dem Dorffriedhof. Zwei Tage später hoben sie das nächste Grab aus, für einen schätzungsweise 30 Jahre alten Mann, der erfroren im Wald gefunden wurde. "Wir werden hier schlicht noch mehr Tote haben", sagte Szczęsnowicz einem Reporter der Agentur Associated Press. Der Winter naht, und noch immer kommen täglich Menschen über die Grenze.

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