John von Düffels Roman "Die Wütenden und die Schuldigen":Nach dem Tod kommt bloß die Realität

John von Düffels Roman "Die Wütenden und die Schuldigen": John von Düffels Routiniertheit beim Schreiben hält alle Figuren in gewissermaßen neutraler Distanz.

John von Düffels Routiniertheit beim Schreiben hält alle Figuren in gewissermaßen neutraler Distanz.

(Foto: Fabian Sommer/dpa)

John von Düffel zieht es in seinem Lockdown-Roman "Die Wütenden und die Schuldigen" zurück zu den ganz großen Fragen des Lebens.

Von Harald Eggebrecht

Lockdown, was für ein ungutes Wort und was für eine unliebsame, alles prägende reale Erfahrung, die gleichzeitig um die Einsicht in die Notwendigkeit weiß, so freudlos sie auch ist. Zahllose Reportagen und Berichte aus allen gesellschaftlichen Schichten haben von den fatalen Auswirkungen berichtet. Ein Roman könnte das vielleicht noch dichter, eindringlicher und beispielhafter erzählen. In John von Düffels neuem Buch "Die Wütenden und die Schuldigen" wird das probiert.

Ein Personenreigen wird hier vorgestellt, in dem es sich für jede und jeden dramatisch zuspitzt und das vor dem Hintergrund des Lockdowns im Frühjahr 2020: Richard, einst Pfarrer, ist der Vater, der schwer krebskrank noch mit seinem Sohn Holger, der nach einem Suizidversuch in einer Klinik liegt, ins Reine kommen will; Holgers Tochter heißt Selma, die trotz aller Selbstverteidigungskenntnisse in die Falle eines scheinbar netten Vergewaltigers, des "Schneidezahnlosen", tappt und ihm die Zungenspitze abbeißt; Holgers Sohn Jakob ist unglücklich in seine Kunstprofessorin Milena verliebt, die sein Ungeschick lasziv nutzt, und war einst mit Ilvy liiert, die jetzt mit Henk, dem Drogendealer, zusammen ist; Maria, die Mutter von Jakob und Selma, arbeitet in der Charité als Anästhesistin, sitzt in der Isolation und kommt mit dem über ihr wohnenden Rabbi ins tiefenpsychologische Gespräch.

Wie kann ich meine Schuld so bereuen, dass es der von ihr Betroffene möglichst positiv mitbekommt?

John von Düffel erzählt diese Geschichten, Vor- und Verstellungen seiner Protagonisten befremdend mühelos in einer gelenkigen Beiläufigkeit, die kaltlässt und leider kaum in die Tiefe dieser Familiendramen zieht. Nun könnte Kälte wiederum durchaus ein angemessenes Mittel sein, um die Personen gleichsam sezierend in ihren Wünschen und in ihren seelischen Mängeln, ihren Lebensentwürfen und ihrem jeweiligen Scheitern zu beschreiben. Doch bei Düffel kann von einer Routiniertheit des Schreibens gesprochen werden, die alle in gleicher gewissermaßen neutraler Distanz hält.

So stehen die Figuren unerreichbar nebeneinander wie Versuchskaninchen, und beim Lesen will sich nicht jene gesteigerte Teilnahme am Schicksal der Personen und deren möglichen Entwicklungen einstellen, die Papierentwürfen zum literarischen Leben verhelfen kann. Stattdessen liest es sich nur brav von Figur zu Figur in ihrer jeweiligen Situation. Natürlich weiß John von Düffel, die jeweilige Problemlage eng zu führen, einem wie immer gearteten Höhe- oder Tiefpunkt entgegen, aber man mag es kaum als Steigerung wohin auch immer empfinden.

John von Düffels Roman "Die Wütenden und die Schuldigen": John von Düffel: Die Wütenden und die Schuldigen. Roman. Dumont Verlag, Köln 2021. 320 Seiten, 22 Euro.

John von Düffel: Die Wütenden und die Schuldigen. Roman. Dumont Verlag, Köln 2021. 320 Seiten, 22 Euro.

Auch der Lockdown, vor dem doch diese Familie inszeniert wird, wirkt eher wie eine behauptete Vorgabe als jenes in der Erfahrungswelt des Landes bis dahin einmalige Ereignis, das alle Bürger im Laufe der Jahre 2020/21 gleich mehrfach erleben mussten, ob gewollt oder nicht. Hier gehört es eher als Detail zur Versuchsanordnung, die von Düffel durchaus wortreich zu beschreiben vermag.

Der Roman ist dabei in drei Teile geordnet, nach dem Prinzip vom äußerlichen Erlebnis zu den großen Fragen: Woher kommen wir, wohin gehen wir, wie kann ich meine Schuld so bereuen, dass es der von ihr Betroffene möglichst positiv mitbekommt? Aus dem Zusammentreffen mit dem Rabbi wird für Maria ein Selbsterforschungsgespräch, aus dem sie - wenigstens glaubt sie das - klarsichtiger und sich und ihre Familie besser verstehend hervorgeht. Doch Kathi, die Freundin der Familie, weist Maria darauf hin, dass ihre Tochter Selma immer zu wenig beachtet wurde, Jakob stets bevorzugt die Aufmerksamkeit bekommen hat. Ob bei solchen innerfamiliären Gemengelagen nun Lockdown herrscht oder nicht, spielt allerdings kaum eine Rolle.

John von Düffel spricht davon, dass es Zeit sei, "zu den großen Fragen zurückzukehren". Und manchmal gelingen ihm in dieser Richtung ganz hübsche Bonmots. "Nach dem Tod, hatte der Rabbi einmal zu ihr gesagt, kämen weder Himmel noch Hölle, sondern die Realität." Doch so ernsthaft und gewichtig dieses Buch gedacht sein mag, es kommt leider allzu selten über eine Familienaufstellung hinaus.

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