Biografie:Steile Karriere, tragischer Absturz

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Paul Abraham dirigiert - wie immer mit weißen Handschuhen, die den Dirigentenstab ersetzen - während der Filmaufnahmen seiner eigenen Operette "Viktoria und ihr Husar" (Regie: Richard Oswald, Deutschland 1931). (Foto: Scherl/Süddeutsche Zeitung Photo)

Sein Leben war ebenso schillernd wie dramatisch: Der ungarisch-jüdische Operettenkomponist Paul Abraham wurde von den Nationalsozialisten ins Exil getrieben und landete in der Nervenheilanstalt. Klaus Wallers Biografie über ihn zählt zu den zehn besten Independent-Büchern Bayerns.

Von Barbara Hordych, München

Kaum ein anderes Bild steht so sehr für die Tragik in dem schillernden Leben des hochbegabten ungarisch-jüdischen Komponisten Paul Abraham (1892 - 1960): Ein Mann im Frack dirigiert inmitten des belebten New Yorker Straßenverkehrs ein imaginäres Orchester. Er wird von der Polizei aufgegriffen und in ein Nervensanatorium gebracht. Obwohl es mehrere Ortszuschreibungen für diesen spektakulären, geradezu operettenhaft-herzzerreißenden Dirigentenauftritt gibt - die einen siedeln die Begebenheit auf dem Broadway, die anderen auf der 44. Straße vor dem Shubert Theatre an, - steht eines fest: Abraham wurde am 5. Januar 1946 in das New Yorker Bellevue Hospital eingeliefert.

Klaus Waller beschreibt in seinem fundiert recherchierten und ungeschönt erzählten Buch "Paul Abraham - Der tragische König der Jazz-Operette", das 2021 bei Starfruit Publications erschien und als eines der zehn besten Independent-Bücher Bayerns ausgezeichnet wurde, noch eine weiteres Zeugnis für Abrahams zunehmende Geistesverwirrtheit: In einem New Yorker Hochhaus soll er unsinnig oft mit dem Aufzug hoch und hinunter gefahren sein. Auch dies eine Szene mit symbolhaftem Charakter, bedenkt man den kometenhaften Aufstieg und den tragischen Absturz des Komponisten, der Anfang der Dreißigerjahre in Berlin als "König der Jazz-Operette" gefeiert, von Franz Lehár als sein "Kronprinz" benannt wurde.

Renate Müller singt in dem von Paul Abraham durchkomponierten Lustspiel "Die Privatsekretärin" das Lied "Ich bin ja heut so glücklich". Sie wurde damit 1931 zum Filmstar, Abraham hatte seinen größten Kino-Erfolg. (Foto: Scherl/Süddeutsche Zeitung Photo)

Es ist zugleich ein dunkles Kapitel der deutschen Musiktheatergeschichte, das Waller mit Abrahams Leben nachzeichnet. 1933 wurde er von den Nazis aus Deutschland vertrieben. Bis dahin war Abraham einer der originellsten Operettenkomponisten im Übergang von der Weimarer Republik zur Nazi-Diktatur gewesen. Das von ihm durchkomponierte Lustspiel "Die Privatsekretärin", das Renate Müller zum Filmstar machte und das Lied "Ich bin ja heut so glücklich" zum Evergreen, war 1931 sein größter Kino-Erfolg. Später arbeitete er mit den besten Librettisten seiner Zeit, Fritz Löhner-Beda und Alfred Grünwald. Dementsprechend irrwitzig gereimt, sarkastisch und gewagt sind die Liedtexte und Dialoge der Abraham-Operetten wie "Viktoria und ihr Husar", "Der Ball im Savoy" und "Die Blume von Hawai". "Es hat so hübsche weiße Zähne und im Aug' die falsche Träne und im Herzen Sägespäne - so wie du!", singt beispielsweise in der "Blume in Hawai" ein Verliebter sein angebetetes "Diwanpüppchen" an.

Komponist Paul Abraham (links) zusammen mit der Hauptdarstellerin Anny Ahlers und dem Direktor des Metropoltheaters Paul Rotter 1931 bei der Premiere von "Die Blume von Hawai". (Foto: Scherl/Süddeutsche Zeitung Photo)

Seine Stücke ranken sich um die Irrungen und Wirrungen zwischen den Geschlechtern, während derer Männer und Frauen sich finden, einander aber auch auf elegante Art und Weise wieder loswerden. Seine Musik spiegelt die Lebenslust, aber auch die Brüche dieser Zeit. Vergnügliches, Freches und Frivoles mischte er mit amerikanischem Jazz, aber auch mit ungarisch-österreichisch-berlinerischem Lokalkolorit.

