"Hawkeye" auf Disney Plus:Weihnachten mit den Avengers

Streaming Disney+ - ´Hawkeye"

Mischen das weihnachtliche New York auf: Hailee Steinfeld als Kate Bishop und Jeremy Renner als Hawkeye.

(Foto: Chuck Zlotnick/dpa/Marvel Studios/Disney)

Hawkeye galt immer als einer der unauffälligen Superhelden. Mit seiner eigenen Serie dürfte dieser Eindruck aber vorbei sein.

Von Nicolas Freund

Musicals sind ja sehr umstritten. Die einen finden das Gezappel und Gehampel zu flach, die anderen sind ganz hingerissen von einem Gesamtkunstwerk, das ausladend wie eine Oper und einladend wie ein Popsong ist. Superheld Hawkeye (Jeremy Renner) gehört eher zur ersten Fraktion. Mit seiner Familie macht er Kurzurlaub in New York, auf dem Programm steht "Rogers - The Musical" über Captain America, eine Geschichte, in der er selbst als bogenschießender Held und Teammitglied der Avengers eine tragende Rolle spielt. Sein Leben auf der Bühne zu sehen, verpackt in kitschige Songs und Pappkulissen, findet Hawkeye, der eigentlich Clint heißt, aber nur so mittelgut. Weil eigentlich hatte er ja mit dem Abenteuerkram abgeschlossen und wollte ein ganz normaler Familienvater werden. Langsam driften seine Gedanken ab, während er sich selbst beim Singen und Tanzen auf der Bühne zusieht. Seine Kinder neben ihm fragen schon, ob er das Hörgerät ausgeschaltet hat. Es ist Weihnachten in New York, und der gräuliche Schneematsch in den Straßen wird von den bunten Lichterketten nur leicht kaschiert.

Diese angenehm selbstreflexive und witzige Szene in der neuen Marvel-Serie Hawkeye ist als Idee nicht ganz neu: Schon im zweiten Avengers-Kinofilm von 2015 durfte die Heldentruppe bei Clint auf der Veranda Eistee schlürfen, und da schien bereits das Thema auf, das ja einige Helden umtreibt: der Wunsch, doch lieber ganz normal zu sein. Alle unglücklichen Superhelden gleichen einander, jeder Glückliche ist auf seine Art glücklich, könnte man sagen, sehr frei nach Leo Tolstoi.

Die junge Kate (Hailee Steinfeld) ist noch keine Superheldin, wäre aber gerne eine. Ihr großes Vorbild: ausgerechnet Hawkeye, der sie 2012 im ersten "Avengers"-Film gerettet hat. Seitdem sind fast zehn Jahre vergangen, Kate geht aufs College, wo sie wie besessen Bogenschießen und Kampfsport trainiert. Anders als Hawkeye ist sie mit ihrer Familie sehr unzufrieden: die reiche Mutter, die sich immer neue Schnösel aus der New Yorker Oberschicht anlachen muss; der fehlende Vater, der 2012 nicht so viel Glück hatte wie sie. An der Uni könnte es auch besser laufen. Warum also nicht Superheldin werden?

Zu dumm, dass Kates Kostüm einst Hawkeye gehörte, mit dem einige noch eine Rechnung offen haben

Nur, sind die Zeiten der Superhelden nicht längst vorbei? Kommt Kate nicht zehn Jahre zu spät? Superhelden wurden ja auf die Musicalbühnen verbannt. Bei einer illegalen Auktion werden Heldendevotionalien versteigert, und Kate fällt ein Kostüm in die Hände, mit dem sie kurzerhand beginnt, die New Yorker Unterwelt aufzumischen. Gar keine gute Idee. Denn das Kostüm gehörte einst Hawkeye, und mit dem haben noch einige Kriminelle eine Rechnung offen.

Eigentlich war Hawkeye, dieser mit Pfeil und Bogen bewaffnete Held, immer einer aus der zweiten Reihe. Neben dem Playboy Iron Man und dem durchgeknallten Hulk wirkte er zu brav und farblos, ja langweilig. Bis heute hat er, im Gegensatz zu fast allen anderen Avengers, keinen eigenen Kinofilm bekommen. Dafür nun immerhin diese Miniserie auf Disney Plus - und die ist, zumindest was die vorab gezeigten Folgen angeht, ganz hervorragend. Nicht nur, weil sie das alles mitreflektiert: die zur Musical-Farce gewordene Heldenfiguren, das Gefühl, zu spät dazugekommen zu sein, der Spagat zwischen Heldenzirkus und echtem Leben. Sondern vor allem, weil sie die richtige Balance und das richtige Timing findet.

Beim Bogenschießen ist ja auch der Moment entscheidend: Sehnenspannung, Wind, Atmung, alles muss passen, wenn der Pfeil losgelassen wird, und dafür, dass Hawkeye ins Schwarze getroffen hat, ist vermutlich vor allem der Regisseur Rhys Thomas verantwortlich. Der kommt von der Late-Night-Show Saturday Night Live, und da muss jeder Gag und jeder Kommentar ja schon ein, zwei Schritte weiter gedacht sein. Chef-Autor von Hawkeye ist Jonathan Igla, der auch aus einer ganz anderen Ecke kommt, nämlich von den Serien Mad Men und Bridgerton.

Jeremy Renner, der in seinen Rollen schauspielerisch oft etwas zu kurz kommt, kann in Hawkeye jedenfalls die unterdrückten Sorgen seines Superhelden erforschen und trotzdem witzig sein, was auch deshalb so gut funktioniert, weil die Chemie mit Hailee Steinfeld als Sidekick Kate stimmt. Die hat ja schon vor zehn Jahren in True Grit bewiesen, dass sie im bitteren Ernst auch viel Humor transportieren kann.

Die Witze sitzen, die Szenenwechsel, die Nebenfiguren, die Punchlines, mit denen sich die beiden Helden beharken: Selbst der einäugige Weihnachtshund, der einem von den Plakaten für die Serie entgegenhechelt, nervt lange nicht so, wie man befürchten musste. Ein Volltreffer. Aus der zweiten Reihe.

Hawkeye, zwei Folgen ab Mittwoch, dann wöchentlich, auf Disney Plus

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