Kultur in Ebersberg:Kuscheln auf dem Kanapee - oder Kleinstkunst goes Netflix

Kultur in Ebersberg: Moderatorin Violetta Ditterich kämpft scheinbar mit den Tücken der Technik und den Unbotmäßigkeiten ihrer Mitstreiter - Alexander Liegl ist nur gewaltsam zu bändigen.

Moderatorin Violetta Ditterich kämpft scheinbar mit den Tücken der Technik und den Unbotmäßigkeiten ihrer Mitstreiter - Alexander Liegl ist nur gewaltsam zu bändigen.

(Foto: Christian Endt)

Das Alte Kino feiert mit einem Programm aus Live-Auftritten und Rückblicken den Start seiner Plattform Altes-Kino-TV. Dabei gibt es auch fürs Team eine Überraschung.

Von Alexandra Leuthner , Ebersberg

Um kurz nach acht ist die Eingangstür zum Alten Kino verwaist. Normalerweise stehen hier kleine Grüppchen von Besuchern herum, wenn die Crew um Markus Bachmeier geladen hat, alle in freudiger Erwartung, alte Bekannte begrüßend, das ein oder andere Zigarettchen zwischen den Lippen. An diesem Donnerstagabend nichts davon. Kulturliebhaber müssen wieder einmal auf ihren Live-Genuss verzichten, Corona sei Dank.

Die gute Nachricht: Es ist Kultur

Doch, halt. Diesmal ist alles anders. Kultur gibt es doch. Auf die Bühne, oben im ehemaligen Kinosaal, wird kaum eine Dreiviertelstunde später Martin Frank treten, niederbayerischer Kabarettist, der an dem Abend eigentlich vor größerem Publikum im Alten Speicher hätte auftreten sollen - und die Sache mit den Kulturschaffenden und ihrem Publikum folgendermaßen auf den Punkt bringen: "Freilich derft's spielen, aber kemma derf halt koaner." Den Satz legt Frank übrigens dem "großen Kulturliebhaber Markus Söder" in den Mund. Also ist jetzt Kultur oder nicht? Die gute Nachricht lautet: Ja, es ist.

Das Alte Kino geht in die Offensive an diesem Abend. In die Fernsehoffensive gewissermaßen. Was Netflix kann, können wir schon lange, hat man sich gedacht. Nämlich: Gute Unterhaltung nach Hause bringen, aufs Sofa, wo Chips bereit liegen und geistige Getränke ohne Rücksicht auf spätere motorisierte Heimfahrten genossen werden können. An diesem Abend fällt der hochoffizielle Startschuss für die Plattform Altes-Kino-TV. Live oder "on demand" lassen sich dort bereits Konzerte, Kabarett, Theater, Shows, Clubabende und Lesungen schauen, auch die erste Staffel von "Die Heizer", der im Haus produzierten Mini-Serie.

Den großen Applaus können die Anwesenden nicht ersetzen

Nicht, dass Theater künftig nicht mehr im Theater und nur noch für den Stream stattfinden soll, vor allem wolle man denen den Wind aus den Segeln nehmen, die unkten, "wir würden für die Digitalstrategie zu wenig empfänglich sein", rezitiert Vorstand und Kleinkünstler Alexander Liegl später auf der Bühne. Aber sowohl ihm als auch den beiden Musikern Ami Warning und Matthew Austin ist es lieber, in die erwartungsfrohen Augen eines versammelten Publikums zu schauen, als auf das rote Licht einer Kamera. Den ganz großen Applaus, den Künstler lieben, können auch die wenigen nicht ersetzen, die im Raum sind, auch wenn die sich alle Mühe geben. Doch für jene, die den entspannten Tönen des Gitarristen und der jungen Singer-Songwriterin lauschen, die 2019 bereits ihr drittes Album herausgebracht hat, macht es wohl keinen Unterschied. Fürs Kuscheln auf dem Kanapee ist diese Musik genau das Richtige.

Kultur in Ebersberg: Der Kabarettist Martin Frank ist Stargast im Alten Kino.

Der Kabarettist Martin Frank ist Stargast im Alten Kino.

