Weihnachtsplatte der EAV:"Oh du Gröhlige"

Weihnachtsplatte der EAV: Die Welt mit Witz entlarven: Manfred Spitzers Karikaturen bevölkern das 40-seitige Buch zur Doppel-CD.

Die Welt mit Witz entlarven: Manfred Spitzers Karikaturen bevölkern das 40-seitige Buch zur Doppel-CD.

(Foto: Thomas Spitzer)

1979 holte die Erste Allgemeine Verunsicherung in einer Weihnachts-Revue den Knüppel aus dem Sack. 42 Jahre später hat Band-Gründer Thomas Spitzer mit Hilfe vieler Austropop-Stars endlich eine Platte draus gemacht.

Von Michael Zirnstein, München

Geht eine Ära zu Ende, kommen die Erinnerungen. Als Thomas Spitzer neulich in München vorbeischaute, um ein brandneues und doch uraltes Weihnachtsalbum seiner Ersten Allgemeinen Verunsicherung vorzustellen, dachte er freilich auch an den Tollwood-Auftritt 2019 auf seiner allerletzten Tournee mit der Gauditruppe zurück. Schön war's noch einmal, aber er habe auch etwas weinen müssen. Weiter fiel ihm der Hage Hein ein, der hier immer noch seinen Verlag und seine Agentur hat; wie der damals kam, als sie noch keine erfolgreiche Platte hatten, und wie er so eine Art erster Manager der EAV wurde und dies 20 Jahre lang blieb, "mei, der ist mit uns reich geworden". Reich war ein anderer "altgedienter Kollege" damals schon, als Spitzer mit der EAV hier die ersten Konzerte hatte und eben noch kein Geld. Aber der Barney von der Spider Murphy Gang sei nach einem Konzert im Marienkäfer zu ihm gekommen, er habe ihm München bei Nacht gezeigt, und wo sie - beide "Freunde des Sonnenaufgangs" - um 5 Uhr die besten Semmeln bekommen, er habe ihn ausgehalten und getröstet: "Aus Euch wird auch noch einmal irgendwas." Dafür sei er ihm ewig dankbar, sagt Spitzer.

Freunde hatte die EAV anfangs mehr in Hamburg und Berlin als im braven München

Das kreuzbrave München war ja zu aller Ersten Allgemeinen Verunsicherung Anfang, also Ende der Siebziger, nicht unbedingt überbevölkert mit Freunden. Die hatten die "Bösterreicher" eher in der Sponti-Szenen Hamburgs und Berlins, wo es aufgrund einiger Künstler-Exilanten damals schon schick war, Wienerisch zu reden und zu tun. Während man also in Bayern die grausligen Plakate der Weihnachtsshow "Ihr Kinderlein kommet" mit dem schwedischen Pianisten Nino Holm verkleidet als Exhibitionisten-Nikolo mit irrem Blick und Schamhaar-Ansatz ab-, beziehungsweise gar nicht erst aufhängte, holte die "Chaos-Truppe" vor Zuhältern in Hamburg und vor Punks in Berlin in ausverkauften Häusern wie Pö oder Logo längst den Kabarett-Knüppel aus dem Sack. Immerhin bekamen die "satirische Mahner" eine wohlwollende Kritik in den Nürnberger Nachrichten für ihr "böses Weihnachtsprogramm" im Frankenkaff Weißenohe, wo sie mit ihren Nummern über Konsumterror ("There's no business like christmas") oder mit einem anarchistischen Krippenspiel mit Schiffkowitz (von STS) als Maria Heilig ("Schaut, meine unbefleckte Unschuld!") den "Stein des Denkens ins Rollen" gebracht hätten.

Thomas Spitzer

Nicht losgelassen hat Thomas Spitzer die Erinnerung an die unselige, unheilige und trashigste aller ihrer Shows, die er immer schon auf Platte hatte bringen wollen.

(Foto: Dominik Beckmann)

Und er rollte und rollte und rollte auch weiter, als sie die EAV altersmüde und -weise zu Grabe getragen hatten, in welchem Spitzer restaktiv rotierte. Nicht losgelassen von der Erinnerung an eben diese unselige, unheilige, trashigste aller ihrer Shows, die er immer schon auf Platte hatte bringen wollen, wo ihm aber zunächst etliche Kassenfüller-Alben im Wege standen und dann Klaus Eberhartinger. Das Gesicht und die Stimme der EAV war nämlich 1979 bei "Das Weihnachtsdebakel" noch gar nicht dabei gewesen, weil damals Gert Steinbäcker von STS sang und Show machte, weswegen Eberhartinger weder Bezug zu den noch Lust auf diese Nummer hatte. So erklärt es Spitzer, der 2010 schon einen Anlauf genommen und einige Demoversionen eingespielt hatte, mit genau nur einer Niko-Klaus-Nummer. Der kam ins Studio, las den Text zu "Klinik unter Psalmen" schnell einmal pastoral vor und sagte: "Auf Wiederschauen!" Was Spitzer nur Recht war, weil "bei jeder Wiederholung wird er normalerweise schlechter", und so hat es der Sänger zumindest mit einem Stück auf "Ihr Sünderlein kommet" geschafft. Denn das Programm ist nun - "alle 42 Jahre wieder" - endlich tatsächlich der Austro-Pop-Welt erschienen.

