Gehört, Gelesen, Zitiert:Wilder Befehl

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Erich Kleiber war von 1923 bis 1934 Generalmusikdirektor der Berliner Staatsoper. (Foto: Scherl/Süddeutsche Zeitung Photo)

1955 kündigte der Generalmusikdirektor der Berliner Staatsoper unter den Linden - weil die DDR-Führung eine Inschrift auf dem wiederaufgebauten Haus entfernen ließ.

Der Generalmusikdirektor der damals Ostberliner Staatsoper unter den Linden, Dirigent Erich Kleiber, Vater des später noch berühmteren Carlos, schickte dem Intendanten Max Burghardt am 16. März 1955 seine Kündigung. Grund: Man hatte die historische Inschrift im Giebel des Opernhauses abgenommen. Erich Kleiber war bereits von 1923 bis 1935 GMD der Staatsoper, bevor er aus Protest gegen das Hitler-Regime emigrierte. Nun erschien ihm auch die DDR-Führung ähnlich diktatorisch.

"Das plötzliche Herabreissen der Inschrift 'FRIDERICUS REX APOLLINI ET MUSIS" von der Linden-Oper empfinde ich als Schändung des eben erst wiederaufgebauten historischen Monuments. Rätselhaft ist mir, dass man die zweihundert Jahre alte (und seit Monaten in neuer Vergoldung weithin leuchtende) Inschrift nicht schon vor Jahren zum Verschwinden verurteilt hat, als man damals meine Bedingung annahm: das Haus müsse genau so wiederaufgebaut werden wie es 1743 der 'Alte Fritz' durch seinen Baumeister Knobelsdorff dem deutschen Volke geschenkt hat.

Für mich ist dieser Vorfall - nebst anderen Ihnen bekannten Vorkommnissen der letzten Zeit - ein trauriges aber sicheres Symptom, dass - wie im Jahre 1934 - Politik und Propaganda vor der Türe dieses Tempels nicht Halt machen werden. Früher oder später müsste ich dann doch nochmal Abschied nehmen von dem Hause, nach dem ich mich 20 Jahre lang gesehnt habe.

Dieselbe oder eine andere "Stelle", die den wilden Befehl gab, die Inschrift "binnen zwei Stunden" zu entfernen, wird sich nicht abhalten lassen, in meinen Wirkungskreis einzudringen, und mit Anweisungen oder Richtlinien meine bisher völlig unbeeinflusste Kunstübung zu stören.

Mein Entschluss, die Bindung mit der Staatsoper aufzugeben, steht fest. Ich habe ihn schweren Herzens gefasst! (...)"

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