(Foto: Christian Endt)

Was allerdings hier im Raum zwischen Bühne und Bar passiert, hat mit der konzentrierten Atmosphäre einer Fernsehaufnahme mehr zu tun, als mit einem entspannten Kleinkunstabend. Vielleicht liegt das auch daran, dass sich die Spannung vor dem Auftritt normalerweise hinter dem geschlossenen Bühnenvorhang aufbaut und nicht davor im Parkett. Wo sich diesmal dafür die geballte Kreativität der Theaterschaffenden entlädt und alle Anwesenden mit einbezieht - die fast ausnahmslos damit beschäftigt sind, die Aufnahme in den Kasten zu bringen. Der Aufwand, ein Theaterprogramm zu streamen ist gigantisch - und umso ärgerlicher für die Verantwortlichen, wenn gerade das, der Stream nach draußen, nicht richtig funktioniert.

Kultur in Ebersberg: Geschäftsführer Markus Bachmeier schaut immer wieder besorgt auf die Anzeige in seinem Laptop.

Geschäftsführer Markus Bachmeier schaut immer wieder besorgt auf die Anzeige in seinem Laptop.

(Foto: Christian Endt)

Ausgerechnet um halb neun an diesem Donnerstagabend - mehrmals war zuvor runtergezählt worden, noch zehn Minuten, noch fünf Minuten, noch zwei, alles war bereit, das Mischpult mit vier Mann besetzt, vier Kameras standen im Raum verteilt, drei davon stationär, eine beweglich, Violetta Ditterich, bewährte Online-Kommunikatorin am Moderationstischchen positioniert, der ganze Raum umdekoriert zur Bühne - ausgerechnet da entfährt Geschäftsführer Markus Bachmeier ein Fluch. Eine halbe Stunde zuvor noch hatte alles funktioniert, "aber jetzt gehen alle drauf" - und nix geht mehr. "Nur, die schon drauf sind, sind drin", schimpft der Chef.

Das Alte Kino schafft es, ohne ministerliches Mitwirken an den Start zu gehen

Den Startschuss gibt er dennoch, immerhin 40, 50 Zuschauer warten schließlich darauf, dass es losgeht - und das tut es dann auch: Mit einer Moderatorin in live, einem Hannes Ringlstetter vom Band, einem aufgeräumten Alexander Liegl, über den Siegeszug des Fernsehens und der Digitalisierung philosophierend und einen Staatsminister ankündigend, der nicht kommt, und einem sehr konfusen Programmleiter Sebastian Winkler. Liegl endet gefesselt auf einem Sessel, der Programmleiter nach vergeblichen Avancen an die Moderatorin auf dem Boden, und der Startschuss für die Fernsehplattform fällt gleich mehrmals zu früh, aber nicht, als er schließlich fallen soll. Aber egal, den Staatsminister Siebler, angeblich hinter der Bühne auf seinen Auftritt wartend, "hätte eh keiner erkannt", und das Alte Kino schafft es auch ohne ministerliches Mitwirken, an den Start zu gehen.

Kultur in Ebersberg: Sängerin Ami Warning und Gitarrist Matthew Austin sorgen für Livemusik im Streamingprogramm des Alten Kinos.

Sängerin Ami Warning und Gitarrist Matthew Austin sorgen für Livemusik im Streamingprogramm des Alten Kinos.

(Foto: Christian Endt)

Dazwischen gibt es ein Rate-Quiz im parallel geschalteten Online-Chat, vorbereitete Einspieler von Konzerten und Kabarettabenden, außerdem Interviews mit Bühnenschaffenden, die schon im Alten Kino aufgetreten sind. Alles höchst vergnüglich - und gegen Ende schaffen es dann doch noch einige Fans mehr in den Stream, die sich immerhin damit trösten dürfen, dass die Show am folgenden Abend gleich noch mal ausgestrahlt werden soll. Das nächste Kino-Live-Event gibt es am Donnerstag, 30. Dezember mit der Gankino Circus Show - und einem dann hoffentlich funktionierenden Hoster.

Zur SZ-Startseite

Lesen Sie mehr zum Thema

Jetzt entdecken

Gutscheine: