Pockenimpfung vor 200 Jahren:Als Bayern drakonische Strafen für Impfgegner verhängte

Andreas Hofer, Hinrichtung von Andreas Hofer in Mantua, 1810 | Execution of Andreas Hofer, 1810

Der Widerstand gegen die Impfpflicht erreichte seinen Höhepunkt im Jahr 1809 bei der Schlacht am Bergisel. Der Freiheitsheld Andreas Hofer wurde nach der Niederlage der Tiroler von den Franzosen exekutiert.

(Foto: Sueddeutsche Zeitung Photo)

Als erster Staat der Welt führte Bayern 1807 eine Pockenschutzimpfung ein. Wer der königlichen Verordnung nicht folgte, wurde kräftig zur Kasse gebeten. Der Bericht eines Arztes zeigt: Die Argumente der Impfverweigerer haben sich kaum geändert.

Von Hans Kratzer

Es wäre interessant, diesen Mann mit seiner klaren Haltung einmal in den Talkshows von Lanz, Maischberger und Illner zu erleben. Die Rede ist von dem Arzt Martin Schmid, den die Impfverweigerer in seiner bayerischen Heimat sehr verdrießen und der dazu eine klare Meinung vertritt. Er nennt viele Gründe, warum sich die Menschen nicht impfen lassen. Etwa die traditionelle Abneigung in der Bevölkerung gegen alles, was neu ist. Dazu geselle sich die Besorgnis der Eltern, die geimpften Kinder könnten in der Folge eine andere Krankheit erleiden. Nicht zuletzt führt Schmid die schwache Impfquote auf die Bosheit übelgesinnter Menschen zurück, die die abgeschmacktesten Berichte über das Impfen und etwaige Unglücksfälle ausstreuten. Mit Verwunderung verweist er auch noch auf die irrigen Ansichten mancher Ärzte über die negativen Folgen einer Schutzimpfung.

So spannend ein Treffen mit Schmid auch wäre: Leider kann man mit ihm kein Gespräch mehr führen. Denn er ist schon lange tot, seine modern klingenden Thesen hat er bereits vor mehr als 200 Jahren veröffentlicht, im Jahr 1816. Schmid verfasste damals einen Bericht über die Pockenschutz-Impfung im Bezirk Rosenheim. Er ist heute noch lesenswert und aufschlussreich, weil er belegt, dass sich die Skepsis vieler Menschen über neu eingeführte Impfstoffe kaum geändert hat.

Pockenimpfung vor 200 Jahren: Im Hubertussaal in Schloss Nymphenburg hängt das Bildnis des Kurfürsten Max III. Joseph von Bayern, der 1777 an den Pocken starb.

Im Hubertussaal in Schloss Nymphenburg hängt das Bildnis des Kurfürsten Max III. Joseph von Bayern, der 1777 an den Pocken starb.

(Foto: Alessandra Schellnegger)

Im 18. und im frühen 19. Jahrhundert verbreiteten die Pocken, auch Blattern genannt, Angst und Schrecken. In Europa fielen jedes Jahr eine halbe Million Menschen dieser Seuche zum Opfer, und wer sie überlebte, war für den Rest seines Lebens vernarbt, erblindet, taub oder gelähmt. Auch die Herrscherhäuser wurden nicht verschont. Im Dezember 1777 starb beispielsweise der bayerische Kurfürst Max III. Joseph an den Pocken. Eine Impfung, mit der damals schon experimentiert wurde, hatte er abgelehnt.

Den ersten wirksamen Impfstoff hatte 1796 der englische Arzt Edward Jenner entdeckt. Seine Erkenntnis, dass Kuhpocken auch gegen die richtigen Pocken immunisieren, ebnete den Weg zur modernen Präventivmedizin. Sie entzündete aber auch die bis heute andauernde Widerständigkeit in der Bevölkerung. Als das Königreich Bayern 1807 als erstes Land der Welt die Pockenschutzimpfung einführte, zog diese Entscheidung sofort Probleme nach sich. In manchen Teilen Bayerns wurde die Kuhpockenimpfung schon einige Jahre vorher auf freiwilliger Basis verabreicht. Aber nur wenige Menschen nützten diese Möglichkeit, trotz ständiger Aufforderung der Obrigkeit, sich impfen zu lassen. "Es fehlte nicht an Gegnern", schreibt der Arzt Schmid in seinem Bericht, denn das Volk glaubte, der Vorteil der Impfung werde vom Nachteil, der sich daraus ergebe, verschlungen. Überdies kursierten Horrorgeschichten, wonach Kinder nach der Impfung angeblich wie die Kühe brüllten.

König Maximilian I. Joseph

König Max I. Joseph (1756-1825) ordnete 1807 die Einführung der Pockenschutzimpfung an. Bayern war das erste Land, das diesen Schritt wagte.

(Foto: Scherl/Sueddeutsche Zeitung Photo)

Der Staat reagierte auf die Bockigkeit der Impfgegner mit Härte. König Max I. Joseph ließ verlautbaren, er bedauere, dass so viele Menschen wegen Vorurteilen und Gleichgültigkeit "auf diese große Wohlthat verzichten", und dadurch sowohl sich als auch andere in Gefahr setzten. Am 26. August 1807 ordnete er an, dass sich alle Bewohner des Königreichs, die noch nicht von den Blattern heimgesucht wurden, einer kostenlosen Impfung unterziehen mussten. Verweigerern begegnete man mit empfindlichen Sanktionen: "Um der gegenwärtigen Verordnung den gehörigen Nachdruck zu geben, finden Wir nothwendig, die Saumseligen und Widersezlichen mit angemessener Geldstrafe zur Annahme des Guten zu bestimmen."

Dieser Schritt scheint gewirkt zu haben. Dazu kam die tägliche Erfahrung. In den Jahren vor 1806 hatten die Blattern viele Kinder getötet. Die bereits mit Erfolg Geimpften blieben sichtbar verschont. "Dies blieb nicht unbemerkt", schreibt Schmid. Die Schutzpocken-Impfung "fing nun an, sich einige Liebe zu gewinnen", wie er es ausdrückt. Schmid resümierte: "Das Gemüth erhob sich, und man freute sich, ein leichtes Mittel gegen ein großes Übel gefunden zu haben. Indeß war der Impuls auf das Landvolk gegeben, viele scheuten keine Mühe, dasselbe zu belehren, und zu überzeugen, und die Impfung gieng zwar anfangs langsam, doch sichern Schrittes vorwärts."

Pockenimpfung vor 200 Jahren: Titelblatt des Berichts, den der Arzt Martin Schmid (1775-1834) im Jahr 1816 über die Schutzpocken-Impfung im Distrikt Rosenheim verfasst hat.

Titelblatt des Berichts, den der Arzt Martin Schmid (1775-1834) im Jahr 1816 über die Schutzpocken-Impfung im Distrikt Rosenheim verfasst hat.

(Foto: Bayerische Staatsbibliothek)

Vor allem die Beamten und die Pfarrer waren angehalten, die Menschen von der Impfung zu überzeugen. Laut Schmid bewiesen manche Priester "so viel Wärme und Tätigkeit für die gute Sache, dass nur ihnen der erwünschte Erfolg zu verdanken ist". Er verschweigt dennoch nicht, dass sich überall auch Schwierigkeiten ergaben. "Es erforderte Muth und Kraft von Seite derjenigen, die es unternahmen, diese Entdeckung geltend zu machen und einzuführen."

Eine wichtige Rolle bei der Einführung der Impfpflicht spielten die Ärzte Franz Xaver und Simon von Häberl, die sich große Verdienste bei der Verbesserung der Missstände im bayerischen Gesundheitssystem erwarben. Ihnen ist es zu verdanken, dass zwischen 1808 und 1813 gegen große Widerstände vor dem Sendlinger Tor in München das Allgemeine Krankenhaus entstand, das zum Vorbild für den Krankenhausbau in Deutschland wurde.

Aus den Vorgängen von damals lässt sich überdies ersehen, wie stark die politische Wetterlage solche Epidemien beeinflusst. Geistliche und Ordensangehörige aus Tirol verurteilten damals den Impfzwang als Versuch, Gottes Pläne zu durchkreuzen und der Bevölkerung bayerisches Denken einzuimpfen. Der Gedanke, mit der Impfung pfusche man Gott ins Handwerk, war auch in Bayern weit verbreitet. Schmid geißelt ihn in seiner Schrift als "religiösen Irrwahn, als würde der Vorsehung und Anordnung Gottes vorgegriffen". Die Probleme in Tirol rührten von daher, dass die Habsburger nach der Schlacht bei Austerlitz das Land 1805 an Bayern abtreten mussten. Die katholischen Bergbauern sammelten sich zum Aufstand unter dem Volkshelden Andreas Hofer. Die Schlachten der Tiroler gegen bayerische und französische Truppen 1809 am Bergisel bei Innsbruck werden von manchen Forschern als Höhepunkt im Streit um die Impfpflicht stilisiert.

Als auch andernorts der Impfeifer wieder erlahmte, verschärfte die Regierung die Strafen und hatte damit Erfolg. Nach dem Jahr 1810 hatte das Königreich Bayern die Seuche gut im Griff. Andere Länder brauchten noch Jahrzehnte, bis sich die Impfung durchsetzte.

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