Kommentar:Ein kluger Plan

Roland Preuß, quer

Illustration: Bernd Schifferdecker

Warum das Bürgergeld der Ampel-Koalitionäre das alte Hartz-IV-Regime in wichtigen Punkten zum Guten verändert.

Von Roland Preuß

Es ist schon richtig: Das geplante Bürgergeld der Ampel-Koalitionäre markiert keinen grundstürzenden Neuanfang, es stecken immer noch Elemente von Hartz IV darin. Das zieht ätzende Kritik auf sich, einzelne Sozialorganisationen wie der Paritätische Gesamtverband verurteilen das Bürgergeld deshalb als das alte Regelwerk in neuer Verkleidung. Für sie ist das verhasste Hartz-System erst "überwunden", wenn die Hilfen viel höher sind und die Sanktionen gegen Bezieher abgeschafft. Gut, dass SPD, Grüne und FDP diesen Stimmen nicht nachgegeben haben, obwohl die Arbeitsmarktreform als Trauma der Sozialdemokraten gilt. Sie würden damit auch das abräumen, was trotz aller Mängel gut funktioniert im bestehenden System der Grundsicherung.

Das heißt nicht, dass das Bürgergeld nun alle großen Probleme der Arbeitssuchenden angeht. So fehlt im Koalitionsvertrag ein Bekenntnis dazu, den Beziehern schnell einen Ausgleich dafür zu zahlen, dass ihre staatliche Hilfe immer weniger wert ist. Auf mehr als fünf Prozent ist die Preissteigerung im November geklettert, die Bezieher von Grundsicherung aber erhalten vom 1. Januar kommenden Jahres an gerade einmal 0,8 Prozent mehr Geld. Das ist zu wenig.

Insgesamt aber setzt die Ampel die richtigen Schwerpunkte. Sie will künftig viel stärker auf Aus- und Fortbildung der Arbeitslosen achten als auf die möglichst schnelle Vermittlung in Jobs - selbst wenn diese nur miese Bezahlung und keine Perspektive bieten. Dass dieser sogenannte Vermittlungsvorrang fällt, bedeutet einen positiven Wandel. Die bisherige Praxis führte allzu oft dazu, dass die Jobcenter-Kunden für einige Monate auf einer Niedriglohn-Stelle landeten, um diese bald darauf wieder zu verlieren. Daraus kann schnell ein Pingpong zwischen Jobcenter und Bullshit-Job werden.

Künftig dagegen erhöhen sich die Chancen für Arbeitslose, erst eine Aus- oder Fortbildung zu bekommen, bevor sie erneut auf dem Arbeitsmarkt antreten. Mit einer fertigen Ausbildung in der Tasche werden sie viel häufiger bessere, sozialversicherte Jobs finden als ohne. Dieser Schritt ist geboten in einer Zeit, in der die Anforderungen an die Beschäftigten, nicht zuletzt die des digitalen Wissens, immer weiter steigen - und Helfer-Jobs durch eben diese digitalen Möglichkeiten überflüssig werden. In so einer Aus- oder Fortbildung will die Ampel den Teilnehmern über die Grundsicherung hinaus einen Bonus zahlen. Dort ist das Geld sicher besser investiert als in eine flächendeckende Anhebung der monatlichen Grundsicherung.

Auch die Regeln, die bestimmen, was man in der Grundsicherung hinzuverdienen darf, knüpft sich das angehende Regierungsbündnis vor. Allzu oft wird bisher bestraft, wer wenigstens in Teilzeit arbeitet, der Löwenanteil wird dann bei der Grundsicherung wieder weggestrichen. Das führt etwa dazu, dass der Familie ein Teil der Unterstützung abgezogen wird, wenn die Tochter in einem Schülerjob etwas dazuverdient. Wer schon junge Leute von der Arbeitswelt fernhalten will, könnte es kaum besser anstellen. Künftig sollen die Bürgergeld-Bezieher mehr behalten dürfen.

SPD, Grüne und FDP rütteln am Grundsatz "Fördern und Fordern"

Recht nebulös bleibt die Ampel-Allianz allerdings beim Reizthema Sanktionen gegen Bürgergeld-Bezieher. Einerseits halten sie an "Mitwirkungspflichten" fest, andererseits sollen künftig Versäumnisse und Verweigerung viel weniger bestraft werden, im ersten Regierungsjahr womöglich gar nicht mehr. Damit aber rütteln SPD, Grüne und FDP am Grundsatz "Fördern und Fordern", der - bei allen übertriebenen Schärfen, die es gab - dazu beigetragen hat, die Zahl der Arbeitslosen seit dem Start der Agenda 2010 stark zu verringern.

Die Sanktionen der Jobcenter treffen schon jetzt nur einen kleinen Teil der Bezieher, im vergangenen Jahr waren es gerade einmal 3,3 Prozent. Sie sind aber als letztes Mittel für die Jobcenter unverzichtbar, um vereinbarte Termine, Kurse oder Bewerbungen auch einzufordern. All diese Instrumente und das Bürgergeld selbst werden auch durch die Steuern von Bürgern bezahlt, die hart arbeiten - und oft auch nicht viel mehr verdienen als die Grundsicherung. Diese Hilfe zu vergeben, ohne eine Mitwirkung zu verlangen, würde neue Ungerechtigkeiten schaffen.

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