Hörbuch "Arno Schmidts Zettelʼs Traum":Direkt an die Theke

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Ulrich Matthes bei den Aufnahmen zu dem Hörbuch "Arno Schmidts Zettel's Traum". (Foto: Bernd Rauschenbach)

Arno Schmidts Roman "Zettel's Traum" ist schwer konsumierbar. Ulrich Matthes geht eine Lesung von Auszügen nichtsdestotrotz angriffslustig an.

Von Florian Welle

"Dieses Hörbuch ist nicht für den passionierten Schmidt-Leser und Zettel's Traum-Fachmann gedacht", schreibt Bernd Rauschenbach, langjähriger Leiter der Arno-Schmidt-Stiftung, im Booklet und fährt fort: "Vielmehr will es dem noch zögernden Leser Mut machen, sich einem großartigen Lektüre-Erlebnis auf eine kurze Zeit auszusetzen ..."

Hätte man Auszüge aus Arno Schmidts selbsternanntem "ÜberBuch" bereits früher von einem Ausnahmeschauspieler wie Ulrich Matthes einlesen lassen, hätte "Zettel's Traum" seit seiner Veröffentlichung 1970 vielleicht ein breiteres Publikum gewonnen. So aber haftet dem Werk, das Schmidt seiner fragilen Gesundheit abrang, bis heute der Makel der Unlesbarkeit an.

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Ulrich Matthes zieht sämtliche Register seines Könnens und macht "Zettel's Traum" als singuläres Sprachkunstwerk hörbar, dem man auf keinen Fall mit Scheu begegnen sollte. Sondern mit der gleichen Unverfrorenheit, mit der sein Verfasser auf der Basis von 120 000 Zetteln schließlich ein zehn Kilogramm schweres Buch zwischen Lachkabinett und Erotomanie mit 1334 großformatigen Seiten kompiliert hatte. Dreispaltig gesetzt, führt er dabei seine eigentümliche Strategie des phonetischen Schreibens, die er seit dem Roman "Kaff auch Mare Crisium" und den "Ländlichen Erzählungen" entwickelt hatte, zum Höhepunkt. Damaliger Verkaufspreis: 295 DM, eher Liebhaberobjekt für Bibliophile als Gebrauchsgegenstand mit Eselsohren.

Grundlage für die Lesung ist das von Bernd Rauschenbach herausgegebene Lesebuch "Zettel's Traum" - schon dies der Versuch, neuen Lesern mit wohldosierten Häppchen Appetit auf den Hauptgang zu machen. Nun also das Hörbuch zum Lesebuch zum ÜberBuch, das man in der Tat laut lesen oder eben sich laut vorlesen lassen sollte, damit man auf seine Kosten kommt. Deutsch, Englisch, Latein gehen ebenso munter durcheinander wie Hochsprache, Dialekt und Jargon.

Und dann legen sie Gurken ein und süffeln sich einen an

Als hätte er die Sentenz "tief Luft=hol'n? - : und=sofort bis zur Theke durchstoßn!" beim Wort genommen, lässt Ulrich Matthes von Anfang an angriffslustig seine Zungenmuskulatur spielen, kaum dass er einleitend Zettels Worte aus dem "Sommernachtstraum" rezitiert hat: "... aber der Mensch ist nur ein lumpiger Hanswurst." Schon der Buchtitel wartet mit Bedeutungsüberfrachtung auf, die dann innerhalb der Handlung und der vom Ich-Erzähler, dem Schriftsteller Daniel "Dän" Pagenstecher, am Beispiel Edgar Allan Poes entfalteten "Etym"-Theorie auf die Spitze getrieben wird. "Zettel's Traum" - da stecken längst nicht nur Shakespeare, Freud und seine Traumdeutung, die Bibel und Karl May, sondern auch der autobiografische Verweis auf die eigenen Zettelkästen drin.

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Nach Erscheinen des Buchs schlossen sich Unerschrockene um den Journalisten Jörg Drews zum "Arno-Schmidt-Dechiffrier-Syndikat" zusammen und veröffentlichten im Bargfelder Boten fortlaufend ihre Leseerkenntnisse. Als Arno Schmidt davon erfuhr, hielt er diese selbstredend für viel zu mickrig. Was uns das heute noch sagt? Man sollte nicht den Anspruch haben, jede hochtrabende Anspielung, jede Doppeldeutigkeit eines Worts zu verstehen, die Schmidt allein wegen klanglicher Ähnlichkeit provoziert. "Etym", ein Begriff, den Schmidt James Joyce gemopst hat, meint ja nicht weniger als die unermüdlich vom Trieb gesteuerte Arbeit des Unbewussten, wie sie etwa bei whole und hole oder dem Ständer als Zeitungsständer beziehungsweise erigiertem Glied am Werke ist. Der verschwitzte Kalauer ist nicht fern.

Statt zu verstehen also Matthes' Ruf "This way to Etymshausen" folgen und hören, wie er Sprache zelebriert, mal gestochen scharf phrasiert, dann wieder verschleift und immer mit Gespür fürs Timing seine Päuschen macht und zwischendurch mal kuhmuht. Ach ja, worum geht es? Etymshausen: Das ist das Dorf Ödingen in der Lüneburger Heide. Dort bekommt der in die Jahre gekommene Dän Besuch von den Poe-Übersetzern Wilma und Paul Jacobi samt Teenager Fränzel. Gemeinsam stapft man über die Felder, süffelt sich einen an, legt Gurken ein und sinniert über die Zeit- und Sternenläufte, über Poe, Voyeurismus und Impotenz. Dän, den seine resolute Gegenspielerin Wilma einmal "Lustgreis" schimpft, ist heimlich ins "Friendsel" verliebt. Als die Familie nach einem Tag wieder abreist, bleibt er in seinen "WahnWeltn im FrazznHaus" zurück.

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