"Jeeps" an den Münchner Kammerspielen:Ab geht die Amtspost

Pressefoto - Jeeps  Eine Komödie in 3 Akten Uraufführung

Hände hoch: Hartz-IV-Empfängerin Maude (Eva Bay, links) verbündet sich mit der frisch enterbten Silke (Gro Swantje Kohlhof) gegen die Mühlen der Bürokratie.

(Foto: Armin Smailovic)

An den Münchner Kammerspielen knallt die Erbschafts-Satire "Jeeps" von Nora Abdel-Maksoud. Komisch, schnell und etwas zu irre, um wehzutun.

Von Christine Dössel

Natürlich geht es in einem Stück namens "Jeeps" auch um Autos. Nämlich um jene titelgebenden Teuerblechpanzer, die nicht nur im reichen München, aber eben ganz besonders hier das Straßenbild prägen. Neuerdings, so erfahren wir, überfüllen sie auch den Parkplatz vor dem Jobcenter. Denn dort, in der Wartehalle A, sitzen nun all jene höheren Töchter und Wohlstandssöhne, die im Zuge einer Erbrechtsreform Papas Vermögen verloren haben. Ihr Erbe wurde staatlich konfisziert und zur Verlosung freigegeben, so will es das neue Gesetz. Wer ein Los beantragen möchte, muss ins Jobcenter, denn dort wird die Vermögenslotterie behördlich geregelt, neben der Arbeitslosenverwaltung. Hier kommen sie nun alle zusammen: die Armen und Abgehängten, die Entlassenen, Entrechteten und Enterbten. Lauter "Yuppielarven" und "Opferwürste".

Die gesellschaftliche Verteilungsdebatte, festgemacht an einer deutschen Behörde und aufgezwirbelt als rasante Komödie: Was die Münchner Autorin Nora Abdel-Maksoud in und mit ihrem Stück "Jeeps" bewerkstelligt, hat echte Traute und sehr viel Schmiss. Bei der Uraufführung in den noch voll besetzten Münchner Kammerspielen ging auf der Bühne derart die Amtspost ab, dass man richtig gut hinhören und mitdenken musste, um auch wirklich alles zu verstehen, all die Witze, Anspielungen, Kalauer und Pointen, die da in einem Irrsinnstempo rausgehauen wurden. "Jeeps" ist eine deutsche Turbokomödie mit Allradantrieb, sogar auch noch intelligent, also etwas, was es eigentlich gar nicht gibt, denn wir Deutschen mögen im Luxusautobau gut sein, im dramatischen Humorbereich sind wir es eher nicht. (Ausnahmen wie Felicia Zeller, etwa mit ihrer Finanzamt-Groteske "Der Fiskus", bestätigen die Regel.)

Vier formidable Schauspieler veranstalten Irrwitz im Turbo-Sprech

Nora Abdel-Maksoud hat schon mit "Café Populaire" und anderen Stücken ihre Komödienbefähigung unter Beweis gestellt. Wie fast immer führt sie auch bei "Jeeps" selber Regie, wobei sie szenisch-optisch ungleich viel weniger bietet als inhaltlich-sprachlich, das ist fast ein bisschen enttäuschend. Gespielt wird vor einer neidgrünen Wand, von der man anfangs denkt, dass sie sich noch öffnen und ein opulenteres Bühnenbild freigeben würde. Denkste. Es bleibt beim Spiel auf der schmalen Vorbühne unter Aussparung jeglichen Dekors. Auf Behördentristesse deuten nur vier kastenförmige Neonleuchten hin und auf die Komödie zwei Schwingtüren, in denen sich der eine oder die andere schon mal genretypisch verheddert. Rechterhand sitzt an einem Schlagwerk der Musiker Enik, der auf schön rohe, pure Weise seine Akzente setzt. So weit, so karg.

