Stuffhof-Prozess:"Vielleicht schläft sie so schlecht wie ich"

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Die Angeklagte Irmgard F. (Mitte) im Gerichtssaal in Itzehoe. Im Vordergrund links der Zeuge Josef Salomonovic. (Foto: Marcus Brandt/dpa)

Der KZ-Überlebende Josef Salomonovic sagt gegen die 96-jährige Irmgard F. aus, die damalige Sekretärin des Lagerkommandanten. Ihr wird Beihilfe zum Mord in mehr als 11 000 Fällen vorgeworfen.

Von Peter Burghardt, Itzehoe

Er hat ein Foto seines Vaters dabei, Josef Salomonovic hält es auch in Richtung der Angeklagten. Das Bild zeigt Erich Salomonovic, geboren 1903, ermordet 1944 im KZ Stutthof bei Danzig. Irmgard F. war damals die Sekretärin des Lagerkommandanten, ihr wird Beihilfe zum Mord in mehr als 11 000 Fällen vorgeworfen. "Sie soll etwas Konkretes sehen", sagt Josef Salomonivic hinterher, nach seiner Zeugenaussage vor dem Landgericht Itzehoe. "Sie ist indirekt schuldig, auch wenn sie im Büro gesessen hat."

Irmgard F. tippte von 1943 bis 1945 für die Mörderbande, sie war erst 18 und dann 19 Jahre alt. Jetzt ist sie 96 und schweigt. "Vielleicht schläft sie so wie ich, schlecht", sagt Josef Salomonovic während seiner Vernehmung.

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Er spricht als erster Nebenkläger in diesem historischen Verfahren. 83 Jahre alt, angereist aus Wien, ein Mann mit grauem Scheitel und weinroter Krawatte, der Termin kostet Kraft. Damals war er ein Kind aus Mährisch-Ostrau im tschechischen Osten, Jahrgang 1938. Salomonovic schildert, wie die Familie über Prag und Wien ins Ghetto Lodz verschleppt wurde, nach Auschwitz, Stutthof und Dresden.

Sein Vater trat beim Appell an den Stutthofer KZ-Baracken nach vorne, als ein SS-Mann Aspirin und Vitamine anbot. "Tu's nicht, es ist eine Lüge", hätten ihn andere Gefangene gewarnt, erzählt der jüngere Sohn. "Ein deutscher Offizier lügt nicht", hätte sein Vater erwidert. Danach wurde er mit einer Spritze Phenol ins Herz getötet, der ältere Sohn Michael stand an der Tür der Todeskammer.

"Betreff: Jude."

Josef Salomononvic hat auch einen KZ-Schein mit den Daten seines Vaters mitgebracht, darauf als Todesdatum der 17. September 1944, ein Stempel, ein Kreuz, die Häftlingsnummer. "Betreff: Jude." Hatte womöglich sie gestempelt, die Angeklagte? Vieles musste sich Salomonovic selbst beschreiben lassen, von seiner Mutter, dem Bruder und bei späteren Besuchen an den Tatorten. Er war ja erst sechs. Aber an Details erinnert er sich. Manches vergisst man nie.

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Die Kälte, der Hunger. Die Sardinendose, die ihm andere Gefangene schenkten. Die Transporte im Viehwaggon mit Leichen. Die Schreie der Mütter, denen ihre Kinder weggenommen wurden. Die rasierten Köpfe. Der letzte Kuss des Vaters. Sein Löffel. In Auschwitz könne man 1,3 Millionen Löffel von Toten sehen, sagt Josef Salomonovic. "Ich kann Ihnen den Löffel eines Überlebenden zeigen."

Die Dresdner Bombennacht verhinderte während der Zwangsarbeit dort seine angeordnete Ermordung, er überlebte mit seinem Bruder und seiner Mutter auch den Todesmarsch. Lange hat Salomonovic überlegt, ob er vor ein deutsches Gericht treten soll. Er sei in Mails als hartherzig beschimpft worden, weil er gegen eine alte Frau aussage. Er rechnet nicht mit Reue von Irmgard F. Er tue das für seinen Vater, seine Mutter und seinen Bruder, sagt er. "Es ist eine moralische Pflicht." Die Frage einer Richterin nach seinem Umgang mit der Vergangenheit beantwortet er nicht, sie wühlt ihn zu sehr auf.

Seine Wiener Frau und sein Münchner Anwalt Christoph Rückel begleiten ihn. Ein Kapitel für die Geschichtsbücher, sagt Rückel. "Ich bin froh, dass ich es hinter mir habe", sagt Josef Salomonovic. "Angenehm ist es nicht."

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