Wahlen in Chile:Präsident mit 35

Chileans Choose Between Right and Left In Tight Presidential Run-off

Der gewählte chilenische Präsident Gabriel Boric nach seinem Wahlsieg.

(Foto: Getty Images)

Der Linke Gabriel Boric gewinnt die Wahlen in Chile - eine Zeitenwende. Zudem ist es das harmonische Ende eines polarisierenden Wahlkampfs. Der unterlegene rechte Kandidat ist einer der ersten, der gratuliert.

Von Christoph Gurk, Buenos Aires

Als am frühen Sonntagabend in Chile das Ergebnis der Präsidentenwahl verkündet wurde, war da zwischen Freude bei den einen und Enttäuschung bei den anderen auch ein weiteres Gefühl: Erleichterung.

Mit rund 56 Prozent der Stimmen hat der Kandidat der Linken klar gewonnen: Gabriel Boric wird der jüngste Präsident, den das Land je hatte. Gerade einmal 35 Jahre alt ist er, bärtig, tätowiert - und eine Ikone jener jungen Chilenen, die seit Jahren immer wieder in großen Massenprotesten auf die Straße gegangen sind, um für ein gerechteres Land zu kämpfen. Nun hat es ihre Bewegung tatsächlich bis in die Moneda geschafft, den Präsidentenpalast also. Es ist eine Zeitenwende. Zehntausende feierten auf den Straßen von Santiago de Chile. Hupkonzerte, Trommeln, Feuerwerk.

Bei den Anhängern von José Antonio Kast war die Enttäuschung dagegen umso größer. Noch in der ersten Wahlrunde lag der streng katholische und erzkonservative Politiker knapp vor dem ehemaligen Studentenführer Boric. Und auch danach hatte es zeitweise so ausgesehen, als ob Kast es mit einem offen fremdenfeindlichen und explizit rückwärtsgewandten Programm schaffen würde, die Wahl für sich zu entscheiden.

Vor der Stichwahl hatten beide Kandidaten ihren Ton dann gemäßigt, um so Wähler aus der Mitte für sich zu gewinnen. Viele Chilenen sahen sich aber dennoch einer Wahl ausgesetzt, die ihrem Gefühl und auch dem Tenor in den Medien nach eine Entscheidung zwischen zwei diametral entgegengesetzten Polen war: Auf der einen Seite der rechte Kast und seine Vision von einem Chile, in dem der Staat zwar die essentiellsten Grundbedürfnisse befriedigt, mehr aber auch nicht. Kast ist gegen Abtreibung und für den Bau einer Grenzbefestigung, um den Zuzug von Einwanderern zu verhindern.

Boric kämpft für soziale Gerechtigkeit

Auf der anderen Seite steht Boric, der für soziale Gerechtigkeit und Gleichberechtigung kämpft und dazu im Wahlkampf versprach, Schluss zu machen mit dem neoliberalen Wirtschaftsmodell, das Chile in den vergangenen Jahrzehnten zwar viel Wohlstand beschert hat, aber auch noch aus der Zeit der einstigen Diktatur stammt und es dazu auch nie schaffte, die extreme Ungleichheit im Land zu beseitigen.

Die bisherigen chilenischen Volksparteien spielten im Wahlkampf bald schon keine Rolle mehr. Je klarer wurde, dass es am Ende auf ein Rennen zwischen Kast und Boric hinauslaufen würde, desto angespannter wurde die Situation. Wenige Tage vor dem Urnengang starb dann auch noch Lucía Hiriart, die Witwe des langjährigen chilenischen Diktators Augusto Pinochet, die viele mitverantwortlich machen für dessen Menschenrechtsverletzungen.

La Vieja, die Alte, wurde Hiriart von ihren Gegnern genannt. Demonstranten feierten ihren Tod auf der Plaza Dignidad, jenem Platz im Herzen von Chiles Hauptstadt, der in den vergangenen Jahren zu einem Epizentrum der sozialen Proteste wurde. Gleichzeitig fragten sich viele, ob Kast zur Beerdigung der Diktatoren-Gattin gehen würde: Er selbst hatte einmal gesagt, dass Pinochet ihm seine Stimme geben würde, wäre er noch am Leben.

Am Sonntag war die Wahlbeteiligung mit rund 55 Prozent vergleichsweise hoch für Chile. Kurz sah es aber auch so aus, als ob die Stimmung kippen würde. Es gab große Probleme im öffentlichen Nahverkehr. Die amtierende konservative Regierung wolle Wähler aus ärmeren Vierteln daran hindern, zu den Wahllokalen zu kommen, weil diese mehrheitlich für Boric stimmen würden, hieß es. "Skandalös", schrieb die linke Abgeordnete Camila Vallejo auf Twitter und postete Videos und Bilder von Parkplätzen voll mit nicht funktionierenden Bussen.

Mit gut elf Prozentpunkten war der Abstand größer als gedacht

Im Netz machten viele ihrem Ärger Luft und Aufregung machte sich breit. Doch kaum waren die Wahllokale um 18 Uhr Ortszeit geschlossen, ging alles ganz schnell: Ein Großteil der Stimmen war schon wenig später ausgezählt und der Abstand zwischen den beiden Kandidaten mit rund elf Prozentpunkten am Ende weit größer als gedacht.

Kurz nach 19 Uhr Ortszeit twitterte der rechte Kandidat José Antonio Kast dann ein Bild von sich, das ihn am Telefon zeigte. Er habe gerade mit Boric gesprochen und ihm zu seinem Sieg gratuliert. "Von heute an ist er gewählter Präsident von Chile und verdient all unseren Respekt und konstruktive Zusammenarbeit", schrieb Kast. Später kam es sogar zu einem Treffen. Und auch der amtierende Präsident, Sebastián Piñera, sicherte Boric umgehend seine Unterstützung zu.

Und so kam es weder zu Unruhen, noch Chaos oder gar Krawall nach der Wahl. Eine Erleichterung für viele. Am späten Abend trat Boric dann vor jubelnden Anhängern auf. "Guten Abend, Chile!", rief er in die Menge, gefolgt von einigen Sätzen auf Mapudungun, der Sprache der Mapuche, der größten indigenen Gemeinschaft des Landes. "Ich werde der Präsident von allen Chilenen sein", erklärte Boric und versprach vor allem auch den Frauen größere Teilhabe an seiner Regierung.

"Die Zeiten, die auf uns zukommen, werden nicht einfach sein", sagte Boric in seiner ersten Rede als gewählter Präsident. Tatsächlich hat die Pandemie das Land hart getroffen und die Wirtschaft schwächelt. Dazu ist Chile durch monatelange Massenproteste und den darauffolgenden Wahlkampf politisch tief gespalten. Gleichzeitig arbeite eine speziell gewählte Versammlung an einer neuen Verfassung. Obendrein besteht in Teilen Lateinamerikas die Hoffnung, dass mit Boric die Linke in der Region wieder an Auftrieb gewinnen könnte.

Der frisch gewählte Präsident versprach am Sonntag, sein Bestes zu geben, um das Vertrauen der Wähler in ihn zu ehren. "Wir werden in kleinen, aber entschiedenen Schritten vorangehen", sagte er. Am 11. März wird Boric sein Amt als Präsident von Chile antreten.

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