Trend:Gähn!

Hoffman s Two-toed Sloth lives in trees in the rainforest of Central and South America. Limon Province Costa Rica Copyri

Reizendster Meister in Sachen Slow: das Faultier.

(Foto: imago classic/imago images/VWPics)

Slow Food, Slow Fashion und jetzt auch noch Slow Gifting - das ach so achtsame Beschenken zu Weihnachten: Die omnipräsente Entschleunigung nervt langsam.

Von Julia Rothhaas

Schön langsam bitte? Na ja, dafür ist es mit dem Begriff "slow" eigentlich recht schnell gegangen. Seit ein paar Jahren setzt sich das Wörtchen an wirklich jedem Bereich unseres Lebens fest, von dem irgendjemand findet, dass er entschleunigt gehört. "Slow", das bedeute "Selbstfürsorge in Reinform", so steht es zumindest recht ambitioniert auf der Webseite slow.supply, die nachhaltig hergestellte Produkte vertreibt. Aber was hat es mit einem Trend auf sich, der sich der allgemeinen Beschleunigung bewusst entgegenstellt, aber zugleich durchaus rasant ständig neue Lebensbereiche erfasst?

Regional und ökologisch genießen - bei "Slow Food" hat man das "slow" noch gut verstanden. Dass der Braten langsam und ohne Antibiotika großgezogen wird, das Brot ohne Schnellgärungsmitteln aufgeht und sogar der "Slow Juicer" als der bessere Entsafter gilt, weil er Obst und Gemüse mit Presswellen zerquetscht anstatt es zu schreddern: nachvollziehbar. Und "Slow Eating", also dreißig Mal kauen, fand schließlich schon die Oma sinnvoll. Auch dass die Mode nun vermehrt auf "Slow Fashion" setzt, angesichts der Tatsache, dass viel zu viele Kleidungsstücke unter schrecklichen Umständen für Mensch und Natur produziert und dann wieder weggeworfen werden, ist eine gute Idee. Getragen wird nun lieber, was länger hält als nur eine Saison.

Ist Slow Aging Trost für den eigenen Verfall?

Doch damit nicht genug: Die behauptete, manchmal auch geschickt inszenierte Langsamkeit ist unaufhaltsam. Im Wohnzimmer ist neuerdings "Slow Living" Pflicht ("klares, unaufgeregtes Ambiente", propagiert etwa die Wohnzeitschrift Deco Home und zeigt dazu Bilder von riesigen, halbleeren Räumen). In der Familie wird "Slow Parenting" ausgerufen - man solle "den Augenblick genießen und ehren", so das Buch "Slow Family", und lieber die Ameise am Straßenrand vor der Tür beobachten, anstatt mit der ganzen Bagage in den Wald zu fahren. Und im Beauty-Bereich setzt man auf "Slow Aging", oder wie es bei Nivea heißt: sich schön "auf eigene Bedürfnisse konzentrieren und den Alterungsprozess auf diese Weise entschleunigen". Ein interessantes Versprechen von einer Firma, die Hyaloronmasken und Augenpads verkauft. Die bräuchte man bei diesem Ansatz ja eigentlich nicht mehr. Kein echter Trost also für den eigenen, doch recht flotten Verfall.

Nicht mal vor der Liebe macht die Slow-Bewegung Halt. Sich auf den ersten Blick verknallen? Nicht nachhaltig genug. Vielmehr soll man sich jetzt so lange in die Augen schauen, bis einem ganz schwindelig wird und man dem nächsten Langweiler automatisch in die Arme fällt. Die Zeitschrift Brigitte setzt dafür auf echte Ausdauer: "Auch wenn die Anziehungskraft anfangs ausbleibt, heißt das nicht, dass daraus nichts werden kann!" Ob Slow Love, -Sex, -Lesen, -Reisen, - Gartenarbeit: Je lahmer, desto besser.

Da scheint es wohl folgerichtig, dass dieses Jahr auch das "Slow Gifting" ausgerufen wird. Bedeutet: Socken stricken, Marmelade einkochen, was Schönes aus Holz schnitzen, am besten gemeinsam mit der ganzen Familie. Wer je verzweifelt vor einem Strickvideo gesessen hat, ohne bei der Ferse weiterzukommen oder statt einem Löffel aus dem alten Birnbaum ein krummes Dings in der Hand hatte, weiß: Das ist die beschleunigte Version von Stress. Selbst das besonders wohlüberlegte, nicht selbstgemachte Geschenk für den lieben Onkel muss ja erst einmal gefunden werden.

Lässt sich langsames Internet bewusster genießen?

Dabei ist Deutschland längst bekannt für eine gewisse Lahmarschigkeit, man denke etwa an die Digitalisierung. Oder lässt es sich mit dem langsamen Internet überall einfach nur "bewusster genießen", weil man endlich mal Durchschnaufen kann, bis sich die gewünschte Webseite öffnet oder die Mail rausgeht an die Kolleginnen? Auch bei der Verkehrs- und Energiewende gilt Schneckentempo; die deutsche Slowness scheint gerade schnell genug zu sein, wenn es um die Zukunft dieses Planeten geht.

Richtig nervig ist diese Langsamkeit aber beim Impfen. Zu diesem leidigen Thema äußerte sich jüngst sogar der sonst eher medienscheue Joachim Sauer, Ehemann von Angela Merkel. In einem Interview mit der italienischen Zeitung La Repubblica befand er, die auffällig niedrige deutsche Impfquote liege zum Teil an "einer gewissen Faulheit und Bequemlichkeit der Deutschen". Er hätte hier ruhig "Slow Deutsche" sagen können, da hätte der Zusatz wenigstens einmal gut gepasst.

Beim Faultier finden wir die ewige Langsamkeit niedlich, beim Impfen aber ist es nur noch peinlich. Statt Slow Motion ist jetzt Turbo angesagt. Mit "Fürsorge in Reinform", für sich oder andere, hat die Impfschnarchigkeit nämlich rein gar nichts zu tun.

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