Spitzer gilt bei diesem EAV-Revival als letztes und alleiniges Ur-Mitglied - irgendwie traurig, andererseits auch besonders lustig

Von einer kollektiven Wiederauferstehung zu Christi Geburt kann aber keine Rede sein. Spitzer gilt nun bei diesem EAV-Revival als letztes und alleiniges Ur-Mitglied. Das ist irgendwie traurig, andererseits auch besonders lustig, weil es hier im Stück "Einer muss der Krampus sein" der neue Austro-Comedy-Star Klaus Pizzera ebenso wie der alte Klaus Eberhartinger zu klingen schafft. Andere klingen ganz anders, was das Revue-hafte untermalt. Wie Spitzer, der wieder wie Tom Waits brummelt, etwa im Stehblues mit dem Tod, "Vereinsamt", frei nach seinem Textdichtervorbild Friedrich Nietzsche - und man kann sich dabei vorstellen, dass der vier Jahre alte Bernd Seiler ("Ham kummst") sich als Pimpf in die Hosen gemacht hat bei seinem ersten EAV-Konzert angesichts des als Totengräber verkleideten Band-Bosses. Natürlich sagte Seiler (ohne Speer) seinem Vorbild eifrig zu, "Am Christkindlmarkt" zu singen. Ebenso machte es die ganze andere angefragte Austro-Pop-Jugend zwischen 20 und 50, alle stark von der EAV geprägt, wie der Punker und "Bierpartei"-Abgeordnete Marco Pogo von Turbobier. Sie interpretieren nun sehr glaubwürdig und auf ihre Weise geniale Schüttelreime, die sich sehr nach EAV anhören, so Lemo in einem Wiener-Grant-Bluesrock im STS-Folk-Gewand: "I scheiß auf Weihnachtsglocken / zum Feiern gibt's kaan Grund / I wünsch der ganzen Welt die Pocken / und an Bandlwurm für jeden Hund."

Weihnachtsplatte der EAV: Herrlich überzeichnet: In seinen Karikaturen zeigt Manfred Spitzer, dass er unter anderem auch Kunstakademieabsolvent ist.

Herrlich überzeichnet: In seinen Karikaturen zeigt Manfred Spitzer, dass er unter anderem auch Kunstakademieabsolvent ist.

(Foto: Thomas Spitzer)

Das war ihm "das größte Pandemiegeschenk", dass die jungen Nachfolger zwei Wochen lang nach Graz in die Underground Studios kamen und mit ihm die EAV aufleben ließen, sagt Spitzer. Die hätten noch ein Feuer, hätten "nicht wegen der Kohle, sondern aus Freude" mitgemacht, die seien nicht so müde und eitel wie die Alten. Wobei von denen doch einige mitmischen. Der Ostbahn Kurti will in "Christkind verführen" einer drallen Blondine an die Wäsche, oder Steinbäcker, der als eiliger König auf dem Buckel eines "wie Leberkaas" schwitzenden Kamels durch die Wüste irrt ("Roll Over Bethlehem") oder EAV-Ur-Musiker Eik Breit, der "Der geile Weihnachtsmann", die allererste EAV-Single von 1979, textlich aktualisiert anstimmt: "Das Leben ist ein Dauerporno, es packt von hint' dich und von vorno / ... / Im Online-Shop von Amazon, bestellt sich mancher Pemperklon / gar mannigfaltig Lustgerät / Damit der Baum zur Weihnacht steht." Das freilich ist so versaut, wie eben die Welt auch heute noch ist. Umweltschmutz, Kriege, Kirchenskandale, es ist ja nicht besser geworden seit 42 Jahren, auch der Heilige Abend selber nicht, wie man in "Oh du Gröhlige" hört: "Oh du mehlige, madenbringende Spei-Nacht-Zeit."

Weihnachtsplatte der EAV: Umweltschmutz, Kriege, Kirchenskandale - es ist ja nicht besser geworden seit 42 Jahren, auch der Heilige Abend selber nicht.

Umweltschmutz, Kriege, Kirchenskandale - es ist ja nicht besser geworden seit 42 Jahren, auch der Heilige Abend selber nicht.

(Foto: Thomas Spitzer)

Ja, wer ist denn nun noch da in den Hitparaden, die Welt mit Witz zu entlarven , so wie Spitzer, der als Kunstakademieabsolvent alles herrlich überzeichnet. In Texten wie in Karikaturen, die das 40-seitige Buch zur Doppel-CD bevölkern, ebenso wie Anekdoten zur Tour von 1979: "... nachts texten und komponieren, tagsüber proben, Bier trinken, schneidern, basteln, Bier trinken, Bühnenkonstruktionen schreinern, pinseln, Bier trinken ... erfahren, dass drei Frauen gleichzeitig von mir schwanger sind ..." Die werden wohl Erinnerung bleiben, so wie seine Skizzen zu einer neuen Revue wohl nie verwirklicht werden, weil er die Leute einfach nicht zusammenbekomme, sagt Spitzer. Aber wer weiß, es lässt ihn nicht ruhen "Wir haben Narrenfreiheit, und die bewahre ich mir, solange ich die Menschheit noch quälen darf."

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