Flüchtlinge:"Es drohen noch schlimmere Szenen im eiskalten Wasser"

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Französische Polizei überwacht einen Strand in Sangatte bei Calais, um zu verhindern, dass Flüchtlinge von hier aus nach Großbritannien übersetzen. (Foto: Louis Witter/Getty Images)

Frankreich, Belgien, die Niederlande und Deutschland wollen härter gegen Schleuser vorgehen, die Geflüchtete über den Ärmelkanal bringen. Die britische Innenministerin war bei dem Treffen nicht erwünscht.

Bei einem Krisentreffen zur Migration über den Ärmelkanal haben Frankreich, Belgien, die Niederlande und Deutschland einen härteren Kampf gegen Schleuser vereinbart. Großbritannien, das Ziel der mit kleinen Booten übersetzenden Flüchtlinge ist, wurde zur Schaffung legaler Migrationswege aufgerufen, sagte Frankreichs Innenminister Gérald Darmanin am Sonntagabend nach dem Treffen in Calais. Außerdem müsse Großbritannien die illegale Beschäftigung von Flüchtlingen erschweren. Vor einigen Tagen starben im Ärmelkanal 27 Menschen auf dem Weg nach Großbritannien, weil ihr Boot kenterte.

Frankreich hatte Großbritannien von dem Treffen ausgeladen, nachdem der britische Premierminister Boris Johnson ein Abkommen mit Frankreich zur Rücknahme von Migranten gefordert hatte. Johnson hatte ein solches Abkommen als "größten einzelnen Schritt" bezeichnet, der das Geschäftsmodell krimineller Schlepperbanden zerstören solle. Die sogenannte Dublin-Verordnung der EU, die unter anderem die Rückführung von Asylsuchenden in andere Mitgliedstaaten regelt, kann Großbritannien seit dem Brexit nicht mehr in Anspruch nehmen.

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Das Schreiben an Frankreichs Präsident Emmanuel Macron, das Johnson auf Twitter veröffentlichte, hatte auf französischer Seite Empörung ausgelöst - insbesondere die Art der Veröffentlichung hatte Paris verärgert. "Über solche Dinge kommuniziert man nicht zwischen Staatschefs per Tweet und veröffentlichte Briefe", hatte der französische Staatschef am Freitag erklärt. Er bezweifelte zudem die Ernsthaftigkeit des britischen Vorstoßes. Die wirkliche Antwort, so Macron, liege "in der ernsthaften Zusammenarbeit, um diesen Bewegungen vorzubeugen, um diese Schleusernetzwerke zu zerschlagen, um zu verhindern, dass diese Frauen und Männer unser Land erreichen, weil es bereits zu spät ist, wenn sie da sind".

Frankreich wolle sich nicht zur Geisel der britischen Innenpolitik machen lassen

Innenminister Darmanin betonte nun, er wolle weiter mit seiner britischen Amtskollegin Priti Patel beraten. "Wir wollen mit den Briten zusammenarbeiten, die Briten sind unsere Alliierten." Allerdings wolle Frankreich sich nicht zur Geisel der britischen Innenpolitik machen lassen, für die die Migrationspolitik gerade ein heißes Eisen ist.

Auch Patel rief erneut zur Zusammenarbeit auf. "Großbritannien kann dieses Problem nicht allein beheben, wir in Europa müssen uns alle mehr anstrengen, Verantwortung übernehmen und in der Krise zusammenarbeiten", schrieb sie am Sonntag. Sonst drohten "noch schlimmere Szenen im eiskalten Wasser" in den nächsten Monaten.

Von der europäischen Grenzschutz-Agentur Frontex soll ab Anfang Dezember ein Flugzeug zur Überwachung der Kanalküste bereitstehen, sagte Darmanin. Zugleich betonte er die humanitäre Dimension. Es helfe nicht, die Flüchtlinge zu kriminalisieren, die französische Polizei wolle mit ihrem Einsatz an der Küste Leben retten.

Am Wochenende zeigte sich noch einmal das Ausmaß der Tragödie: Die BBC sprach mit Angehörigen einer der im Ärmelkanal verunglückten Frauen. Der Verlobte der 24-jährigen Maryam Nuri Mohamed Amin erzählte dem Sender, seine Partnerin habe ihm noch kurz vor ihrem Tod geschrieben, dass ihr Schlauchboot Luft verliere, aber Rettung auf dem Weg sei - letztlich kam jedoch jede Hilfe zu spät. Die junge Frau aus dem Irak hatte ihren Partner in Großbritannien überraschen wollen. "Als sie Kurdistan verließ, war sie sehr glücklich, sie konnte es kaum glauben, dass sie ihren Verlobten treffen würde", erzählte ihre beste Freundin, Imann Hassan. "Sie wollte ein besseres Leben leben, sie hat Großbritannien gewählt, aber sie ist gestorben."

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