Geboren wurde Abraham in dem kleinen ungarischen Ort Apatin. Über Budapest kam er 1930 nach Berlin, wo er innerhalb von nur drei Jahren zum europaweit bestbezahlten und meist bejubelten Operettenkönig seiner Zeit aufstieg. Auch durch die Verwertung seiner Werke durch Schallplatten und Filme war er für etwa zwei Jahre "der nach Aufführungszahlen und wohl auch nach Einnahmen erfolgreichste Operettenkomponist der Welt", schreibt sein Biograf. Abraham generierte sich als unablässig Geld scheffelnder Operettenfürst, war vermögend, aber auch spiel- und verschwendungssüchtig. In seiner schlossartigen, mit umfangreichen Porzellan-, Gemälde- und Teppichsammlungen ausgestatteten Villa in der noblen Berliner Fasanenstraße 33 lud er zu legendären Gulaschpartys und zu Champagner und Kaviar, besaß angeblich acht Luxusautos mitsamt Chauffeur. "Sein Lebensstil war einzigartig und wurde geradezu dandyhaft zelebriert. Dazu passte die Meldung, er habe sich auf einen Schlag 60 Anzüge und 300 Hemden gekauft", schreibt Waller. Und selbstverständlich lagen überall die weißen Handschuhe, die bei Abraham den Dirigentenstab ersetzten.

Die Ankündigung der Verfilmung von Paul Abrahams Operette "Die Blume von Hawai" mit Martha Eggerth 1933 auf dem Titelblatt der Zeitschrift "Illustrierter Film-Kurier". (Foto: Archiv Klaus Waller)

Bei aller kreativen Produktivität war er ein Getriebener und Zerrissener, ein Workaholic, der täglich drei Schachteln Zigaretten rauchte und 30 Tassen Kaffee trank, wie Waller schreibt. Seiner Frau Charlotte wurde dies wohl alles zu viel, sie kehrte jedenfalls allein nach Ungarn zurück. Den aufkommenden Nationalsozialismus verdrängt Abraham, begegnet ihm mit dem häufiger zitierten Satz : "Die werden doch keinen Krieg gegen die Operette führen". Erst als er im Januar 1933 von einem Trupp Nazi-Schergen handgreiflich am Betreten des Großen Schauspielhauses gehindert wurde, erkannte er die brutale Realität. Zwar gelang ihm über seine Heimat Ungarn letztendlich die Flucht in die USA. Aber er konnte nicht mehr an seine früheren Erfolge in Europa anknüpfen; er erkrankte an Syphilis, versank in Geistesverwirrung und verbrachte schließlich zehn Jahre in einer psychiatrischen Klinik. Ein besonders tragischer Fall eines deutschen Emigranten in den USA; Klaus Waller stellt das in all seinen Facetten klug in den politischen Kontext.

Barrie Kosky setzt sich für Abrahams Wiederentdeckung ein

Auf Betreiben von Freunden wurde Abraham schließlich 1956 nach Europa, ans Eppendorfer Klinikum Hamburg zurückgeholt. Die letzten vier Jahre bis zu seinem Tod 1960 verbrachte er in einer Wohnung in Hamburg, gemeinsam mit seiner Frau Charlotte, die man aus Ungarn hatte ausreisen lassen. Selbst sein letztes Lebenskapitel wird noch einmal zum bitteren Zeugnis seiner Zeit, mit dem Auftritt von Professor Hans Bürger-Prinz, einer ehemaligen Nazi-Größe. "Der von den Nationalsozialisten verfolgte Paul Abraham wurde nun von einem Arzt behandelt, der im Dritten Reich unter anderem als Richter im 'Erbgesundheitsgericht' tätig war. Bürger-Prinz konnte der Patient nur Recht sein, denn er war dabei, sich in der Bundesrepublik ein neues Renommee zu verschaffen."

Trude Berliner bei einem ihrer letzten großen Auftritte vor der Emigration: Bei der Berliner Uraufführung von "Ball im Savoy" im Dezember 1932 im Großen Schauspielhaus glänzte die jüdische Künstlerin in der Rolle der argentinischen Tänzerin Tangolita. (Foto: Scherl/Süddeutsche Zeitung Photo)

Ein Schluss, auf den zumindest im Buch ein Neuanfang folgt. Mehr als 50 Jahre später erleben Abrahams Stücke eine Renaissance an den Theatern. Für die setzt sich seit 2010 insbesondere Barrie Kosky mit seinen Inszenierungen an der Komischen Oper Berlin ein, wie er sich überhaupt für die Wiederentdeckung der jüdischen Berliner Operettenkultur der 1920er- und 1930er Jahre engagiert. Wallers Buch enthält ein Interview mit Kosky, in dem er den "Ball im Savoy" als "das Meisterstück der Berliner Operette" bezeichnet - man spüre, dass diese Arbeit der Beginn von etwas ganz Außergewöhnlichem in Abrahams Werk sei: "Eine köstliche Ironie und eine unglaubliche Modernität, was Ansichten bezüglich Partnerschaft und Beziehung betrifft", sagt Kosky. Nur einen Monat nach der umjubelten Uraufführung in Berlin musste Abraham fliehen. Für ihn persönlich war dies der Endpunkt von etwas Außergewöhnlichem.

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