Nachahmer-Medikamente:Warum Novartis Sandoz loswerden will

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Auch die Biontech-Großaktionäre Strüngmann sollen interessiert sein. In Branchenkreisen wird das als "bloße Spekulation" abgetan. Die Preise für Generika stehen unter Druck.

Von Elisabeth Dostert

Schließt sich jetzt der Kreis? So lesen sich die jüngsten Nachrichten über die Zwillingsbrüder und Pharmaunternehmer Andreas und Thomas Strüngmann, 71. Kaufen sie Hexal zurück, den Generikahersteller, den sie gegründet und dann vor vielen Jahren verkauft haben? In den vergangenen Monaten haben die Zwillinge vor allem Schlagzeilen mit ihrem Mainzer Investment Biontech gemacht, das als erstes Unternehmen in der westlichen Welt einen Impfstoff gegen das Coronavirus auf den Markt gebracht hat. Wie das Handelsblatt berichtet, wollen die Strüngmanns nun gemeinsam mit dem Finanzinvestor EQT ein Gebot für Sandoz abgeben, eine Division des Schweizer Pharmakonzerns Novartis. Sie ahmt Medikamente nach, deren Patentschutz ausgelaufen ist - sowohl Generika, also chemische synthetisierte Medikamente, als auch Biosimilars, also biotechnologisch hergestellte Arzneimittel. Nach Angaben des Verbands Pro Generika sind 80 Prozent aller in Deutschland über gesetzliche Krankenkassen abgerechnete Verordnungen Nachahmerpräparate.

Novartis ist nicht der erste Pharmakonzern, der sich auf das lukrativere Geschäft mit innovativen Medikamenten wie etwa Zell- und Gentherapien konzentriert. Ihre eigene Pipeline haben sie in den vergangenen Jahren immer wieder durch die Übernahme junger Biotech-Firmen gestärkt. Das Geschäft mit Nachahmerprodukten, vor allem das mit Generika, steht unter Druck. Rabattverträge mit den gesetzlichen Krankenkassen machen den Unternehmen zu schaffen. Nach Angaben des Verbands Pro Generika lag der Preis für die Tagestherapiedosis eines patentgeschützten chemisch hergestellten Medikaments im Jahr 2020 bei 4,29 Euro, für ein Generikum mit Originalpräparat-Konkurrenz bei 80 Cent und für ein Generikum bei 16 Cent nach Abzug des Rabatts im Schnitt bei sechs Cent. Die Tagestherapiedosis (DDD) ist die angenommene mittlere Tagesdosis eines Erwachsenen in der Hauptindikation dieses Wirkstoffs. Der weitaus größte Teil der Nachahmer wird in China und Indien hergestellt. Das hat schon vor der Pandemie zu Lieferengpässen geführt, in der Corona-Pandemie haben Exportstopps und Grenzschließungen die Lage noch verschärft.

Wie groß der Druck ist, offenbarte eine Datenpanne bei der AOK. Wie der Branchendienst Apotheke Adhoc Anfang Oktober berichtete, hatte der Versicherer vertrauliche Dokumente des indischen Herstellers Glenmark versehentlich an dessen Konkurrenz verschickt. Das Unternehmen bot den Dokumenten zufolge für mehrere Wirkstoffe Rabatte von mehr als 99 Prozent, zum Beispiel für das Betäubungsmittel Buprenorphin. Das bedeute, errechnete der Branchendienst, dass eine Tablette gerade mal einen halben Cent koste. In den Ausschreibungen gehe es nur darum, der billigste zu sein, kommentierte Pro-Generika-Geschäftsführer Bork Bretthauer den Fall. So sei ein ruinöser Wettbewerb entstanden.