Und dann: der helle Irrwitz, veranstaltet von vier formidablen Schauspielern im Turbo-Sprech, die ein tolles Timing und den Wahnsinn draufhaben. Sie bilden ein Pointen-Quartett im furiosen Schlag(licht)abtausch: Wer gerade spricht, steht im Lichtkegel, bis jemand anderes mit dem Finger schnippt, und - wusch - geht das Licht hier aus und dort an und - schnipp - reihum und hin und her. Zwei Amtsträger versus zwei Antragstellerinnen. Alle sehen in ihren beige-braunen Sakkos, Rollragenpullis und Schluppenblusen, die Frauen mit Föhnwellen, etwas schwiemelig gestrig aus, so als kämen sie aus den späten Siebzigerjahren. Was Katharina Faltner (Bühne und Kostüme) damit ausdrücken will, erklärt sich nicht. Aber egal. Der Sprachwitz ist von heute, mit lustigen Reminiszenzen an die Grimassen- und Wortpingpong-Komik eines Louis de Funès (der wiederum ist Siebzigerjahre).

Pressefoto - Jeeps  Eine Komödie in 3 Akten Uraufführung

Sachbearbeiter Gabor (Vincent Redetzki, links) liebt seinen Mercedes G 400d - und Formulare. Von Silke (Gro Swantje Kohlhof, rechts) will er sich nicht provozieren lassen.

(Foto: Armin Smailovic)

Im Jobcenter walten Armin (Stefan Merki) und Gabor (Vincent Redetzki) ihres Amtes, der eine spielt sich alert als Behörden-Sonnyboy und langgedienter Mansplainer auf, der andere ist in all seiner Redlichkeit der Unbestechliche vom Dienst. Der kennt weder Humor noch Mitleid und zieht der armen Maude sogar noch das Flaschenpfandgeld von der Grundsicherung ab, denn Flaschensammeln gilt als "selbständige Tätigkeit". Diese Maude, eine verarmte Adelige mit stolzer Restgrandezza (sehr fein: Eva Bay), war mal erfolgreich als Groschenromanautorin. Jetzt leidet sie unter einer skurrilen Wortfindungsstörung und ist als Langzeit-Hartz-IV-Empfängerin mit einem Regelsatz von gerade mal 4,86 Euro für Nahrung und alkoholfreie Getränke pro Tag die stammgastexzentrische "Gräfin Schizo" des Amtes. Jedenfalls kennt sie alle Tricks und auch die Achillesferse von Mister Unbestechlich, nämlich dessen Geländewagen, einen Mercedes G 400d. Das macht sie sich gemeinsam mit der Jungunternehmerin Silke Eggerts in einem erpresserischen Angriffsakt zunutze - mit vorgehaltener Pistole und Fernzünder in der Hand. Eine Situation, die alsbald eskaliert.

Bei dieser Lotterie kann man Geld erben - oder Schulden

Silke, mit hochnotkomischer Verarmungspanik gespielt von Gro Swantje Kohlhof, repräsentiert in dieser buchstäblich durchgeknallten Klassismussatire die Generation der frisch Enterbten. Glück gehabt in der "Eierstocklotterie" bei der Geburt, entstammt sie einer jener reichen Familien, die in Deutschland jedes Jahr bis zu 400 Milliarden Euro vererben. Wohingegen, auch das erfährt man im Stück, jedes fünfte Kind arm ist. Silke hat das Start-up "Laptops in Lederhosen" gegründet, aber reich, nein, reich fühlt sie sich ebenso wenig wie all die enterbten Konstantins, die inzwischen bereits die Wartehalle des Jobcenters "gentrifiziert" und einen Foodtruck und eine Boulderhalle hineingestellt haben. Mit krimineller Komödienenergie erpresst Silke nun ein Los für die Vermögenslotterie. Aber Pech: Sie zieht eine Niete. Man kann auch Schulden erben.

Es fetzt, wie der Text zwischen Rückblenden, Dialogen, Erzähl- und Erklärpassagen hin- und herspringt und die Schauspieler das umsetzen, mit bösem Witz und feinem Slapstick. Das ist nicht nur hoch-, sondern manchmal schon übertourig. Eigentlich müsste einem das Lachen angesichts der Faktenlage im Hals stecken bleiben. Das aber tut es nicht.

Jeeps, Münchner Kammerspiele, Schauspielhaus, nächste Vorstellungen: Donnerstag, 25. November, Mittwoch, 1., Freitag, 10. Dezember, jeweils 20 Uhr, www.muenchner-kammerspiele.de

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