USA und Russland:Vertrauen unter null

Putin Biden

Zum freundschaftlichen virtuellen Handschlag hat die Videokonferenz von Russlands Präsident Wladimir Putin (links) und US-Präsident Joe Biden offenbar noch nicht gereicht. Hier beide bei ihrem bisher einzigen Treffen im Juni in Genf.

(Foto: BRENDAN SMIALOWSKI/AFP)

Washington kündigt nach dem Gespräch der Präsidenten Biden und Putin eine harte Reaktion an für den Fall eines Einmarschs in die Ukraine. Moskau dagegen bleibt einsilbig.

Von Silke Bigalke, Moskau

Wenn sich zwei zum Videogespräch verabreden, passiert es oft, dass einer schon losredet, während der andere noch gar nichts hört. So ging es Wladimir Putin am Dienstagabend, als er Joe Biden begrüßte, während der im fernen Washington noch auf Knöpfchen drückte und nicht mal aufsah. Ungeduldig wippte der russische Präsident mit dem Fuß, dann hörte er die Stimme des Amerikaners: "Hallo, gut, Sie wiederzusehen." Putin ist es nicht gewohnt, auf andere zu warten.

Nur diese ersten 33 Sekunden des etwa zweistündigen Gesprächs hat die russische Nachrichtenagentur Ria Nowosti veröffentlicht. Vom Inhalt an sich drang wenig nach außen, der Kreml selbst blieb über Stunden stumm. Das Weiße Haus dagegen veröffentlichte eine knappe Erklärung, untermauerte seine Unterstützung für die Ukraine.

Bidens Ziel war es gewesen, Putin eine klare Botschaft zu senden: Sollte Moskau die Ukraine angreifen, würde das teuer für ihn, nicht nur wegen der zu erwartenden Wirtschaftssanktionen. Russland könnte womöglich aus dem internationalen Zahlungssystem Swift ausgeschlossen werden, selbst wenn dies auch den europäischen Partnern der USA wirtschaftlich schaden würde.

Teil der US-Drohkulisse ist auch das russische Pipelineprojekt Nord Stream 2. Hochrangige Diplomaten in Washington machen klar, dass ein Einmarsch in die Ukraine das Ende des Projekts bedeuten würde. Wie fest diese Zusage genommen wird, zeigte das US-Repräsentantenhaus in der Nacht, als es das lange umkämpfte Verteidigungsbudget in Höhe von 768 Milliarden Dollar freigab. Die Abgeordneten entfernten eine Klausel, die den Präsidenten zur Sanktionierung von Nord Stream 2 aufgefordert hatte. Offenbar vertrauen sie ihm auch so - und wollen endlich die Finanzierung des Militärs sicherstellen.

So unmissverständlich die amerikanische Botschaft ausfiel, so unentschlossen wirkte die Reaktion des Kreml, der erst nach Stunden eine längliche Erklärung veröffentlichte. "Im Allgemeinen", so stand darin, sei das Gespräch "offen und sachlich" gewesen. Ansonsten wiederholte der Text Putins Forderung der vergangenen Wochen: Eine schriftliche Garantie der Nato, die Ukraine aus dem Verteidigungsbündnis herauszuhalten und ihr keine Waffen mehr zu liefern. Biden hatte längst klargestellt, dass er darauf nicht eingehen würde.

Zweitens möchte Putin, dass die Ukraine das Minsker Abkommen umsetzt und den selbsternannten, prorussischen Volksrepubliken Donezk und Luhansk einen Sonderstatus garantiert. Nachdem die deutschen und französischen Vermittler aus Putins Sicht nicht genug Druck auf Kiew ausgeübt haben, soll dies nun Washington für ihn übernehmen. Dabei sorgt der Kreml derzeit selbst für ausreichend Druck, bringt weiterhin Soldaten und Panzer nahe der ukrainischen Grenze in Stellung. Vor dieser Drohkulisse hat Putin Biden zum Gespräch bewegt. Ob der Kremlchef nun mit dem Ergebnis zufrieden ist, darüber streiten die Experten.

Der Anruf sei "nützlich" gewesen, schreibt etwa Dmitrij Trenin, Direktor des Moskauer Carnegie-Zentrums, auf Twitter. Es sei wichtig, die "Sicherheitsbedenken" des Gegenübers anzuerkennen. Die Angst des Westens vor einem Krieg sei zwar nicht gebannt, so Trenin, aber Reden sei immer besser, als Kriege zu führen.

Sein Kollege Alexander Baunow wurde etwas konkreter: Biden könne keine Verantwortung dafür übernehmen, das Minsk-Abkommen durchzusetzen, "nur weil Putin enttäuscht von Selenskij und den Europäern ist", schrieb der Carnegie-Experte. Der US-Präsident bräuchte etwas im Tausch dafür, beispielsweise den diplomatischen Erfolg, einen Krieg verhindert zu haben. Die Kriegsgefahr selbst betrachtet Baunow als "genauso virtuell wie den heutigen Gipfel".

Andere Beobachter widersprechen: Die Lage "bis zu diesem Level" eskalieren zu lassen und dann mit leeren Händen zurückziehen, "wäre ein politischer Verlust", schreibt der amerikanische Militärexperte Michael Kofman, der seit Wochen vor der realen Möglichkeit eines Angriffs warnt.

Wie ernsthaft Putin diesen erwägt, das ist die entscheidende Frage. "Das gegenseitige Vertrauen ist unter null", schreibt der Moskauer Außenpolitikexperte Fjodor Lukjanow, der dem Kreml nahesteht. Putins außenpolitischer Berater Jurij Uschakow sagte am Mittwochmorgen, die Situation könne "weder uns noch die Amerikaner zufriedenstellen". Er wiederholte die Darstellung des Kreml, dass die russischen Truppen angeblich niemanden bedrohten. "Ich verstehe nicht ganz, wohin wir unsere eigenen Streitkräfte zurückziehen sollen? Sie befinden sich doch auf russischem Gebiet", so Uschakow. Russlands Beziehung zu den USA dagegen gäben Anlass zur Sorge. Beide Seiten hätten ihren Willen gezeigt, weiter daran zu arbeiten.

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