Der Kauf von Sandoz wäre für die Strüngmann-Brüder eine Rückkehr zu ihren Wurzeln

2020 setzte Sandoz 9,6 Milliarden Dollar um, das war rund ein Fünftel des Konzernumsatzes von Novartis. Das operative Ergebnis lag bei 2,3 Milliarden Dollar. Das Geschäft mit innovativen Medikamenten wie Entresto, ein Medikament gegen Herzinsuffizienz, oder Zolgensma, eine Gentherapie gegen spinale Muskelatrophie, wirft mehr ab. Die Division Innovative Medikamente setzte 2020 rund 39 Milliarden Dollar um, das operative Ergebnis lag laut Geschäftsbericht bei 13,6 Milliarden Dollar. Mit Marken wie Hexal und 1A Pharma gehört Sandoz nach dem US-Konzern Viatris und dem israelischen Konzern Teva, zu dem auch Ratiopharm gehört, zu den drei größten Generikakonzernen der Welt. Teva setzte 2020 nach eigenen Angaben 16,7 Milliarden Dollar um. Viatris entstand im November 2020 aus der Fusion des niederländischen Konzerns Mylan mit der Generikasparte des US-Konzerns Pfizer, der Umsatz lag 2020 pro forma bei 19 bis 20 Milliarden Dollar.

Für die Strüngmann-Brüder wäre der Kauf von Sandoz eine Rückkehr zu ihren Wurzeln. Sie gelten als Pioniere der Generika. Sie hatten Mitte der 80er-Jahre Hexal gegründet und 2005 an Novartis verkauft - für mehr als fünf Milliarden Dollar. Inzwischen ist das Unternehmen deutlich gewachsen. In Branchenkreisen wird der Bericht als "bloße Spekulation" abgetan, der spekulierte Kaufpreis von mehr als 20 Milliarden Franken aber "als durchaus realistisch" eingeschätzt. Die Mittel hätten die Strüngmanns vermutlich, oder sie könnten sie sich beschaffen. Allein ihre knapp 50 Prozent am Impfstoffhersteller Biontech sind - gemessen an der Marktkapitalisierung - etwa 35 Milliarden Dollar wert. Aber, das hat Thomas Strüngmann schon vor Wochen geäußert, er stehe nicht zum Verkauf, um andere Investitionen zu finanzieren. Auch wenn ihnen Hexal schon lange nicht mehr gehört, sind die Brüder weiter im Generika-Geschäft tätig, ihnen gehört der Berliner Generikahersteller Aristo Pharma, und sie sind an einer Firma in Südafrika beteiligt.

Novartis prüft derzeit alle Optionen

Erst vor wenigen Wochen hatten Novartis-Chef Vas Narasimhan öffentlich Sandoz zur Disposition gestellt. "Wir glauben, dass jetzt der richtige Zeitpunkt ist, um zu prüfen, was die richtige längerfristige strategische Positionierung von Sandoz ist", sagte er bei der Vorlage der Quartalszahlen Ende Oktober. Eine Stellungnahme zu dem jüngsten Bericht lehnten Novartis und Sandoz ab. Novartis habe eine strategische Überprüfung eingeleitet und angekündigt, bis spätestens Ende 2022 ein Update dazu zu geben, teilte der Konzern mit. Inhaltlich gehe es in diesem "Review" um die Frage, ob Sandoz innerhalb des Konzerns die besten Aussichten für die zukünftige Unternehmensentwicklung habe oder außerhalb, heißt es in der schriftlichen Antwort auf Fragen der SZ. Falls der Review zum Schluss komme, dass eine Trennung von Novartis und Sandoz der beste Schritt sei, gebe es hier eine "Bandbreite von möglichen Szenarien" für das Gesamtunternehmen Sandoz. Auch für den Fall, dass Novartis zu dem Schluss komme, dass sich Sandoz zukünftig besser außerhalb von Novartis entwickeln könnte, wäre ein direkter Verkauf "nur eine von mehreren möglichen Optionen."

Kaum hatte sich Narasimhan geäußert, meldete sich die Sozialdemokratische Partei der Schweiz. Der Bund solle Sandoz "direkt oder indirekt und eventuell zusammen mit Partnern" erwerben, sagten Parteimitglieder der Sonntagszeitung. Wichtig sei, dass die öffentliche Hand die wirtschaftliche Kontrolle habe. Die Abhängigkeit der Schweiz vom Ausland in der medizinischen Versorgung könne so verhindert werden.

Übung in Transaktionen hat Novartis reichlich. Im Frühjahr 2019 hatte sich der Konzern der Augenheilsparte Alcon über die Börse entledigt. Für fünf Novartis-Papiere bekamen die Aktionäre eine Alcon-Aktie. Anfang November verkaufte Novartis sein Paket an Roche, rund 33 Prozent, für 20,7 Milliarden Dollar. Man darf jetzt spekulieren, was Novartis-Chef Vas Narasimhan mit all dem Geld anfangen will.

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